Finanzen & Vorsorge

Vorsorgen und finanzieren I

Wie die Renten zukünftig zu sichern sind

Das Rentensystem kann mit vielen verschiedenen Massnahmen gestärkt werden. Am wichtigsten sind die Anpassungen institutioneller Parameter wie Umwandlungssätze und Kapitalvorbezug an die stark veränderten Realitäten. Der Beitrag beleuchtet Massnahmen zur Sicherung der Renten.
PDF Kaufen

Umfragen zeigen es: Die Altersvorsorge ist seit mehreren Jahren die grösste Sorge von Herrn und Frau Schweizer – und das zu Recht. Gemäss Bundesamt für Statistik verfügen fast zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung über ein Reinvermögen von weniger als 100000 Franken; rund ein Viertel besitzt gar kein Vermögen. Zudem rechnet nur gerade die Hälfte damit, mit dem Altersvermögen aus den Vorsorgewerken nach der Pensionierung ein komfortables Leben bestreiten zu können. Bei den Frauen ist dieser Prozentsatz noch geringer.

Die Gründe dafür sind ebenso bekannt wie vielfältig. Die demografische Entwicklung und die damit einhergehende längere Lebenserwartung setzen den Vorsorge­einrichtungen und Pensionsfonds zu. 1980 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Pensionierung im Alter von 65 Jahren für Männer 14,4 und für Frauen 18,3 Jahre, heute sind es 20,8 und 23,6 Jahre. Dazu kommen flexiblere Arbeits-und Lebensformen und grosse Restrukturierungen mit Frühpensionierungen.

Die beispiellos rekordtiefen Zinsen im Nachgang der globalen Finanzkrise belasten die Performance von Pensionskassen, die aufgrund regulatorischer Vorschriften einen hohen Anteil an festverzinslichen Anlagen halten müssen. Der Kapitalmarkt als «dritter Beitragszahler» liefert nicht mehr die erforderlichen, verlässlichen Beiträge. Die Umwandlungssätze wurden aus politischen Gründen viel zu lange nicht gesenkt, und sie sind immer noch viel zu hoch.


Heilige Kühe schlachten 

Es scheint, dass viele politische Akteure und der Regulator die Augen vor der Realität verschliessen. Angedachte Konsensreformen gehen zu wenig weit. Die Eidgenössische Kommission für berufliche Vorsorge (BVG-Kommission) hat dem Bundesrat zum Beispiel Ende August empfohlen, den Mindestzinssatz in der beruflichen Vorsorge für 2021 von heute 1 Prozent auf 0,75 Prozent zu senken. Mit dem Mindestzinssatz wird bestimmt, zu wie viel Prozent das Vorsorgeguthaben der Versicherten im BVG-Obligatorium mindestens verzinst werden muss. Der Schweizerische Pensionskassenverband (ASIP) fordert eine Senkung des BVG-Mindestzinssatzes auf maximal 0,5 Prozent, der Schweizerische Versi­cherungsverband (SVV) schlägt 0,25 Prozent vor. 

Tatsache ist, dass die von der BVG-Kommission empfohlenen 0,75 Prozent mit Blick auf die Anlagemärkte deutlich zu hoch liegen und das Problem nicht lösen können, sondern aufschieben respektive verstärken.

Die Einsicht ist nötig, dass heilige Kühe wie das Rentenalter, der Mindestzinssatz und der Umwandlungssatz auf obligatorischem Kapital geopfert werden müssen, um die Renten auch für die jüngeren Generationen zu sichern. Doch es gibt auch politisch weniger kontroverse und leichter umsetzbare Massnahmen, die zur Sicherung der Renten – und zum Erreichen eines bestimmten Alterskapitals – beitragen könnten.


Kapitalvorbezug einschränken

Als Erstes ist das Thema Kapitalvorbe­-zug im Versicherungsobligatorium zu überdenken. Kapitalbezüge mindern den Strom der lebenslangen Altersrenten und somit die finanzielle Sicherheit der Betroffenen. Sie müssen deutlich eingeschränkt werden. Das Alterskapital sollte nicht für die (risikoreiche) Aufnahme einer selbstständigen Geschäftstätigkeit gebraucht werden dürfen, und die schweizweit so beliebten WEF-Vorbezüge (Wohneigentumsförderung) sollten auf das Überobligatorium oder auf 25 Prozent des Vorsorgekapitals beschränkt werden. 

