Forschung & Entwicklung

Arbeitsumgebung (Teil 1 von 2)

Anforderungen an den Arbeitsplatz der Zukunft

Der Arbeitsplatz der Zukunft, mit der Perspektive Mensch, ist durch den Fortschritt der Technologie geprägt und durch die Fähigkeiten, die Motive sowie die Werte der Menschen. Der Beitrag versucht Tendenzen aufzuzeigen, die für die Zukunftsbewältigung wichtig sind und die menschliche Entwicklung in die wechselnden Anforderungen einbindet.
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Der globale Thinktank «Millennium Project» hat rund 300 Experten zur Wirkung der Digitalisierung auf die Arbeit befragt. Es wird davon ausgegangen, dass bis zum Jahr 2050 im Durchschnitt weltweit jede vierte Person arbeitslos sein wird, unter der Voraussetzung, dass weder die Arbeitsformen noch die Sozialsysteme angepasst werden. Die Experten betonen, dass hierfür neue Einkommensquellen geschaffen werden müssen, die nicht auf Erwerbsarbeit im Anstellungsverhältnis beruhen. 60 Prozent der Befragten bevorzugten das bedingungslose Grundeinkommen, welches in der Schweiz mit rund 80 Prozent Ablehnung zur Abstimmung vorgelegt worden ist. In verschiedenen Ländern gibt es Pilotversuche im kleinen Rahmen.

Globale Trends bei der Arbeit

Der technologische Fortschritt macht aber auch im Bildungssystem Reformen nötig. Dies vor allem, weil sich die Anforderungen an die Arbeit der Zukunft stark ändern werden. Wichtiger werden Kompetenzen wie Flexibilität, kritische Haltung oder Selbstständigkeit. Und bisher hat jeder Strukturwandel Gewinner und Verlierer geschaffen. Der gesamtwirtschaftliche Wohlstand ist aber bei einschneidendem Wandel grösser geworden.

Neue soziale Sicherungssysteme sind häufig aus der Krise entstanden. Seit der Industrialisierung sind neue Stellen geschaffen worden, die wertschöpfungsintensiver sind. Die Experten aus der Mil­lenniumstudie sind sich aber nicht einig, ob sich diese Steigerung der Wertschöpfung über neue Stellen wiederholen wird. Es wird befürchtet, dass der Wohlstand wegbrechen kann und dass die Mittelschicht darunter leiden wird.

Betroffene Berufsgruppen

Welches sind Berufsgruppen, bei denen der Wandel stärker greifen wird als bei anderen? So viel ist klar: Soziale und kreative Tätigkeiten werden weniger betroffen sein als repetitive Arbeiten. Bei den Routinearbeiten mit einem relativ tiefen Ausbildungsniveau sind es beispielsweise die Bank- und andere Schalterbeamte, die Telefonisten oder die Fachkräfte in der Landwirtschaft, welche besonders betroffen sind.

Bei den Routinetätigkeiten mit einem höheren Ausbildungsniveau werden zum Beispiel die Buchhalter, die Steuerberater, die Kartografen, die Vermessungsingenieure sowie die Finanz- und Anlageberater betroffen sein. Weit weniger vom Wandel betroffen, mit einem tieferen Ausbildungsniveau, sind die Coiffeure, die Kinderbetreuer oder der Rettungsdienst. Bei höheren Ausbildungsniveaus sind es Anwälte, Architekten oder Psychologen, die nicht betroffen sind.

Digitalisierungsumfrage

Die Mitgliederzeitung «Reformiert» der reformierten Kirchen hat 2017 eine Umfrage zur Digitalisierung bei Betroffenen gemacht. Die Umfrage ist von Demoscope bei 1000 Personen durchgeführt worden. Sie zeigt bei der Haltung zu Robotern, dass 53 Prozent eine Chance für deren Einsatz in der Arbeitswelt sehen. Lediglich 17 Prozent denken, dass ihre eigene Stelle gefährdet sei.

42 Prozent der Frauen sehen ein Entwicklungspotenzial und 60 Prozent sind es bei den Männern, wenn es um die Reduktion von monotoner Arbeit geht. Gross ist die Skepsis aber bei Anwendungen im Gesundheitswesen und in der Pflege; 84 Prozent wollen nicht von einem Roboter unterstützt werden. Kein Vertrauen gibt es auch bei Robotern, die als Ärzte auftreten. 59 Prozent würden sich aber in einen Zug ohne Steuermann setzen. Bei frei fahrenden Taxis ist die Skepsis grösser.

