Finanzen & Vorsorge

Konjunktur und Geldmarkt

Der lange Weg aus den Negativzinsen

Derzeit befinden sich die Märkte in einer Phase der Neuorientierung. Erst wenn mehr Klarheit herrscht, welche Marktkräfte die Oberhand gewinnen, wird sich ein neuer Trend etablieren. Derweil werden uns die Negativzinsen in der Schweiz noch eine ganze Weile begleiten.
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2017 gab es einige potenzielle Störfaktoren für die Märkte: Die Wende in der Geldpolitik, die Befürchtung eines Inflationsanstiegs und höherer Zinsen oder politische Unwägbarkeiten (unter anderem US-Innenpolitik, Nordkorea-Konflikt, diverse Wahlen). Die Märkte zeigten sich von alldem jedoch unbeeindruckt. Anders in diesem Jahr. Im Januar zogen die Kapitalmarktzinsen markant an und der über Erwarten starke Anstieg der US-Löhne liess Inflationsängste sowie Sorgen um eine restriktivere Geldpolitik aufkommen. Dies brachte das Fass zum Überlaufen. Die Aktienkurse gaben deutlich nach. Mit dem Handelsstreit zwischen den USA und China kam eine politische Komponente hinzu, welche die Märkte nicht zur Ruhe kommen lässt.

Neuorientierung

Wie geht es weiter? Derzeit befinden sich die Märkte in einer Phase der Neuorientierung. Es gibt einige Faktoren, welche die nächste grössere Bewegung auslösen können. Zum Beispiel das Wachstum: Überhitzt die Konjunktur oder schwächt sie sich zu stark ab? Auch der gegenwärtige Handelsstreit kann zwei Richtungen nehmen. Spielen alle Parteien auf hart, ist dies ein Wachstumsdämpfer und eine Belastung für die Ertragsaussichten der Unternehmen. Erfolgreiche Verhandlungen würden eine Entlastung bringen.

Schuldenquote

Ausserdem lauert mit der Verschuldung eine Gefahr, die das Marktgeschehen bislang kaum beeinflusst. Trotz der verbesserten wirtschaftlichen Lage verharrt die Schuldenquote auf den im Zuge der Finanzkrise aufgebauten Höchstständen. In den USA – dem grössten Schuldner der Welt – erhöhen die Einnahmeausfälle (Steuerreform) und mögliche Mehrausgaben (Infrastruktur, Aufrüstung, Mauerbau) den Kapitalbedarf des Staates. Gleichzeitig fehlt mit der Fed ein wichtiger Käufer von US-Staatsanleihen. Mehr Angebot, weniger Nachfrage – für ein neues Gleichgewicht müssen die Zinsen steigen. Und das ist genau, was sich die hochverschuldete Welt nicht leisten kann: einen (zu) raschen und (zu) starken Anstieg der Zinsen.

Es ist noch offen, welche Faktoren wann die Oberhand gewinnen werden. Auch die Märkte sind diesbezüglich unschlüssig. Erst wenn darüber mehr Klarheit herrscht, wird sich ein neuer Trend eta­blieren. Bis dahin wird sich wohl die volatile Seitwärtsbewegung der vergangenen Wochen fortsetzen.

Euro ist eine Fehlkonstruktion

Die Eurozone sei kein optimaler Währungsraum, monieren eurokritische Stimmen. Die regionalen Unterschiede innerhalb der Eurozone seien zu gross, als dass eine gemeinsame Währung eine Klammer um die Mitgliedstaaten bilden könne. Doch sind die Unterschiede in den USA, welche sich solchen Vorwürfen nicht ausgesetzt sehen, geringer als in der Eurozone?

Es gibt zumindest einige strukturelle Unterschiede zwischen dem Bundesstaat USA und dem Staatenbund EU. So belaufen sich die Ausgaben der Bundesregierung in den USA – die nicht als übermäs­sig zentralisiertes Land gelten – auf rund die Hälfte aller Staatsausgaben (Bund, Bundesstaaten und Gemeinden). Das EU-Budget entspricht hingegen nur etwa zwei Prozent sämtlicher Staatsausgaben innerhalb der EU. Das heisst, dass es im Euroraum zwar eine gemeinsame Geldpolitik gibt, die Fiskalpolitik hingegen in den einzelnen Ländern gemacht wird. Die EU und die Institutionen der Eurozone haben nur beschränkte fiskalpolitische Gestaltungsmöglichkeiten.

