Editorial

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Halten ≠ Verwalten

Online-Marketing, so scheint es, baut vor allem auf Neukundengewinnung. Das ist ein Fehler. Es ist fahrlässig, die Stammkunden lediglich zu verwalten und konzeptlos auf geringe Abwanderungsquoten zu hoffen.

Kunden kommen, Kunden gehen. Das ist zunächst ein normaler Prozess. Solange die Abwanderungsquote moderat ist und die Neukundengewinnung Verluste kompensieren kann, scheint das auch nicht alarmierend zu sein.

Weil es jedoch, wie eine Faustformel besagt, mindestens fünfmal teurer ist, einen neuen Kunden zu gewinnen als einen bestehenden zu halten, zudem Bestandskunden grössere Warenkörbe haben und für höhere Wertschöpfung sorgen, lohnt allein aus betriebswirtschaftlicher Sicht der Blick auf die Ursachen der Abwanderung. Natürlich gibt es viele Einzelgründe, warum Kunden einer Marke untreu werden. Die Marketingwissenschaft unterscheidet unternehmens-, kunden- und wettbewerbsbezogene Gründe. Beispiele sind etwa ein schlechter Kundenservice, familiäre Veränderungen beim Konsumenten oder auch Preisaktionen der Konkurrenz. 

Eine Binsenweisheit gilt auch hier: Der ideale Umgang mit Risiken ist nicht, eine gute Problemlösung zu finden, sondern ein mögliches Problem schon vor seiner Entfaltung zu erkennen und präventive Massnahmen zu ergreifen. Ein zentraler Aspekt in diesem Zusammenhang ist das Churn-Management, eine Teildisziplin des Customer-Relationship-Managements. «Churn» ist ein Kunstwort, bestehend aus den englischen Wörtern «change» und «turn» und beschreibt die Kundenabwan­derung eines Unternehmens. Churn-Management hat die Aufgabe, abwanderungsgefährdete Kunden frühzeitig auszumachen, von der Kündigung abzuhalten und durch Kundenbindungsmassnahmen an sich zu binden.

Churn-Management ist eine noch relativ junge Marketingdisziplin und letztlich eine Errungenschaft der digitalen Transformation. Sie setzt auf die Hilfe von Big Data, Machine Learning und IT-gestützte Analysen. Interessanterweise ist festzustellen, dass trotz dieser Möglichkeiten sowie der Erkenntnisse über die Profitabilität der Kundenbindung Online-Marketing anscheinend vor allem auf Neukundengewinnung setzt. Es war noch nie so einfach, Kundendaten zu erhalten und, zunehmend wohl mit künstlicher Intelligenz, Zusammenhänge, Modelle und Vorhersagen ab­zuleiten. Es wäre daher fahrlässig, auch im Online-Geschäft der Stammkunden­beziehung marketingstrategisch nicht einen höheren Stellenwert einzuräumen.

P.S.: Mehr zum Thema Kundenbindung in der Ausgabe Nr. 06/2021. Den freien Zugang zu allen Inhalten unserer Website erhalten Sie als Abonnent. Bitte registrieren Sie sich einmalig direkt auf der Startseite (oben rechts).

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