Szenarien Arbeitswelt 2050

Die Szenarien für die Arbeitswelt 2050 lassen sich so zusammenfassen:

Flexible Arbeitswelt

Die Arbeitswelt ist flexibel. Mehrere Tätigkeiten, welche den Fähigkeiten entsprechen, werden wahrgenommen; die Arbeit ist zwischen fester Anstellung und Selbstständigkeit aufgeteilt. Die Wochenarbeitszeit ist vier Tage. Die Arbeit wird dem Lebensrhythmus angepasst und wird zu grossen Teilen online abgewickelt. Für die gewählten Arbeitsformen gibt es genügende soziale Absicherungen.

Grundeinkommen für alle

Es gibt für die Bevölkerung ein Grundeinkommen. Die Arbeitenden beschäftigen sich mit Tätigkeiten, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Algorithmen verteilen Tätigkeiten auf die Angestellten. Bezahlte und unbezahlte Arbeit ist in weltumspannenden Netzwerken organisiert.

Dominanz der Talente

Es gibt eine Dominanz der Talente. Ein weltumspannender Talentpool rekrutiert produktive Mitarbeitende. Die breite Bevölkerung liefert den Talenten zu oder hat keine Arbeit. Eine kleine Elite verfügt über den Grossteil des Wissens, des Kapitals und der Macht. Die Einkommensunterschiede haben stark zugenommen, mit der Verschärfung sozialer Konflikte. Revolutionspotenzial wird sichtbar. Offline-Bewegungen von Selbstversorgern erhalten starken Zulauf.

Zukünftiges Trilemma

So könnte es sein, aber auch ganz anders. Die globale Optik führt zum in der Abbildung angezeigten Trilemma. Es geht um die Beziehungen zwischen Nationalstaat, Einbettung der Demokratie in Europa und die globale, übrige Welt. Der Nationalstaat verliert in der Beziehung zwischen politischer Demokratie und Globalisierung an Bedeutung. Zwischen der Demokratie und dem Nationalstaat entsteht eine eingeschränkte Globalisierung und zwischen der Globalisierung sowie dem Nationalstaat gibt es eingeschränkte demokratische Mitbestimmung. Aus den zwölf angezeigten Feldern der Grafik wird lediglich die Thematik der Arbeit herausgegriffen.

Wandel und Verunsicherung

Die Arbeit muss, auch in der Zukunft und im dargestellten Trilemma, Sinn stiftend sein. Und die Inhalte der jeweiligen Arbeit sind auf eine Entwicklung ausgerichtet. Darum sind die Arbeitsformen in einem steten Wandel begriffen. Sie sind darum Angebot und  Nachfrage sowie der technologischen Entwicklung ausgeliefert. Die Erwerbsarbeit im Angestelltenverhältnis ist global und im Nationalstaat einem Wandel unterworfen.

In unserer westlichen Welt wird immer mehr Flexibilität bezüglich Zeit, Ort und Lernbereitschaft verlangt. In den Schwellenländern geht es in erster Linie darum, dass die Erwerbsarbeit ohne Ausbeutung stattfindet und dass die soziale Sicherung der Menschen vorangetrieben wird. Die Informations- und Wissensgesellschaft schreitet weiter voran und führt zu neuen Arbeitsformen sowie anderen Beschäftigungsmodellen.

Disruptive Innovationen

Der Transfer des Wissens und der Technologie führt zu disruptiven Innovationen, die sich in der Arbeitswelt als neue Geschäftsmodelle niederschlagen, aber auch Verunsicherungen auslösen. Beispielsweise ist heute nicht absehbar, was die Blockchain-Technologie in der Arbeitswelt bewirken wird, weil das Internet des Informationsaustauschs, wie wir es kennen, zu einem Internet des Werteaustauschs werden kann. Der Kanton Zug geht in der Schweiz voran und hat eben die digitale Identität für die Bewohner des Kantons angekündigt.

Neue Wege im Zahlungsverkehr

Der Zahlungsverkehr läuft ohne Banken und die direkten Zahlungsmöglichkeiten können so an Strukturen gebunden werden, dass Zielgruppen direkt angesprochen und differenziert werden können. Beispielswiese können die Musiker ihre Songs so programmieren, dass von den Musikhörern automatisch ein Mikrobeitrag überwiesen wird, wobei ein Teil an die Band und der andere Teil an den Produzenten geht.

