Editorial

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Zwischen Abgesang und Aufbruch

Die Automobilbranche kämpft an vielen Fronten. Neben hausgemachten Problemen führten zuletzt die Coronamassnahmen und die Folgen des Ukraine-Krieges zu dramatischen Lieferengpässen und Preissteigerungen für Roh­materialien und damit zu Absatzproblemen.

Als wäre das nicht genug, liefern EU-Regularien sowie Klima- und Energiepolitik zusätzlichen Sprengstoff. Der Abbau von Arbeitsplätzen hat bereits begonnen. Bewegungen, die das Automobil zum Umweltfeind Nummer 1 deklariert haben, stimmen dessen Abgesang an. Sollte am Ende der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. (1859 bis 1942) doch Recht gehabt haben, als er sagte: «Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.»?

Wohl nicht. Jedoch sind Restrukturierungen, die dann gerade auch die Zulieferindustrie treffen, unvermeidlich. Das sind schlechte Nachrichten für viele Schweizer KMU, die ihre Produktion einschränken oder verlagern müssen. Grössere Umwälzungen bringen die Digitalisierung und die Elektromobilität. Die Digitalisierung betrifft nicht nur unmittelbar die Fahrzeuge, sondern auch die Arbeitsprozesse bei Autohändlern und ihren Werkstätten. Besonders stark wird sich der Automobilvertrieb verändern. Mit der Einführung des Agenturmodells ziehen die Hersteller den Fahrzeugverkauf stärker an sich und vertreiben ihre Neuwagen verstärkt über das Internet. In den vergangenen Jahren hat neben dem die Elektro-Technik mehrere Entwicklungssprünge hingelegt und ist dem Nischen-Dasein längst entwachsen. Der E-Antrieb wird folglich in vielen Ländern zunehmend Marktanteile erobern. Gemäss «auto schweiz» waren im Jahr 2022 bereits 25,9 Prozent aller neuen Personenwagen über das Stromnetz aufladbar. 

Sehr wahrscheinlich wird aber der Verbrennermotor weltweit auch auf lange Sicht noch nicht am Ende sein. Die Frage ist nur, wo er entwickelt oder produziert wird. In Teilen Chinas, Indiens oder auch Lateinamerikas, wo es viel Kohlestrom hat und auch weiter ausgebaut wird, gibt es eine andere Sicht auf die Elektrifizierung. Geht man zudem von der ökologischen Prämisse aus, dass Elektromobilität nur dann sinnvoll ist, wenn genug Ökostrom verfügbar ist, muss Kritik erlaubt sein. Dies umso mehr in einer Strommangellage. Insofern erscheint es als politische Absurdität, einerseits zum Energiesparen aufzufordern, andererseits einen steigenden Energieverbrauch zu fördern. Bei allen Vorteilen, die die Elektromobilität zweifellos hat, dürfte sie vermutlich eine – dennoch berechtigte – Übergangslösung in der ­automobilen Evolution sein. Das Automobil an sich, so viel steht fest, ist dagegen, anders als Kaiser Wilhelm vermutete, keine vorübergehende Erscheinung. 

 
P.S.: Mehr zum Thema Automobile in der Ausgabe Nr. 3/2023.

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