Finanzen & Vorsorge

Rechnungswesen: Kosten- und Preisermittlung (Teil 1 von 2)

Welche Kalkulationsmethoden zeitgemäss sind

Der ursprüngliche Zweck einer Kalkulation ist, den kostendeckenden Verkaufspreis zu ermitteln. Das Ermitteln des Vollkostenpreises steht heute jedoch nicht mehr im Mittelpunkt; eine relevante Rolle hat der Marktpreis übernommen. Welche Instrumente der Kalkulation den heutigen Rahmenbedingungen entsprechen, zeigt dieser Beitrag.
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Es erklärt der Buchhalter seinem Chef, dem Unternehmer, dass er mit dem Produkt «X» keinen Gewinn mache. Der Unternehmer jedoch, der Nachfrage und seinem Marktgespür folgend, steigert den Absatz dieser Leistung und weist am Ende des Jahres einen erfreulichen Gewinn aus. Wer hat nun Recht, der Buchhalter oder der Unternehmer?

Kalkulieren wir richtig?

Die Kalkulation hatte ursprünglich den Zweck, den kostendeckenden Verkaufspreis zu ermitteln. Die Kosten dienten der Berechnung des anzubietenden Preises und dabei ging es in erster Linie um die «gerechte» Umlegung der Kostenarten über die Kostenstellen auf die Kostenträger. Daraus entstand die Zuschlagskalkulation, deren Aufgabe es war, den Vollkostenpreis festzulegen. Dies ist zwar auch heute noch so, aber die Problemstellung müsste anders formuliert werden. Im Käufermarkt, wie er heutzutage in den meisten Branchen der Normalfall ist, hat der Vollkostenpreis häufig lediglich einen informatorischen Wert. Was unser Verhalten und unsere Strategien bestimmt, ist der Marktpreis. Jedes Produkt sowie jede Dienstleistung haben auf Grund des Nutzens für den Käufer einen Wert, den wir als Marktwert bezeichnen. Es ist der Preis, den die Kundschaft in einem bestimmten Marktsegment für die angebotene Leistung – unter Berücksichtigung zeitlicher, qualitativer, quantitativer und psychologischer Aspekte – zu zahlen bereit ist.

Kalkulation schafft Klarheit

In einer solchen Situation ist es eine erweiterte und erstrangige Aufgabe der Kalkulation, Informationen zur Verfügung zu stellen, mit denen sich die Unternehmerschaft Klarheit über die folgenden Punkte verschaffen kann:

  1. Können wir zu diesem Marktpreis anbieten? Welche Konsequenzen hat dies?
  2. Zu welchen Schlussfolgerungen führen diese Erkenntnisse?
  3. Was muss getan werden, um in diesem Markt zu bestehen? (bezüglich der Sortiments- und Investitionspolitik, der Unternehmens­grösse, der Diversifikationsüberlegungen, der Make-or-buy-Erwägungen, der Standortfragen, der Ausstiegsstrategien und so weiter)

Für solche Überlegungen sind die schwerpunktmässig in der Vollkostenrechnung eingesetzten Instrumente nicht geeignet. Die Betriebswirtschaftslehre (BWL) kennt Alternativen, aber ihr Stellenwert wurde den veränderten Rahmenbedingungen der Praxis, zumindest in Bezug auf die Kleinunternehmen, nicht gebührend angepasst.

Eine Lösung stellt die Deckungsbeitragsrechnung dar. Grundsätzlich geht es darum, dass wir mit einer Leistung beziehungsweise einem Auftrag keinen Gewinn erwirtschaften, sondern einen Deckungsbeitrag generieren. Erst die Summe aller Deckungsbeiträge einer Periode in Gegenüberstellung zu den Gemeinkosten entscheidet über Gewinn und Verlust. Diese Tatsache, die an sich nichts Neues ist, bildet die erweiterte Aufgabe der Kalkulation. Sie soll sicherstellen, dass wir die für unser Unternehmen richtig positionierten Aufträge annehmen und andererseits nicht mit den sogenannten «gewinnbringenden» Produkten Schiffbruch erleiden, weil die tatsächliche Absatzmenge den Annahmen, die der Berechnung der Zuschläge zu Grunde lagen, nicht entspricht.