Offen ist das Thema «Digitalisierung und Bankenwesen». Die Blockchaintechnologie wird auf den Zahlungsverkehr Einfluss nehmen. Das Aufbrechen der Wertschöpfungskette und das Anlegen von Ersparnissen direkt über das Internet sind aktuelle Themen. Mit dem derzeitigen Boom der Kryptowährungen, die allerdings sehr volatil sind, entsteht Veränderungspotenzial und erschliessen sich neue Dimensionen. Der technologische Fortschritt könnte eine neue Geld- und Finanzordnung nach sich ziehen. Die Kreditstatistik für die Schweiz zeigt bereits heute, dass über 85 Prozent aller Bankkredite Hypotheken sind, bei einer Gesamtkreditsumme von 140 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Nur ein kleiner Teil der Kredite steht also für Firmen für deren Investitionen zur Verfügung.

Arbeitsmodelle

Für die Arbeitsmodelle in der 4. industriellen Revolution müssen die sozialen Bedingungen und Spielregeln der künfti-
gen Arbeitsgesellschaft gestaltet werden. Erste Modelle gibt es bereits; «Desk Sharing» oder «Crowdworking» sind Beispiele. Diese neuen Formen fordern die schon erwähnte Flexibilität. Dies in einem Schweizer Umfeld, wo die Sesshaftigkeit immer stärker betont wird.

Der Schutz der Arbeitnehmerrechte wird wichtiger. Wahrscheinlich ist, dass das geltende Arbeitsrecht komplett überholt werden muss. Die üblich lange Zeit für solche Revisionen im parlamentarischen, rasenden Stillstand wird stark in Frage gestellt. Die neuen Arbeitsbedingungen, im Zusammenhang mit Big Data und Algorithmen, werden neue Überwachungsmöglichkeiten anbieten, sodass der Datenschutz bei Social Media und in der Arbeitswelt immer wichtiger wird.

Starke Job-Polarisierung

Aus der Studie von Stefan Vaterlaus (siehe Box «Quellenhinweise») gehen interessante Daten hervor, die an der Arbeitgebertagung 2017 in Lausanne präsentiert worden sind. Die Job-Polarisierung hat nur in wenigen Staaten so stark zugenommen wie in der Schweiz. Arbeitsstellen mit mittleren Qualifikationen haben in zwanzig Jahren um 9,5 Prozent abgenommen. Die Schweiz führt unter den OECD- Staaten mit Österreich und Irland diese Entwicklung an.

Im gleichen Zeitraum hat der Anteil hoch Qualifizierter um 7,6 Prozent zugenommen; auch der Anteil niedrig qualifizierter Arbeit hat um 1,9 Prozent zugenommen. Dieser rasche Fortschritt wird mit der Frankenstärke, dem Trend zur Automatisierung und zur Auslagerung in Verbindung gebracht. Interessant ist, dass ein Job im Bereich der Hochtechnologie etwas weniger als fünf Stellen im Dienstleistungsbereich schafft. Die Digitalisierung erscheint nicht als Jobkiller.

Anders ist die Situation bei den Mittelqualifizierten, weil es häufig um Routinetätigkeiten geht, also automatisierbar sind. Diese Jobs werden verschwinden. Einfache, repetitive Tätigkeiten sind typisch, zum Beispiel im Versicherungswesen oder in der Buchhaltung. Die Schweiz ist aber in einer guten Ausgangslage, weil das Land sehr wettbewerbsfähig ist, ein gutes Ausbildungs- und Bildungssystem hat, die Automatisierung weit fortgeschritten ist und die Erwerbsbeteiligung bei Frauen und Männern mit rund 80 Prozent sehr stark ausgeprägt ist.

Bei einem theoretischen Automatisierungspotenzial könnten die Konsequenzen einschneidend sein. Je nach Land sind zwischen 45 Prozent und 70 Prozent der heutigen Berufsbilder verschwunden. Doch die technische Umsetzbarkeit allein sorgt noch nicht dafür, dass Arbeitsplätze substituiert werden; neben den Kosten und der Qualität sind auch die sozialen sowie die kulturellen Aspekte ausschlaggebend. Kaufmännische Tätigkeiten verlieren sehr wahrscheinlich an Bedeutung, gleichzeitig gibt es aber in der Dienstleistung neue Tätigkeiten.

Bisherige Prognosen haben häufig die Potenziale für neue Beschäftigung unterschätzt. Bis 2025 wird in der Schweiz mit einem positiven Wachstum der Stellen gerechnet. Wie hoch aber der Netto-Effekt der Digitalisierung ist, kann niemand voraussagen. Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen flexibel ausgestaltet sind. Davon wird es abhängen, wieweit Wirtschaft und Gesellschaft mit den neuen Arbeitsformen und Berufsbildern Schritt halten kann.

