Bisherige Prognosen haben häufig die Potenziale für neue Beschäftigung unterschätzt. Bis 2025 wird in der Schweiz mit einem positiven Wachstum der Stellen gerechnet. Wie hoch aber der Netto-Effekt der Digitalisierung ist, kann niemand voraussagen. Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen flexibel ausgestaltet sind. Davon wird es abhängen, wieweit Wirtschaft und Gesellschaft mit den neuen Arbeitsformen und Berufsbildern Schritt halten kann.
Die Perspektive Mensch
Sicher ist, dass die Identität eines Menschen über die Arbeit entwickelt wird. Wenn starke Flexibilität (Arbeitsort, -zeit und Lernbereitschaft), kritische Haltung oder Selbstständigkeit vermehrt verlangt ist, muss man sich fragen, wie diese Haltungen eingeschätzt werden können. Wir bedienen uns der komplementären Sichtweise von menschlichen Eigenschaften. Der Flexibilität steht die Beständigkeit gegenüber. «Flexibel» sein hat ganz unterschiedliche Ausprägungen oder Stärken, die sich zwischen beweglich bis zu wechselhaft im Menschen zeigen können. «Beständigkeit» deckt die Breite von gradlinig bis stur ab. Je stärker eine Eigenschaft ausgeprägt ist, desto weniger kann die andere Seite gelebt werden; «wo Licht ist, ist auch Schatten».
Das Verhalten eines Menschen sollte situationsbezogen vorhersagbar sein; bei einer starken Ausprägung der Flexibilität im Sinn der Wechselhaftigkeit ist es für diese Person unmöglich, sich geradlinig zu verhalten. So offenbaren sich Stärken und Schwächen in der Persönlichkeit. Bei der «Sowohl-als-auch-Position» – Flexibilität und Beständigkeit – wird sich die Person situationsbezogen anpassen; eine Vorhersage des Verhaltens ist nicht möglich. Welches Verhalten erwünscht ist, wird durch das Anforderungsprofil festgelegt. Die Abweichungen vom Profil zeigen, ob eine Person für ein definiertes Anforderungsprofil geeignet ist oder nicht.
In der Schweiz stehen flexible Arbeitszeiten bei den Arbeitnehmenden hoch im Kurs. Berufs- und Arbeitsleben können besser vereinbart werden. Bemerkenswert ist, dass die Arbeitnehmenden weniger Mitsprache bei der Arbeitszeit haben als vor zehn Jahren. 2005 konnten fast die Hälfte der Angestellten ihre Arbeitszeit teilweise oder vollständig frei festlegen; 2015 nur noch knapp ein Drittel. Der Anteil jener, die zu fix vorgegebenen Zeiten arbeiten, hat von 45 Prozent auf 58 Prozent zugenommen.
Die Autonomie oder der Handlungsspielraum ist der zentrale Faktor, wichtiger als der Aspekt der flexiblen Arbeitszeit. Die Digitalisierung mit verstärkter Überwachungsmöglichkeit und Erreichbarkeit trägt zum Verlust der Autonomie bei, obwohl diese nebst der Motivation die Leistung und die Gesundheit steigert. Es ist zu vermuten, dass immer mehr Angestellte nach Lust und Laune ihrer Chefs arbeiten müssen.
Problem Selbstständigkeit
Eine komplementäre Betrachtung der menschlichen Eigenschaften ist nicht besonders weitverbreitet und ist, wegen deren Komplexität, eine Alternative zu den Typologien sowie zu den Schwarz-Weiss-Bildern. Bei der «kritischen Haltung» geht die Spannbreite von problembewusst bis zu misstrauisch. Der Gegenpol dazu ist die «bejahende Haltung». Sie erstreckt sich von vertrauensvoll bis zu unkritisch. Und schliesslich bleibt die «Selbstständigkeit», die von eigenständig bis eigenwillig geht und das Komplement «Gruppenorientierung» hat, was von teamfreundlich bis unselbstständig geht. Bei der Selbstständigkeit kommt noch die soziologische Dimension der Bereitschaft, eine Firma zu gründen, dazu.
In der Schweiz haben rund neun Prozent der Arbeitnehmer diesen Status. Die Bereitschaft, ein eigenes Unternehmen zu Gründen, ist bescheiden. Aber wie kann denn auch Selbstständigkeit entstehen, wenn das Kleinkind in Watte gepackt, mit dem Offroader in die Schule gefahren wird und zum Zähneputzen einen Helm trägt? Wie selbstständig sind die jungen Erwachsenen, die von der Mutter noch in die WG begleitet werden, welche zur Sicherheit von den Kollegen ein Drogentest verlangt, bevor die nächste Party in Calvin-Klein-Unterhosen und Designerjeans gefeiert wird?
Der zweite Teil dieser Serie beleuchtet in der kommenden Ausgabe die Aspekte des innovationsorientierten Personalmanagements sowie die innovationskulturfördernden Dimensionen.