Gemäss dem Hypothekarberater Money­park ist die Finanzierung von 80 Prozent der Immobilienkäufe ohne WEF-Vorbezug nicht möglich, da die Interessenten über zu wenig Eigenmittel verfügen. Viele Versicherte müssen bei Pensionierung ihre Hypotheken amortisieren, weil sie die strikten Vorgaben der Geschäftsbanken zur Tragbarkeit nicht mehr erfüllen. Für die Amortisierung der Hypotheken sind sie dann oft auf den Kapitalbezug aus der beruflichen Vorsorge angewiesen – was sich wiederum in niedrigeren Renten niederschlägt. 

Die Bundesverfassung sieht das Ziel der Wohneigentumsförderung vor. Dieses Ziel mithilfe von Vorsorgegeldern umzusetzen, ist jedoch keine echte Wohneigentumsförderung, denn sie geht zulasten der Rente oder der Kapitalauszahlung im Vorsorgefall. Echte Wohneigentumsförderung könnte zum Beispiel über steuerbegünstigtes Bausparen erreicht werden, ein Modell, das im Kanton Baselland mit Erfolg betrieben wurde. 

Personen, die bei Pensionierung den teilweisen oder ganzen Kapitalbezug wählen, müssen sich der damit einherge­henden Verantwortung für die Finan­zierung ihres restlichen Lebens bewusst sein. Sind sie in der Lage, ihr Kapital so gut anzulegen wie eine Pensionskasse? Verfügen sie über die Disziplin, nicht zu viel Geld frühzeitig auszugeben? Die Realität lässt Zweifel zu, da manche Kapitalbezüger früher oder später beim Sozialamt landen. Ihnen muss auch klar sein, dass der einmal gefällte Entscheid Rente oder Kapitalbezug nicht rückgängig gemacht werden kann. 

Es ist auch stossend, dass der Einmal­bezug des Vorsorgevermögens bei Pen­sionierung zu einem geringeren Satz besteuert wird als die Renten. Dies ist ein steuerlicher Fehlanreiz zulasten der Allgemeinheit, der zu beheben ist. So wünschenswert die individuelle Entscheidungsfreiheit auch ist – die Sicherung der Vorsorge sollte Vorrang vor der Befriedigung von Einzelbedürfnissen haben.

Anreize für Säule 3a steigern

Da die AHV ein Sanierungsfall ist und die 2. Säule ihre Rentenversprechen langfristig nicht einhalten kann, kommt der 3. Säule zwecks Deckung von Versorgungslücken eine immer wichtigere Bedeutung zu. Die steuerlichen Anreize für das Sparen in der 3. Säule müssen verstärkt werden, denn der heute erlaubte Abzug von 6826 Franken für Erwerbstätige mit Pensionskasse reicht nicht aus, um die Lücken bei Invalidität und Todesfall sowie im Alter zu schliessen. Weiter sollten alle Personen das gesamte Sparpotenzial über die 46 respektive 47 Arbeitsjahre ab Alter 18 bis zur Pensionierung ausschöpfen können – und somit rückwirkend zum 18. Geburtstag 3a-Beiträge nachzahlen können.

Weiteres Optimierungspotenzial liefern die Witwen- und Witwerrenten. Sie sollten nur bis zum 18. Altersjahr der Kinder ausgerichtet werden, allenfalls mit einer kulanten Lösung für die überlebende Partnerin/den überlebenden Partner im Alter von über 55, die nicht arbeitstätig waren. 

Unter das Thema mehr Eigenverant­wortung fällt auch die Altersrente für Kinder, die abgeschafft werde sollte. Wer in höherem Alter noch Kinder hat, sollte ebenso die Verantwortung für den Nachwuchs übernehmen wie jüngere Eltern.

Erwerbstätige Personen mit Kindern müssen bei der Kinderbetreuung im Sinne der gesamten Volkswirtschaft jedoch mehr unterstützt werden, wobei eine dies­bezügliche Grundsatzdiskussion nötig ist. In Skan­dinavien zum Beispiel ist das Angebot für Kindertagesstätten am Arbeitsplatz viel besser ausgebaut als in der Schweiz. Zudem könnten die Beiträge für Erwerbstätige ohne Kinder im Sinne der Solida­rität und des Generationenvertrags erhöht werden.