Die Perspektive Mensch

Sicher ist, dass die Identität eines Menschen über die Arbeit entwickelt wird. Wenn starke Flexibilität (Arbeitsort, -zeit und Lernbereitschaft), kritische Haltung oder Selbstständigkeit vermehrt verlangt ist, muss man sich fragen, wie diese Haltungen eingeschätzt werden können. Wir bedienen uns der komplementären Sichtweise von menschlichen Eigenschaften. Der Flexibilität steht die Beständigkeit gegenüber. «Flexibel» sein hat ganz unterschiedliche Ausprägungen oder Stärken, die sich zwischen beweglich bis zu wechselhaft im Menschen zeigen können. «Beständigkeit» deckt die Breite von gradlinig bis stur ab. Je stärker eine Eigenschaft ausgeprägt ist, desto weniger kann die andere Seite gelebt werden; «wo Licht ist, ist auch Schatten».

Das Verhalten eines Menschen sollte situationsbezogen vorhersagbar sein; bei einer starken Ausprägung der Flexibilität im Sinn der Wechselhaftigkeit ist es für diese Person unmöglich, sich geradlinig zu verhalten. So offenbaren sich Stärken und Schwächen in der Persönlichkeit. Bei der «Sowohl-als-auch-Position» – Flexibilität und Beständigkeit – wird sich die Person situationsbezogen anpassen; eine Vorhersage des Verhaltens ist nicht möglich. Welches Verhalten erwünscht ist, wird durch das Anforderungsprofil festgelegt. Die Abweichungen vom Profil zeigen, ob eine Person für ein definiertes Anforderungsprofil geeignet ist oder nicht.

In der Schweiz stehen flexible Arbeitszeiten bei den Arbeitnehmenden hoch im Kurs. Berufs- und Arbeitsleben können besser vereinbart werden. Bemerkenswert ist, dass die Arbeitnehmenden weniger Mitsprache bei der Arbeitszeit haben als vor zehn Jahren. 2005 konnten fast die Hälfte der Angestellten ihre Arbeitszeit teilweise oder vollständig frei festlegen; 2015 nur noch knapp ein Drittel. Der Anteil jener, die zu fix vorgegebenen Zeiten arbeiten, hat von 45 Prozent auf 58 Prozent zugenommen.

Die Autonomie oder der Handlungsspielraum ist der zentrale Faktor, wichtiger als der Aspekt der flexiblen Arbeitszeit. Die Digitalisierung mit verstärkter Überwachungsmöglichkeit und Erreichbarkeit trägt zum Verlust der Autonomie bei, obwohl diese nebst der Motivation die Leistung und die Gesundheit steigert. Es ist zu vermuten, dass immer mehr Angestellte nach Lust und Laune ihrer Chefs arbeiten müssen.

Problem Selbstständigkeit

Eine komplementäre Betrachtung der menschlichen Eigenschaften ist nicht besonders weitverbreitet und ist, wegen deren Komplexität, eine Alternative zu den Typologien sowie zu den Schwarz-Weiss-Bildern. Bei der «kritischen Haltung» geht die Spannbreite von problembewusst bis zu misstrauisch. Der Gegenpol dazu ist die «bejahende Haltung». Sie erstreckt sich von vertrauensvoll bis zu unkritisch. Und schliesslich bleibt die «Selbstständigkeit», die von eigenständig bis eigenwillig geht und das Komplement «Gruppenorientierung» hat, was von teamfreundlich bis unselbstständig geht. Bei der Selbstständigkeit kommt noch die soziologische Dimension der Bereitschaft, eine Firma zu gründen, dazu.

In der Schweiz haben rund neun Prozent der Arbeitnehmer diesen Status. Die Bereitschaft, ein eigenes Unternehmen zu Gründen, ist bescheiden. Aber wie kann denn auch Selbstständigkeit entstehen, wenn das Kleinkind in Watte gepackt, mit dem Offroader in die Schule gefahren wird und zum Zähneputzen einen Helm trägt? Wie selbstständig sind die jungen Erwachsenen, die von der Mutter noch in die WG begleitet werden, welche zur Sicherheit von den Kollegen ein Drogentest verlangt, bevor die nächste Party in Calvin-Klein-Unterhosen und Designerjeans gefeiert wird?

Der zweite Teil dieser Serie beleuchtet in der kommenden Ausgabe die Aspekte des innovationsorientierten Personalmanagements sowie die innovationskulturfördernden Dimensionen.

Porträt