Finanzen & Vorsorge

Vorsorgen und finanzieren IV

BVG-Reform – die Vorlage und ihre Alternativen

Bei der betrieblichen Altervorsorge gibt es seit etwa 20 Jahren Probleme. Grund dafür sind die steigende Lebenserwartung und die sehr tiefen oder sogar negativen Zinsen. Deswegen wurde im Dezember 2019 eine Vernehmlassungsvorlage präsentiert. Dieser stehen mehrere Vorschläge von Verbänden und zwei Initiativen gegenüber.
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Am 2. Juli haben der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV), der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail.Suisse auf Einladung des Bundesrats einen Vorschlag zur Revision der 2. Säule unterbreitet. Ziel ist, das Finanzierungsproblem der beruflichen Vorsorge zu vermindern, das Rentenniveau zu sichern und die soziale Absicherung von Erwerbs­tätigen mit kleinen Löhnen zu verbessern. Im Dezember 2019 schickte man die Vorlage in die Vernehmlassung, wegen Corona wurde die Frist bis Ende Mai verlängert. Die Vorlage enthält folgende wichtige Punkte.


Umwandlungssatz gesenkt

Der Mindestumwandlungssatz, mit dem das gesparte Kapital in eine Rente umgewandelt wird, wird von 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt (neues Recht Art. 14 Abs. 2, 2bis und 3). Der Bundesrat legt die Mindestumwandlungssätze für den Bezug von Altersleistungen vor und nach dem ordentlichen Rentenalter fest. Er unterbreitet der Bundesversammlung mindestens alle fünf Jahre einen Bericht, den er nach der Beratung mit den Sozialpartnern erstellt. Der Bericht enthält die Grundlagen für die Festlegung des Mindestumwandlungssatzes in den folgenden Jahren.

Die niedrigen Zinssätze sind besonders für die Pensionskassen schwierig, deren Leistungen nicht oder nur wenig über die obligatorische berufliche Vorsorge hinausgehen. Die Höhe ihrer Leistungen wird weitgehend vom gesetzlich definierten Umwandlungssatz bestimmt. Die heutigen 6,8 Prozent  Umwandlungssatz werden angesichts der demografischen Entwicklung und der niedrigen Zinsen als zu hoch betrachtet. Geplant ist eine Reduktion des Koordinationsabzuges. Zu versichern ist der Teil des Jahreslohnes von 12443 bis 85320 Franken (Art. 8).

Die Altersgutschriften werden angepasst und gegenüber heute weniger stark gestaffelt. Damit werden der Unterschied zwischen den jüngeren und den älteren Versicherten verkleinert und die Lohnkosten für die älteren gesenkt. Dabei gelten folgende Ansätze in Prozenten des koordinierten Lohnes (Art. 16): zwischen 25 bis 44 Jahren 9,0 Prozent, 45 Jahre bis ordentliches Rentenalter 14,0 Prozent. 

Die Zuschüsse für Vorsorgeeinrichtungen mit ungünstigen Altersstrukturen werden aufgehoben. Mit diesen Massnahmen kann das Leistungsniveau der obligatorischen beruflichen Vorsorge insgesamt gehalten und für tiefere Einkommen sogar verbessert werden. Davon werden insbesondere viele Frauen profitieren.


Rentenzuschlag

Künftige Bezüger von Alters- und Inva­lidenrenten der beruflichen Vorsorge sollen einen lebenslangen monatlichen Rentenzuschlag erhalten. Dieser Rentenzuschlag ist unabhängig von der Höhe der Rente und wird solidarisch über einen Beitrag von 0,5 Prozent auf dem AHV-pflichtigen Jahreseinkommen bis 853 200 Franken (Stand 2019) finanziert (Art. 47b). Einen entsprechenden Zuschlag soll es auch zur Invalidenrente geben (Art. 47d). Der Zuschlag wird durch Beiträge von Arbeitgebern und Versicherten finanziert (Art. 47f). Der Bundesrat bestimmt für jedes Kalenderjahr die Höhe des Rentenzuschlags (Art. 47e). Vorher konsultiert er die Sozialpartner. Die Summe der Rentenzuschläge darf die voraussichtlich dafür zur Verfügung stehenden Mittel nicht übersteigen.

Anspruch auf den Zuschlag zur Altersrente haben nach Art. 47c Personen, die:

  • bei Beginn des Rentenbezugs in einer Vorsorgeeinrichtung versichert sind und das Mindestalter für den Vorbezug der AHV-Altersrente erreicht haben
  • während mindestens 15 Jahren als Arbeitnehmer oder freiwillig als Selbstständigerwerbende nach BVG versichert waren
  • unmittelbar vor dem Bezug des Zuschlags während mindestens zehn aufeinanderfolgenden Jahren in der AHV versichert waren 
  • mindestens 50 Prozent ihrer Alters­leistung als Rente beziehen, wovon ein Teil aus dem Altersguthaben stammen muss.

