Finanzen & Vorsorge

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Trennungskosten zielorientiert und effektiv bestimmen

Die Trennung von Unternehmensteilen, ein sogenannter Carve-out, kann teuer werden. Die Trennung der IT spielt dabei eine entscheidende Rolle, da sie in den meisten Unternehmen das Rückgrat der Geschäftstätigkeiten ist und typischerweise die höchsten Trennungskosten verursacht. Der Beitrag zeigt, welches Vorgehen besonders effizient ist.
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Siemens, BASF und Boehringer Ingelheim machen es erfolgreich vor: Die Konzerne formieren sich mit Teilverkäufen von Geschäftsbereichen und Tochterunternehmen kontinuierlich konsequent neu. Oft geht dem ein Carve-out voran, also die Separierung von Unternehmensteilen oder Geschäftsbereichen. Ein Carve-out ist ein hochkomplexer Prozess, betrifft er doch Organisation, Mitarbeiter, Prozesse, Verträge, Genehmigungen und Technologie in fast allen Geschäftsfunktionen.

Keine Top-down-Daumenregel

Die Praxis zeigt, dass Zeit- und Budgetvorgaben für Carve-outs häufig überschritten werden. Insbesondere hier im Fokus: die IT, deren Separierung oft 50 Prozent und mehr der Kosten ausmacht. Die Ursachen sind vielfältig: unklare Abgrenzung der Zuständigkeiten, lückenhafte Erhebung oder Formulierung der Anforderungen oder unvollständige Berücksichtigung der Abhängigkeiten zwischen den Funktionen.

Der Finanzvorstand, der Carve-out-Programmleiter und die M&A-Abteilung fordern zügig nach getroffener Entscheidung für einen Carve-out eine Kostenabschätzung aller involvierten Geschäftsfunktionen. Fehleinschätzungen führen zu falschen Entscheidungen, zum Beispiel bei der Bestimmung des Verkaufspreises, Einschätzung von Risiken innerhalb der Vendor Due Diligence (eine Due-Diligence-Prüfung, welche vom Verkäufer beauftragt wird und von unabhängigen Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern durchgeführt wird) oder Festlegung des Carve-out-Umfangs. 

Vielfach werden die Stimmen laut nach einer Daumenregel (zum Beispiel X Prozent des Umsatzes) oder statistischen Erfahrungswerten (zum Beispiel durchschnittliche Kosten pro Mitarbeiter der ausgegliederten Einheit aus vergangenen Carve-outs) – speziell bei den IT-Kosten.

Auch wenn diese Top-down-Ansätze sehr schnell ans Ziel führen würden, werden diese zumeist der Komplexität eines Carve-outs nicht gerecht und berücksichtigen gegebenenfalls nicht den Grad der Eigenständigkeit der auszugliedernden Einheit, da diese zum Beispiel zugekauft und nie vollständig integriert wurde. Die Datenpunkte der Abbildung 1 untermauern diese Aussage und zeigen beispielhaft die grosse Schwankungsbreite bei den IT-Carve-out-Kosten.

Die Bottom-up-Vorgehensweise

In der Praxis hat sich folgende Vorgehensweise bewährt:

1. Zu berücksichtigende Kostenkategorien bestimmen/auswählen.
2. Ist-Zustand bestimmen und Zielzustand pro Kostenkategorie basierend auf der Carve-out-Strategie skizzieren und abstimmen.
3. Die 80:20-Regel der Abschätzung der Kosten pro Kostenkategorie anwenden.

Geschwindigkeit und Präzision des Vorgehens werden dabei durch folgende Randbedingungen befördert:

  • Es wurden klare Richtlinien der Gesamtprogrammleitung, was im Einzelnen ausgegliedert werden soll und wie die Geschäftsausgliederung ablaufen soll, kommuniziert und festgeschrieben.
  • Es liegt eine umfassende und aktuelle Dokumentation der gesamten IT-Landschaft vor, die die ausgliederte Einheit momentan nutzt. 
  • Die Verfügbarkeit der Wissensträger innerhalb der IT, die die IT-Carve-out-Kosten pro Applikation oder Infrastruktur-Komponente abschätzen können, ist gewährleistet. 
  • Alle Beteiligten sind gewillt, eine Kostenabschätzung inkl. Annahmen zu erstellen (das nennt man: Mut zur Lücke). 
  • Die IT praktiziert eine proaktive Kommunikation an die Gesamtprogrammleitung (bezüglich Zeitachse, Fortschritt und Annahmen/Begründung der Kostenschätzung).

1. Bestimmung der Kostentreiber

Zur pragmatischen Bestimmung der IT-Carve-out-Kosten gilt es, im ersten Schritt die Kostentreiber im Einzelnen zu betrachten. Die grössten Positionen stellen sicherlich die Trennung der IT-Applikationen, allen voran des ERP-Systems, und die Trennung der IT-Infrastruktur (unter anderem Rechenzentrum, Netzwerk) dar. Des Weiteren gilt es, die lokale IT an den Standorten, mögliche Dis-Synergien durch Trennung der IT-Verträge und Software-Lizenzen sowie die meist zeitaufwendige Erstellung des IT-Transitional-Service-Agreements zu berücksichtigen. Wenn nicht vertraglich geregelt, sollten Datenarchivierungsaktivitäten in der Kostenschätzung beachtet werden (Abb. 2).