Die Zuschlagskalkulation, deren Grundlagen bereits in den Anfängen der industriellen Revolution, also vor über 250 Jahren, gelegt wurden, ist auch heute noch – praktisch unverändert – gelehrte und verbreitete Kalkulationsmethode. So ist der meist verbreitete Irrtum der Betriebswirtschaftslehre (BWL) entstanden. Die Frage, warum dem so ist, ist einfach erklärbar: Die Methode ist ein­leuchtend und einfach. Und der Preis lässt sich durch eine einfache Kopfrechnung ermitteln.

Dem Einkaufspreis beziehungsweise den Herstellkosten werden Zuschläge für Verwaltung und Vertrieb über einen Faktor zugerechnet. Vereinfacht praktiziert wird der Einstandspreis mit einem Faktor multipliziert, die Personalkosten Produktion mit einem anderen Faktor, und durch Addition der beiden erhält man den Selbstkostenpreis, den man nach dem Zuschlag für Gewinn, Skonto und Rabatt auf den Verkaufspreis (Angebotspreis) erhält. Diese Methode hat drei grosse, unüberbrückbare Nachteile:

  • Die Zuschläge werden in der Regel von den Berufsverbänden empfohlen. Es sind Durchschnittswerte der Branche, welche die Besonderheiten des eigenen Betriebes, insbesondre dessen Struktur, unberücksichtigt lassen.
  • Es fehlt eine Aussage über die Grenzkosten. Diese fehlende Transparenz macht es dem Anbieter unmöglich, seine zulässige Preisuntergrenze zu kennen, um über die Annahme/Ablehnung des Auftrages zu entscheiden. Das Ergebnis ist: Bauchentscheide!
  • Unsere Angebotspalette besteht aus mehreren Leistungsbereichen, die unterschiedliche Marktpreise aufweisen. Ergo müssten sich die Zuschläge für jeden Leistungsbereich voneinander unterscheiden. Diesem Umstand wird in der Regel keine systematische Beachtung geschenkt.

Die Quersubventionierung

Dem Begriff «Quersubventionierung» haftet etwas Anrüchiges an. Er vermittelt den Eindruck, es habe mit etwas Unrentablem, ja sogar Parasitenhaftem zu tun, wenn ein schwächeres Glied (Produkt, Abteilung, Filiale) durch die stärkeren Artgenossen mitgetragen werden muss. Die Quintessenz «hätten wir dies nicht, so würde es uns besser gehen» ist manchmal richtig, kann aber auch kurzsichtig sein. Eine undifferenzierte negative Einstellung zur Quersubventionierung kann zu falschen Entscheidungen führen. Es geht primär darum, abzuwägen, welche Entscheidung im jeweiligen Fall die richtige wäre.

Denn auf die Entscheidung kommt es an. Bekanntlich ist Erfolg die Summe der richtigen Entscheidungen, und der Entscheid über die Annahme /Ablehnung eines Auftrages beziehungsweise die damit verbundene Strategie kann für die Existenz des Unternehmens matchentscheidend sein.

In der Natur ist die Quersubventionierung eine Selbstverständlichkeit. Die Schwächung eines einzelnen Muskels führt dazu, dass andere Muskelpartien bemüht sind, den Nachteil aufzufangen, die Schwachstelle sozusagen im Interesse des gesamten Organismus zu subventionieren. Auch das Unternehmen ist ein Gesamtorganismus und muss als solcher betrachtet und behandelt werden. Also ist nicht jede Quersubventionierung zwingend falsch. Es ist eine Optimierungsaufgabe, die sich an der Gesamtrendite des Unternehmens orientieren muss, und zwar in Abhängigkeit von der aktuellen Marktsituation:

  • Marktsituation 1: Der boomende Markt (Hochkonjunktur, Verkäufermarkt)
  • Marktsituation 2: Der gesättigte Markt (Normalkonjunktur, Käufermarkt)

Der boomende Markt

Der «boomende Markt» ist durch eine starke Nachfrage gekennzeichnet; es können fast beliebig grosse Mengen von Produkten zu relativ guten Preisen mit einer hohen Produkt-Rendite abgesetzt werden. In diesem Fall ist die Kapazität das Kriterium. Und die Kapazität kann durch räumliche, personelle, finanzielle sowie weitere Faktoren der Produktion zu einem Engpass werden. Auch die Führungsverantwortlichen können an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stossen. Die Problemstellung in der «Marktsituation 1» lautet darum: Welcher Produktemix ergibt bei der gegebenen Kapazität die beste Gesamtrendite?