1e-Gefässe lohnen

Ein weiteres Problem der beruflichen Vorsorgewerke ist die dem System inhärente Umverteilung. Im Gegensatz zum Um­verteilungsvehikel AHV ist die Idee der 2. Säule ganz klar, dass die einzelnen Versicherten individuell ein Guthaben anhäufen, das nach Pensionierung ihre Leistungen finanziert (Kapitaldeckungsverfahren). Doch viele Pensionskassen müssen Gelder vom überobligatorischen Bereich umverteilen, um ihre Rentenversprechen zu halten. Der gesetzlich vorgegebene Umwandlungssatz von 6,8 Prozent im Vorsorgeobligatorium führt da­zu, dass Neurenten zu hoch ausfallen – sie werden von den aktiven Versicherten quersubventioniert.

Das hat zur Folge, dass jährlich in der Schweiz mehrere Milliarden Franken Vorsorgevermögen zulasten der Erwerbstätigen umverteilt werden. Vor diesem Hintergrund werden 1e-Vorsorgepläne immer beliebter. Mittels einer 1e-Lösung lassen sich Lohnbestandteile ab der Höhe von 127 980 Franken – was der anderthalbfachen BVG-Lohnobergrenze entspricht – von den obligatorischen BVG-Spargefässen trennen und somit auch vor einer Umverteilung schützen. 

Zudem können 1e-Versicherte durch die Wahl einer persönlichen Investitions­strategie in grösserem Umfang an der Entwicklung der Aktienmärkte partizipieren und die Anlage ihres Vorsorgevermögens mit ihrer Risikofähigkeit besser in Einklang bringen. 1e-Lösungen gehen jedoch auch mit mehr Eigenverantwortung einher – denn allfällige Anlageverluste gehen zulasten der Versicherten.

Für Arbeitgeber lohnen sich 1e-Gefässe ebenfalls. Ihre Verpflichtung beschränkt sich auf die Beiträge an die Pensionskasse. Das Sanierungsrisiko fällt weg, da die Versicherten das Anlagerisiko tragen. Das führt zu einer Verringerung der Pensionskassenverpflichtungen. Zudem können Unternehmen, die nach inter­nationalen Rechnungslegungsvorschriften wie IAS/IFRS oder US GAAP bilan­zieren, 1e-Pläne als Beitragsprimatspläne behandeln. Und nicht zuletzt steigern Arbeitgeber, die ihren Angestellten mit einem 1e-Plan eine interessante Vorsorgelösung bieten, ihre Attraktivität am Arbeitsmarkt. 

Ältere Arbeitnehmer stützen

Unternehmen können die Sicherung der Renten aber auch unterstützen, indem sie älteren Arbeitnehmern Arbeitsmöglichkeiten geben. Viele Menschen möchten bei Erreichung des Pensionsalters weiterarbeiten – weil sie aus finanziellen Gründen auf ein Zusatzeinkommen angewiesen sind oder weil sie gerne arbeiten und die sozialen Kontakte des Arbeitsplatzes nicht aufgeben möchten. Arbeitgeber sollten diesen Personen flexible Arbeitsmodelle bereitstellen und mit ihnen schon vor Erreichen des Pensionsalters mögliche Zukunftsperspektiven – und die Auswirkungen auf die Pensionsleistungen – besprechen. Das ist auch im eigenen Interesse des Unternehmens, weil das Know-how und die Berufserfahrung älterer Mitarbeitenden dem Unternehmen viel Mehrwert bringen und die Fluktuation unter älteren Angestellten deutlich geringer ist als bei jüngeren. 

Und nicht zuletzt ist auch der Regulator gefordert, die Probleme der Vorsorgewerke endlich nachhaltig anzugehen. Er muss die starren BVV2-Anlagerichtlinien anpassen, die teilweise aus einer Zeit stammen, in der die Renditen von Bundesobligationen nicht negativ waren, sondern zehnjährige «Eidgenossen» vier bis fünf Prozent per anno abwarfen. 

Porträt