Kosten für das Programm-Management inklusive Project Management Office (PMO), Anpassung des IT-Betriebsmodells der ausgliederten Einheit, Länderkoordination und Kommunikation erhöhen die Trennungskosten in der Regel um 10 bis 15 Prozent. Zudem sollte eine Kostenreserve von 5 bis 10 Prozent eingeplant werden. In einigen Fällen sind auch noch Mitarbeiterkosten (z.B. Abfindungen, falls kein Betriebsübergang stattfindet) zu berücksichtigen. Allerdings budgetiert typischerweise die Personalabteilung dieses Thema ganzheitlich über alle Funktionen.

2. Ist-Zustand bestimmen und Zielzustand skizzieren

Bevor man an die Abschätzung der oben aufgeführten Kostenkategorien geht, benötigt man Klarheit über den Ist- und den Ziel-Zustand der IT nach dem Carve-out. Bei der Aufnahme des Ist-Zustands der IT der auszugliedernden Einheit sollten die folgenden sieben Punkte berücksichtigt werden:

  • Anzahl und Art gemeinsamer und dedizierter Applikationen;
  • IT-Infrastruktur: Netzwerk-Topologie, gemeinsame und dedizierte Rechenzentren, Kommunikation und Endgeräte;
  • Integrationstiefe der Applikationen und IT-Infrastruktur;
  • IT-Verträge: die wichtigsten / umsatzgrössten 10 bis 20 gemeinsam genutzten IT-Verträge (Software, Hardware und IT-Dienstleistungen);
  • IT-Organisation: dedizierte und gemeinsam genutzte Mitarbeiter; 
  • Länder, d. h. Anzahl und Art der Standorte (z. B. gemeinsam genutzt);
  • IT-Kosten der auszugliedernden Einheit.

Parallel gilt es, mit der Gesamtprojektleitung die allgemeinen Carve-out-Richtlinien für die IT herunterzubrechen, um eine Indikation für das prinzipielle Vorgehen und mögliche Endszenarien pro IT-Bereich zu erarbeiten. Beispielsweise leitet sich daraus ab, ob der ausgliederten Einheit nur Datenkopien der Applikationen mitgegeben werden (zum Beispiel, weil diese in ein anderes Unternehmen integriert wird) oder eine Applikation vollständig kopiert und von Mutterkonzern-Daten bereinigt wird (zum Beispiel, weil die auszugliedernde Einheit operativ eigenständig sein soll).

Typischerweise möchte sich die Gesamtprogrammleitung zu diesem frühen Zeitpunkt alle Optionen offenhalten. Die IT begegnet dieser Planungsungewissheit am besten, indem sie bis Day 1 (operative Separierung) nur die absolut notwendigen logischen Trennungsschritte bezüglich Applikationen und Infrastruktur vollzieht. Die zeit- und kostenaufwendige physische Trennung der Applikationen und IT- Infrastruktur erfolgt nachgelagert zum Day 2 (vollständige Eigenständigkeit), wird aber im Vorfeld des Day 1 detailliert geplant. Die Zwischenzeit (Day 1 bis Day 2) wird mit sogenannten Transitional Service Agreements (TSAs) überbrückt. Für IT-Verträge und IT-Organisation ist dies in den meisten Fällen nicht empfehlenswert, und eine Trennung bis zum Day 1 sollte voll­zogen sein. Als Gründe sind die Ausnutzung der Einkaufsmacht des Mutterkonzerns und der in den meisten Ländern nur einmalig mögliche Mitarbeiterübergang zu nennen.

3. Kosten pro Kostenkategorie

Für eine erste Kostenindikation bei der Trennung der Applikation identifiziert man die 20 komplexesten oder nach Wartungsaufwand teuersten Applikationen. Gemeinsam mit den Verantwortlichen der IT schätzt man grob die Personentage ab, die für die Trennung entsprechend dem gewählten Endszenario benötigt werden. Hierzu kategorisiert man diese von S (entspricht zum Beispiel einem Aufwand von 10 bis 20 Personentagen) bis XXL (400 bis 600 Tage). Für die restlichen Applikationen veranschlagt man weitere 20 Prozent der geschätzten Kosten (80:20-Regel). 

Für die IT-Infrastruktur und die Trennung der Standort-IT geht man analog vor. Für die Separierung der IT-Verträge, Lizenzen und Erstellung des IT-TSAs schätzt man je nach Vertragsanzahl und Leistungsvermögen des Vertragsmanagements ein dediziertes Team von drei bis fünf Personen mittels Personentage mal Tagesrate ab. In einem zweiten Schritt schätzt man analog den Applikationen für die 10 bis 20 IT-Lieferanten mit den grössten Ausgaben 
die entstehenden vertraglichen Dissynergien (zum Beispiel reduzierte Mengenrabatte) und Residualkosten (zum Beispiel gekaufte, aber nicht mehr benötigte Server) ab. 

Anschliessend extrapoliert man diese auf die gesamten Lieferantenkosten der IT. Durch ein solches Vorgehen erhält man innerhalb von ein bis zwei Tagen einen IT-Carve-out-Kostenkorridor.

Dieser kann im Anschluss durch Einbezug aller zu trennenden Applikationen, Infrastrukturthemen und Standorte sowie der Verträge weiter detailliert werden. Typischerweise steht nach zwei bis drei Wochen ein belastbares IT-Carve-out -Kostenbudget zur Verfügung. 

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