Der Bundesrat legt fest, unter welchen Voraussetzungen Versicherungszeiten an die Versicherungsjahre angerechnet werden, und regelt den Nachweis von Versicherungsjahren.

Das Übergangsrecht

Für das Übergangsrecht wurde Folgendes festgelegt: Für Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenrenten, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung laufen, gilt für den Umwandlungssatz weiterhin das bisherige Recht. Versicherte, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung bereits eine Alters- oder Invalidenrente beziehen, haben keinen Anspruch auf einen Rentenzuschlag. 

Ab Inkrafttreten der Reform werden für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen betragsmässig fixe lebenslange Rentenzuschläge garantiert: Erste fünf Jahrgänge: 200 Franken, zweite fünf Jahrgänge: 150 Franken, letzte fünf Jahrgänge: 100 Franken. Begründet wird dies im erläuternden Bericht folgendermassen: «Danach werden Leistungseinbussen, die auf die Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf sechs Prozent zurückzuführen sind, zurückgehen, weil die nachfolgenden Jahrgänge durch die Senkung des Koordinationsabzugs und die Anpassung der Altersgutschriftensätze ein höheres Altersguthaben ansparen können als die Übergangsgeneration.»

Diese dauerhafte, zweckgebundene Umlagekomponente soll es einerseits er­mög­lichen, das Rentenniveau der Übergangsgeneration zu halten, andererseits sollen damit auch bessere Leistungen für tiefere und mittlere Einkommen erreicht werden. In diesen Einkommensgruppen gibt es viele Teilzeitarbeitende, insbesondere Frauen.


Reaktionen 

Wie das Vorsorgeforum (Portal zur beruflichen Vorsorge der Schweiz) berichtet, gibt es einige weitere Vorschläge zur Reform des BVG. 

In der Vernehmlassungsantwort des Gewerbeverbandes, die man auf der Website herunterladen kann, wird ein Modell mit folgenden Eckwerten präsentiert. Dieses würde gemäss Berechnungen des anerkannten BVG-Experten Roger Baumann jährliche Mehrkosten von 1,33 Milliarden Franken auslösen und wäre also nicht einmal halb so teuer wie die Vernehmlassungsvorlage:

  • Mindestumwandlungssatz von 6,0 Prozent
  • Eintrittsschwelle bei 21330 CHF
  • Fixer Koordinationsabzug von 24885 CHF
  • Beginn des Alterssparprozesses mit 25 Jahren
  • Altersgutschriften von 9/12/16 und 18 Prozenten
  • Besitzstandsgarantie für eine Übergangsgeneration von zehn Jahrgängen mit einer zentralen Finanzierung und Umgestaltung via Sicherheitsfonds BVG (analog der Altersvorsorge 2020).

Der Schweizerische Pensionskassenverband (ASIP) verlangt die Senkung des Umwandlungssatzes auf 5,8 Prozent. Dazu sollen der Sparbeginn auf das Alter 20 vorverlegt und die Staffelung der Altersguthaben leicht abgeflacht werden.

Der fixe Zuschlag für die Neurentner wird abgelehnt. Durch eine einmalige Erhöhung des BVG-Altersguthabens soll sichergestellt werden, dass die Übergangsgeneration keine Verluste erleidet. 

Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) fordert eine Reform in folgenden fünf Punkten:

  • Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6,0 Prozent
  • Beitrag zur Finanzierung der Rentenumwandlungsgarantie: Die Einführung eines Beitrags zur Finanzierung der Rentenumwandlungsgarantie ermöglicht es den Vorsorgeeinrichtungen, die aufgrund des auch nach der Reform überhöhten Mindestumwandlungssatzes von 6,0 Prozent auftretenden Rentenumwandlungsverluste transparent zu finanzieren.
  • Reduktion des Koordinationsabzugs: Der SVV schlägt vor, dass der Koordi­nationsabzug auf 60 Prozent des AHV-Lohnes beziehungsweise maximal 21330 Franken festgelegt wird. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Halbierung des Koordinationsabzuges würde bei den Arbeitnehmenden und den Betrieben im Niedriglohnbereich überdurchschnittlich hohe Mehrbelastungen verursachen.
  • Neue Ansätze für die Altersgutschriften: Arbeitnehmende sollen schon mit 20 Jahren mit dem Alterssparen beginnen. Die Staffelung der Altersgutschriften würde abgeflacht, jedoch weniger stark als vorgeschlagen.
  • Nein zu Rentenzuschlag und dessen Finanzierung: Aus Sicht des SVV müssen auch bei den Arbeitnehmenden, die in den nächsten Jahren pensioniert werden, die bisher vorgesehenen Leistungen erhalten bleiben. Die vom Bundesrat dafür vorgeschlagene Massnahme in Form eines Rentenzuschlages lehnt der SVV jedoch ebenso ab wie die dafür vorgesehene Finanzierung. 