Zudem sind die Arbeitnehmer in den USA um einiges flexibler. Denn in der EU hemmen die stark regulierten Arbeitsmärkte und sprachlichen Hürden die Mobilität. Ein New Yorker zieht eher nach Kalifornien als ein Finne nach Portugal. Das erschwert die Anpassungsprozesse zwischen den Regionen bei einer unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung.

Faktor Einheitswährung

Die Konjunktur auf dem alten Kontinent läuft derzeit zwar auf Hochtouren. Davon profitieren alle Länder der Eurozone und es entschärft die Problematik der regionalen Unterschiede. Doch im nächsten zyklischen Abschwung oder bei auftauchenden Problemen in einzelnen Ländern können sich diese wieder verschärfen. Dann nämlich fehlt wegen der Einheitswährung der Wechselkurs als ein ausgleichendes Ventil.

Soll der Euro nicht nur ein politischer Willensakt bleiben, sind die Bemühungen des französischen Präsidenten Macron im Grunde richtig. Er möchte die europäische Integration vorantreiben und die Eurozone in Richtung einer Fiskalunion entwickeln. Nur ist die dazu notwendige Abgabe von nationaler Souveränität, der Schritt zur Vergemeinschaftung von Schulden und die Ausweitung von Transferzahlungen politisch kaum durchsetzbar. Das lässt eine Entwicklung vom Staatenbund zum Bundesstaat als sehr unwahrscheinlich erscheinen. Der Vertiefung der europäischen Integration sind somit Grenzen gesetzt. Der Euro bleibt deshalb eine Fehlkonstruktion. Und daran ändert auch sein jüngster Höhenflug nichts.

Der lange Weg der SNB

EZB-Chef Mario Draghi betont immer wieder, dass gerade die Normalisierung der Geldpolitik ein langer Prozess sei. Sein stärkstes Statement: Die Zinsen werden weit über den Horizont der Anleihenkäufe (QE) hinaus auf dem heutigen Niveau bleiben. Da das Ende von QE nicht vor Dezember 2018 zu erwarten ist, wäre der früheste Zeitpunkt für einen Zinsschritt somit ab Mitte 2019. Dieser Zeitablauf gibt auch den geldpolitischen Fahrplan der SNB vor. Man kann davon ausgehen, dass die SNB nicht vor der EZB an der Zinsschraube drehen wird und die Erhöhungen schrittweise erfolgen werden. Das heisst, es dauert wohl bis mindestens 2020, bis die Negativzinsen Geschichte sind.

Ist es dennoch denkbar, dass die SNB frühzeitig und unabhängig von der EZB an der Zinsschraube dreht? Ja, das ist es. Es ist allerdings an Voraussetzungen geknüpft: ein starkes Anziehen der Inflation und/oder eine substanzielle Abwertung des Schweizer Frankens, insbesondere gegenüber dem Euro. Die inländische Teuerung ist 2017 zwar wieder in den positiven Bereich gestiegen (+ 0,8 % im März), nachdem sie zuvor seit Ende 2011 mehrheitlich negativ war. Ein Inflationsschub ist allerdings nicht zu erwarten. Die SNB selber rechnet für 2018 und 2019 mit einer Jahresteuerung von 0,6 % bzw. 0,9 %. Die Inflationsentwicklung wird die hiesigen Währungshüter also kaum zum Handeln zwingen.

Die Euro- und Pfund-Stärke der letzten zwölf Monate hat Druck vom Schweizer Franken genommen. Der Franken steht aktuell handelsgewichtet aber noch immer leicht höher als unmittelbar vor Aufhebung des Euro-Mindestkurses im Januar 2015. Die SNB stuft den Franken nicht mehr als «deutlich überbewertet», aber noch immer als «hoch bewertet» ein. Dass der Euro seit letztem Sommer auch ohne Intervention der SNB höher notiert, spricht zwar für eine selbsttragende Stärke der Einheitswährung. Die Notwendigkeit der Negativzinsen und die Bereitschaft, am Devisenmarkt zu intervenieren, um Anlagen in Schweizer Franken weniger attraktiv zu machen, hat die SNB jüngst aber erneut bekräftigt. Sie wird ihre bisherigen Bemühungen nicht mit Zinserhöhungen konterkarieren wollen. Schwächt sich der Schweizer Franken nicht signifikant ab – auf EUR /CHF 1.25 oder darüber – scheint es unwahrscheinlich, dass die SNB vor der EZB die Zinsen erhöht. Ein baldiges Ende der Negativzinsen wäre zwar wünschenswert. Es zeichnet sich aber ab, dass der Weg dorthin ein langer wird.

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