Der gesättigte Markt

Demgegenüber ist ein «gesättigter Markt» in der Regel ein Käufermarkt. Durch das vorhandene Angebot (oder Überangebot) hat der Käufer eine grössere Auswahl an Möglichkeiten und sitzt somit am längeren Hebel als der Lieferant (Hersteller, Leistungserbringer, Händler). Auch in diesem Fall lautet die Aufgabe «Gesamt­rendite maximieren», doch die Bedingungen sind anders. Die Optimierung im gesättigten Markt wird durch die Nachfrage dominiert.

Dies verlangt von uns die Fähigkeit, uns durch ein vom Kunden akzeptiertes (und darum konkurrenzfähiges) Preis-Leistungs-Verhältnis auf dem Markt zu behaupten. Wir können hierbei nicht vorwiegend oder ausschliesslich die für uns rentabelsten Produkte anbieten und weniger rentable zurückstellen, wenn für die rentableren Produkte kein (für uns) ausreichender Markt vorhanden ist. In einer solchen Marktlage ist nicht die Kapazität, sondern die für eine bestimmte Leistung begrenzte Grösse des Marktes ausschlaggebend. Die Problemstellung in der «Marktsituation 2» lautet daher: Welche Menge unserer verschiedenen Leistungen (beziehungsweise unseres Produktemixes) lässt sich zu einem bestimmten Preis absetzen?

Alternativlose Lösung

Die Lösung dieser weniger komfortablen Optimierungsaufgabe ist in diesem Fall deshalb «einfach», weil es keine Alternative gibt: Jedes verkäufliche Produkt, das einen Deckungsbeitrag hergibt, wird im Sortiment behalten, wenn sich bei einer gegebenen Kapazität rentablere Produkte nicht in grösseren Mengen absetzen lassen.

Vom Standpunkt der Vollkostenrechnung haben wir es hier möglicherweise mit einer «Quersubventionierung» zu tun, weil die Gefahr besteht, dass die Produkte mit dem kleineren Deckungsbeitrag (also mit der geringeren Marge) nicht einen angemessenen Anteil der Fixkosten tragen. Bei einer Vollkostenrechnung wären solche Produkte als Verlustobjekte ausgewiesen, was im gesättigten Markt ein falscher Entscheid wäre. Die Deckungsbeitragsrechnung «zwingt» uns die ganzheitliche Betrachtung im Interesse des gesamten betriebswirtschaftlichen Organismus buchstäblich auf. Sie erlaubt uns sogar Aufträge anzunehmen, die einen negativen Deckungsbeitrag ergeben, jedoch aus strategischen Erwägungen im Sortiment belassen werden müssen.

Die Quintessenz

In den oben behandelten Marktsituationen (Verkäufermarkt versus Käufermarkt) ging es uns um die Maximierung der Gesamtrendite des Unternehmens in einer bestimmten Zeitperiode. In beiden Fällen streben wir den optimalen Produktemix an, in einem Fall bei einer «begrenzten Kapazität» und im anderen Fall bei einer «begrenzten Nachfrage». Wir haben einfachheitshalber die Aufgabe der maximalen Gesamtrendite auf die Betrachtung des maximalen Deckungsbeitrags reduziert, was für eine erste Betrachtung absolut ausreichend ist. Wichtig dabei ist das genaue Verstehen der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Kosten und Preis sowie die Klarstellung, was bei der Annahme eines Auftrages kostendeckend bedeutet.

Teil 2 dieses Beitrages befasst sich mit dem Thema Entscheid über Annahme/Ablehnung eines Auftrages.

Porträt