Editorial

Marken machen Moral

Die Herausforderungen für Unternehmen kumulieren und sind in ihrer ­Gewichtung nicht vergleichbar mit denen vergangener Jahrzehnte.

Neben der Digitalisierung sind die Folgen der Corona-Massnahmen und des ­Ukraine-Krieges ein Schlag ins Kontor und potenzieren sich in Kombination mit der nicht zu Ende gedachten Energiewende zu einer Gefahrenlage, die an den Fundamenten der Wirtschaft rüttelt und somit die Fragilität des Wohlstands offenlegt. Die Politik agiert zunehmend ideologiebehaftet statt vernunftorientiert. Und sie bietet bislang wenig überzeugende Lösungen oder wenigstens Szenarien, die eine gewisse Orientierung vermitteln. 

Längst müssen sich Unternehmen die Frage stellen, welche Rolle sie in einem ­solchen Setting spielen. Hat sich Marketing einzumischen in die grossen, relevanten politischen Themen? Können Marken ein Anker im komplexen digitalen Zeitalter und am Beginn eines brüchigen Wohlstands sein? Und können Marken für Vertrauen, Loyalität und Moral stehen? Natürlich kann auch eine Marktwirtschaft nicht frei von Politik sein. Zudem nehmen Verbände Einfluss auf die Politik. Wo die Grenzen liegen, bestimmt neben dem Gesetz zunehmend auch die Ethik als die Wissenschaft der Moral. So verlangen Verbraucher, staatliche Regulierungen sowie Interessengruppen von Unternehmen mehr zu tun, als nur Geld zu verdienen. Corporate Social Responsibility etwa ist kaum noch eine Option, vielmehr ein Muss.

Diese Entwicklung nutzen einige Unternehmen bereits für die Umsetzung einer neuen Marketingstrategie, den Markenaktivismus. Während einige einfach nur den eigenen Standpunkt zu einem kontroversen Thema kommunizieren, fahren andere ganze Kampagnen, um Zielgruppen für eine bestimmte Haltung zu einem Thema zu begeistern. Natürlich können sie durch Markenaktivismus grossen wirtschaft­lichen Nutzen erzielen. Doch Vorsicht ist geboten, denn Markenaktivismus führt zu Schwarz-Weiss-Denken: Verbraucher verehren dann entweder eine Marke oder ­verteufeln sie. Dies kann zu einem Marken-Boykott oder sogenannten Buycott führen (siehe dazu auch www.buycott.com). Wenn es um konkrete politische Fragen geht, die für das direkte wirtschaft­liche Umfeld einer Firma keine Konsequenzen haben, ist man sicherlich gut beraten, Zurückhaltung zu üben.

PS: Mehr zum Thema Markenaktivismus in der Ausgabe Nr. 10/2022 (Seite 62 ff.)

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