Finanzen & Vorsorge

Mehrwertsteuer-Gesetze

Umsatzsteuer der EU – Fehler und Bussen vermeiden

Für Schweizer Unternehmen ist es nicht einfach, bei Geschäften in der EU mit der Umsatzsteuer alles richtig zu machen. Denn die Europäische Mehrwertsteuersystemrichtlinie wird von den Mitgliedstaaten bei Weitem nicht einheitlich umgesetzt. Es drohen Bussen und Strafverfahren. Zwei Beispiele zeigen gängige Fehler in Schweizer Unternehmen.
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Zwar stützen sich die Mehrwertsteuergesetze aller 28 EU-Mitgliedstaaten auf die sogenannte Europäische Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Die Art und Weise, wie die Vorschriften umgesetzt werden, liegt aber oft bei den Mitgliedsländern. Dadurch kommt es in der Praxis dazu, dass ein und dieselbe Transaktion in den einzelnen Mitgliedstaaten ganz anders behandelt werden muss. Darüber hinaus gibt es verschiedene Varianten der Interpretation dieser Rechtsgrundlage sowie die Möglichkeit von sogenannten «Kann»-Bestimmungen in der EU-Richtlinie, die besagen: Ein Mitgliedstaat kann eine gewisse Regelung übernehmen, muss es aber nicht. Und als wäre das nicht schon genug, so gibt es dann noch die lokale Finanzpraxis der einzelnen Steuerbehörden.

Schweizer Unternehmen sind den zuweilen «scharfen Wind» der ausländischen Steuerbehörden nicht gewöhnt: Wer etwas falsch macht, bekommt heute relativ schnell das Wort «Steuerhinterziehung» zu hören, und das mit allen rechtlichen Konsequenzen von etwaigen Bussgeldern bis hin zu Steuerstrafverfahren. In diesem Artikel möchten wir unsere Erfahrungen anhand von zwei typischen Beispielen (EU-Reihengeschäfte sowie EU-Verzollung) teilen und die gängigen Fehler aufzeigen, die Schweizer Unternehmen im Bereich der EU-Umsatzsteuer machen.

EU-Reihengeschäfte

Die Königsdisziplin bei der korrekten Abwicklung der europäischen Umsatzsteuer sind sogenannte Reihengeschäfte: Gemäss klassischer Definition sind das Umsatzgeschäfte, die mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand abschliessen und bei denen dieser Gegenstand unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt. Ein Beispiel: Die Müller GmbH benötigt neue Sessel und bestellt diese beim Schweizer Unternehmer Meier AG. Da die Meier AG die Sessel selbst nicht am Lager hat, bestellt sie selbst die Sessel bei der Huber AG. Die Sessel werden direkt von der Huber AG an die Müller GmbH transportiert.

Schweizer Unternehmen sind in der Europäischen Union vielfach als Mittelsmann in solchen Reihengeschäften tätig. Anhand des Beispiels von oben könnte das so aussehen: Die Schweizer Meier AG kauft Sessel von der deutschen Huber AG und verkauft diese an die ebenfalls deutsche Müller GmbH. Die Sessel werden direkt von der Huber AG in zum Beispiel München zur Müller GmbH als Abnehmer in Berlin transportiert.

In diesem Beispiel bleiben die Sessel immer in Deutschland, obwohl die erste Rechnung an die Meier AG und damit in die Schweiz gestellt wird, und die Meier AG aus der Schweiz heraus an ihren Kunden fakturiert. Da aber die Sessel Deutschland nicht verlassen, unterliegen alle Verkäufe der deutschen Mehrwertsteuer. Der Schweizer Mittelsmann Meier AG muss sich somit in Deutschland für Zwecke der Umsatzsteuer erfassen lassen.

Lieferungen im Ausland

Im Fall von Deutschland weisen auch beide Lieferanten – die deutsche Huber AG und die Schweizerische Meier AG – deutsche Umsatzsteuer in ihren Rechnungen aus. In anderen europäischen Ländern ist das nicht immer der Fall – der erste Fallstrick bei Lieferungen im Ausland. In Länder wie beispielsweise Frankreich, Belgien und Italien – um nur ein paar zu nennen – kann es sein, dass die Schweizerische Meier AG in ihrer Rechnung gar keine lokale Umsatzsteuer ausweisen darf. Der Käufer der Sessel muss dann die Umsatzsteuer ähnlich wie bei der Bezugsteuer in der Schweiz selbst abrechnen.

Was passiert, wenn das der Meier AG nicht bewusst ist, und sie zum Beispiel französische Umsatzsteuer in Rechnung stellt? Dann muss die Meier AG die Umsatzsteuer dem französischen Fiskus überweisen. Der französische Kunde der Meier AG kann die Umsatzsteuer aber nicht als Vorsteuer geltend machen, obwohl er sie bezahlt hat und muss zusätzlich noch selbst über die Umsatzsteuer abrechnen. Hier entstehen also zusätzliche Kosten in der Höhe von etwa 20 Prozent bzw. steht die Frage im Raum, ob und wie und mit welchem Aufwand sich die Situation bereinigen lässt.