Allianz des Mittelweges

Der Schweizerische Baumeisterverband, Swiss Retail Federation und Arbeitgeber Banken haben sich in der Allianz für eine mehrheitsfähige Reform der beruflichen Vorsorge beziehungsweise zur Allianz des vernünftigen Mittelweges zusammengeschlossen. Der von den Gewerkschaften und dem SAV geprägte Reformvorschlag des Bundesrats enthält gute Elemente, meint man bei der Allianz, sei jedoch aufgrund der vorgeschlagenen Einführung eines Umlageverfahrens und der damit verbundenen Vermischung der Säulen nicht mehrheitsfähig. 

Das vom Schweizerischen Gewerbeverband (sgv) präsentierte zweite Modell trägt den Anliegen der Arbeitnehmerseite nicht genügend Rechnung. Die Allianz für einen vernünftigen Mittelweg präsentiert eine Lösung, die zwischen den Vorschlägen des Bundesrats und des sgv liegt. Die Allianz vertritt Branchen mit Unternehmen von insgesamt 500000 Angestellten, die über 13 Prozent des BIP erwirtschaften. 

Nach dem Vorschlag der Allianz soll der Umwandlungssatz auf 6,0 Prozent gesenkt werden, wobei aber das Renten­niveau erhalten werden soll. Die betroffenen Übergangsgenerationen sollen keine Renteneinbussen zu befürchten
haben, wofür Kompensationen nötig seien. Finanziert werden sollen diese durch die bei den Pensionskassen vor­handenen Rückstellungen, die Altersgutschriften und Kapitalaufbau. Die Allianz hält an der bewährten Trennung zwischen der 1. und 2. Säule fest und führt keine Umverteilung ein, die nach ihrer Meinung systemfremd und teuer ist. 

Die 20- bis -24-Jährigen sollen über die 2. Säule für ihre Pension vorsorgen können. Die Altersgutschriften für 55- bis 65-Jährige von heute seien von 18 Prozent auf 16 Prozent zu senken. Damit sinken die Lohnnebenkosten, was die Situation auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer verbessern würde.

Initiativen

Die  Volksinitiative «Für eine generationengerechte Altersvorsorge (Vorsorge Ja – aber fair)» ist parteiübergreifend und wird von Fachleuten unterstützt. Sie verlangt:

  • Die berufliche Vorsorge wird im Kapi­taldeckungsverfahren finanziert. Eine systemfremde Umverteilung ist zu vermeiden.
  • Beiträge und Leistungen sind so fest­zulegen, dass langfristig die Generationengerechtigkeit gewährleistet ist. Die Altersrenten der beruflichen Vorsorge werden laufend aufgrund von klar festgelegten Regeln an die wirtschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen angepasst, wobei die Sicherung des Lebensstandards im Vordergrund stehen soll. 
  • Bereits laufende Altersrenten der beruflichen Vorsorge können in moderaten Schritten gesenkt werden, um die Umverteilung zwischen den Generationen zu begrenzen. Verbessern sich die Rahmenbedingungen, werden die Renten erhöht.
  • Das für die Administration der Renten notwendige Referenzrücktrittsalter (in der 1. und 2. Säule) wird unter Berücksichtigung der Lebenserwartung regelmässig angepasst. Es ist für Frauen und Männer gleich. Der Zeitpunkt der effektiven Pensionierung wird individuell festgelegt.

Die Jungfreisinnigen präsentieren eine Initiative, mit der sie Folgendes fordern:

  • Das Rentenalter für Männer und Frauen soll schrittweise auf 66 Jahre erhöht werden.
  • Das Rentenalter soll um 80 Prozent der Zunahme der Lebenserwartung erhöht werden. Wenn die Lebenserwartung um einen Monat ansteigt, erhöht sich das Rentenalter um 0,8 Monate.  Diese Erhöhung würde gemäss Initiativtext erst fünf Jahre später umgesetzt, damit die betroffenen Personen entsprechend frühzeitig planen können.
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