Editorial

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Zwischen Paradies und Burn-out

Angeblich stehen fast alle Führungskräfte kurz vor dem Burn-out. New Work soll eines der Heilmittel sein; besonders Begriffe wie Selbstorganisation und Holokratie werden gehypt. Die Praxis zeigt jedoch einmal mehr, wie komplex die Umsetzung einer Theorie sein kann.

Mag man Frédéric Laloux  Glauben schenken, so bewegen sich fast alle Führungskräfte am Rande eines Burn-outs. In einem Interview erklärt der ehemalige Unternehmensberater und McKinsey-Partner, dass es keinen Spass mehr mache, Top-Führungskraft zu sein. «Heute treffe ich bei fast allen Führungskräften auf die Einsicht, dass alles zu langsam, zu bürokratisch und zu wenig innovativ sei und man nicht mehr wisse, wie man Mitarbeiter motivieren könne. Und weil man nicht mehr weiss, was man tun soll, probiert man es notgedrungen mit dem nächsten Managementtrend.»  Laloux wäre kein guter Berater, wenn er nicht auch einen Lösungsweg aus diesem Teufelskreis anböte. Er erläutert ihn in seinem 2015 erschienenen Bestseller «Reinventing Organizations». Der «Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit» beschreibt das Ende der klassischen Organisation mit hierarchisch steuerndem Management und warum die Zukunft selbstführenden, wandlungsfähigen Organisationen gehört. 

Tatsächlich passt Laloux’ Anleitung zum Paradigmenwechsel in eine Zeit zunehmender Volatilität und abnehmender Planbarkeit. So konnte sein Werk die Referenz einer Bewegung werden, die unter dem Oberbegriff New Work mit Selbstorganisation, Demokratisierung und Schwarmintelligenz die Unternehmensführung revolutionieren will. Holokratie, Soziokratie oder andere Formen der Selbstorganisation sind zweifellos interessante Denkmodelle als Antwort auf die Notwendigkeit der neu zu justierenden Organisationsstrukturen. Aber sind sie auch praxistauglich? Führt die für so manchen paradiesisch anmutende Verlagerung der Entscheidungsmacht von der Spitze einer Organisation hin zu einer hohen Entscheidungsautonomie für den Mitarbeiter wirklich zum unternehmerischen Eldorado?

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die von Problemen berichten, wenn Hierarchien geschliffen und Vorgesetzte abgeschafft werden. Bei allen positiven Aspekten der Selbstorganisation ist es vor allem eine technokratische Sichtweise, die der erfolgreichen Umsetzung im Wege steht. Was am grünen Tisch funktionieren mag, scheitert schnell am Faktor Mensch. Passen die neuen Konzepte und Methoden zur DNA des Unternehmens, und wie müssen sie angewendet werden? Vielleicht ist es ratsam, eine Art Managementmix zu formen und die Selbstorganisation zunächst auf einen Teilbereich der Organisation zu beschränken. So oder so wird eine Transformation jedoch ohne entsprechende Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter und Führungskräfte nicht funktionieren. 

PS: Mehr zum Thema Selbstorganisation in der Ausgabe Nr. 10/2020.

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