Überschreiten die Gegenstände im Zuge der Lieferung vom ersten Unternehmer zum letzten Unternehmer eine der EU-Grenzen, wird die Sache noch komplexer. Passen wir unser Beispiel an: Die österreichische Schneider GmbH bestellt ebenfalls Sessel bei der Schweizer Meier AG (Rechnung 2). Die Meier AG wiederum bestellt die Sessel bei der Huber AG in München (Rechnung 1). Die Meier AG als mittlere Partei beauftragt den Spediteur damit, die Sessel bei der Huber AG in Deutschland abzuholen und zur Schneider GmbH in Österreich zu transportieren. Die Meier AG ist in Deutschland schon für Zwecke der Umsatzsteuer registriert. Sie stellt ihre Rechnung an die Schneider GmbH unter ihrer deutschen Umsatzsteueridentifikationsnummer.

Keine klare Rechtsprechung

Die Beurteilung eines solchen EU-Reihengeschäftes ist spätestens nach diversen Gerichtsurteilen des Europäischen Gerichtshofes wie «EMAG Handel» oder «Euro Tyre Holding BV» zu einer eigenen Wissenschaft geworden. Die Schwierigkeit liegt hierin: Bis die Sessel in Österreich ankommen, finden zwei Umsätze beziehungsweise zwei Lieferungen statt. Obwohl die Sessel eine Landesgrenze überschreiten (was ja oft mit «Steuerfreiheit» in Verbindung gebracht wird), kann nur eine der beiden Lieferungen steuerfrei belassen werden.

Auf die andere muss Umsatzsteuer abgerechnet werden. Aber welche ist nun die steuerfreie Lieferung, und welche die steuerbare? Und muss deutsche oder österreichische Umsatzsteuer verrechnet werden? Gemäss dem Europäischen Gerichtshof ist das von einer «umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände» abhängig. Dazu gehört unter anderem die Frage, wer wann Verfügungsmacht über die Waren hat, wer für den Transport zuständig ist, und unter welchen Incoterms die Waren geliefert werden.

Die Finanzpraxis der Länder Deutschland und Österreich ist diesbezüglich – Stand von Herbst 2015 – noch relativ eindeutig. Ihre Finanzpraxis stützt sich hauptsächlich darauf, welcher Unternehmer den Transport der Waren veranlasst. Aufgrund der eingangs erwähnten Anwendungsunterschiede in den einzelnen Ländern kann es, wie wir im Folgenden aufzeigen wollen, trotzdem zu einem Annahmefehler kommen, der viel Geld kosten kann. Die Abbildung oben
illustriert dieses Reihengeschäft.

Das Reihengeschäft kann mittels einer Sonderregelung der deutschen Finanzverwaltung so ausgestaltet werden, dass die Schweizer Meier AG als sogenannter «Lieferer» auftritt. Das bedeutet, dass die erste Lieferung an die Meier AG als lokale Lieferung in Deutschland (Rechnung mit deutscher Umsatzsteuer) und die zweite Lieferung an die Schneider GmbH als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung von Deutschland nach Österreich behandelt wird.

Für die Meier AG von Vorteil: sie arbeitet unter ihrer vorhandenen deutschen Steuernummer. Dies wird im Regelfall durch die Verwendung der eigenen deutschen Umsatzsteueridentifikationsnummer gegenüber dem Lieferant in Deutschland und der Verwendung der Incoterms EXW in der ersten Transaktion und der beispielsweisen Verwendung des Incoterms DAP in der zweiten Transaktion erreicht. Diese ist die Beurteilung aus Sicht der deutschen Finanzbehörde. Doch wie beurteilen die Steuerbehörden aus anderen EU-Mitgliedstaaten dieses Reihengeschäft?

Hier dasselbe Beispiel aus Sicht des letzten Abnehmers in Österreich: Sofern der Schweizer Mittelsmann Meier AG den Transport der Waren organisiert, ist die österreichische Finanzbehörde folgender Ansicht: Die innergemeinschaftliche Lieferung von Deutschland nach Österreich ist aus österreichischer Sicht die erste Lieferung. Das bedeutet, dass die deutsche Huber AG eine Rechnung ohne Umsatzsteuer ausstellen muss. Da nur eine Lieferung steuerfrei sein kann, muss die Meier AG in ihrer Rechnung an die Schneider GmbH Umsatzsteuer ausweisen, und weil der Warentransport in Österreich endet, muss sie österreichische Umsatzsteuer verrechnen.

Somit muss sich der Schweizer Mittelsmann Meier AG in Österreich umsatzsteuerlich registrieren lassen, damit er seine umsatzsteuerlichen Pflichten erfüllen kann, das heisst den innergemeinschaftlichen Erwerb und die lokale österreichische Lieferung deklarieren. Dem Mittelsmann aus der Schweiz, der diese Regelung eventuell nicht kennt, und der die Geschäfte nach deutscher Interpretation abgewickelt hat, drohen im Ernstfall Strafen, Bussgelder und im schlimmsten Fall sogar ein Finanzstrafverfahren.

Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten bei der umsatzsteuerlichen Beurteilung von Reihengeschäften verschiedene Ansichten haben können. Solange die Europäische Union in ihren Urteilen keine klaren Worte findet, muss eine Abklärung daher immer im Abgangs- und im Bestimmungsland der Ware gemacht werden, da ein Unternehmer nicht davon ausgehen kann, dass EU-Mitgliedstaaten dieselben Regelungen anwenden.

EU-Verzollung

Eine andere sehr beliebte Möglichkeit für Schweizer Unternehmen, um Geschäfte mit EU-Kunden zu machen, ist die Anwendung der sogenannten EU-Verzollung. Schweizer Unternehmen haben hier die Möglichkeit, Waren bereits verzollt und versteuert an ihre EU-Abnehmer zu liefern. Dabei wird die Ware unter Anwendung des Zollverfahrens 4200 an einer der Grenzen zwischen der Schweiz und der EU (Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien) zum freien Verkehr abgefertigt.

Eine Bedingung für die EU-Verzollung und die Anwendung des Zollverfahrens 4200 ist, dass der Kunde in einem anderen EU-Mitgliedstaat als im Mitgliedstaat der Einfuhr bereits feststeht und eine innergemeinschaftliche Lieferung an diesen EU-Kunden getätigt werden kann. Das heisst, der Kunde muss eine gültige Umsatzsteueridentifikationsnummer besitzen. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass eine Befreiung für die Einfuhrumsatzsteuer zur Anwendung kommen kann. Zoll wird allerdings weiterhin geschuldet.

Registrierungsfragen

Auch das wollen wir anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen: Die Meier AG produziert in der Schweiz Tische. Ein Kunde aus Österreich hat nun Tische bestellt. Die Meier AG hat die Möglichkeit, die Tische direkt von der Schweiz nach Österreich zu transportieren und in Österreich zu importieren. In diesem Fall fällt Einfuhrsteuer von 20 Prozent an. Je nach vereinbarten Lieferkonditionen muss die Meier AG oder die Schneider GmbH die Einfuhrsteuer zahlen. Ist es die Meier AG, muss diese dazu in Österreich umsatzsteuerlich registriert werden.

Wendet die Meier AG dagegen die EU-Verzollung an, werden die Tische in Deutschland importiert. Da die Waren anschliessend an die Schneider GmbH in Österreich weitertransportiert werden, ist die Einfuhr in Deutschland von der Einfuhrsteuer befreit. Und da die Meier AG in Deutschland schon registriert ist, ergeben sich aus der Einfuhr und der innergemeinschaftlichen Lieferung keine weiteren mehrwertsteuerlichen Pflichten.  

Die EU-Verzollung kann einerseits mit einer eigenen umsatzsteuerlichen Registrierung abgewickelt werden wie im Beispiel oben, andererseits können aber auch die Dienste eines Fiskalvertreters in Anspruch genommen werden. In diesem Fall ist keine eigene umsatzsteuerliche Registrierung des Schweizer Unternehmers erforderlich, da die Einfuhrverzollung über eine separate «Sonder-Umsatzsteueridentifikationsnummer» des Spediteurs resp. Fiskalvertreters abwickelt wird.

Die häufigsten Fehler

In der Praxis muss der Prozess der EU-Verzollung gut aufgesetzt sein, und eine gute Kommunikation zwischen dem Schweizer Lieferer und den Spediteuren bzw. den Zollagenten ist wichtig. Hier einige der häufigsten Fehler, die in diesem Zusammenhang passieren:

  • Die Anwendung der EU-Verzollung via Fiskalvertreter, obwohl der Unternehmer im Land der Einfuhr selbst umsatzsteuerlich registriert ist. Beide Verfahren nebeneinander schliessen sich aus.
  • Lokale Lieferungen an Kunden im Mitgliedstaat der Einfuhr und trotzdem die Einfuhr via Fiskalvertreter vornehmen. Beispielsweise ist die Bestellung eines Fiskalvertreters für EU-Verzollung in Deutschland und der Verkauf von verzollter und versteuerter Ware an deutsche Kunden nicht möglich.
  • Die Einreichungen von Vorsteuervergütungsanträgen im Land der Einfuhr ist grundsätzlich nicht möglich.
  • Formelle Fehler bei der Abwicklung der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung wie zum Beispiel eine nicht korrekte Umsatzsteueridentifikationsnummer des EU-Kunden, eine inkorrekte Rechnungsstellung, Fehlen von Belegnachweisen für die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung etc.

Oft kommt es zu inkorrekten Abwicklungen wegen fehlender Kommunikation zwischen Logistikabteilung und Buchhaltung/Steuerabteilung. Bei einem fehlerhaften EU-Verzollungsprozess befasst sich nicht nur die jeweilige Steuerbehörde mit dem Fall, gleichzeitig ist auch die Zollbehörde involviert. Auch hier drohen Strafen, Bussgelder, Vor­auszahlung der Einfuhrumsatzsteuer bis hin zu einem Finanzstrafverfahren.

Diese beiden Fälle zeigen, dass Geschäfte im EU-Ausland mit grosser Sorgfalt getätigt werden müssen, da eine fehlerhafte Abwicklung zu finanziellen Konsequenzen führen kann.