Digitalisierung & Transformation

Kolumne: Chief Digital Community

Worum es in der digitalen Welt geht

Der Mensch ist ein Gesamtkunstwerk mit einer Hirn­leistung, an die kein Mikroprozessor heranreicht – zudem ein soziales Wesen mit Gefühlen und Emotionen. Unternehmen, die das berücksichtigen, werden zum attraktiven Arbeitgeber und zur Ideenfabrik.
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In der allgemeinen Diskussion über die Aus­wirkungen der Digitalisierung kommt mir der Mensch eindeutig zu kurz. Manchmal erhält man den Eindruck, als würde der Mensch aus Sicht gewisser Experten und Manager wie eine Maschine funktionieren, die man beliebig an- und abstellt. Zudem frage ich mich, ob alle schon begriffen haben, dass der Umgang mit der Multigenerationalität – also mit Menschen verschiedener Genera­tionen – längst schon Realität ist und nicht ein künftiges Phänomen, das sich am fernen Horizont langsam ankündigt. Tatsache ist: Die Millennials werden bis im Jahr 2025 rund 75 Prozent der Mitarbeitenden ausmachen und stellen deshalb eine zunehmend dominierende Kraft in der Arbeitswelt dar. 2025 – das sind gut fünf Jahre. Da tun wir gut daran, uns mit den Konsequenzen auf Führung, Kommunikation, Verhalten und Werte näher auseinanderzusetzen. Weiter wie bisher ist in jedem Fall keine Option mehr. Was also ist zu bedenken – und dann zu tun? 

Was Menschen von Maschinen unterscheidet

Bei der teils schon fast hysterisch geführten Dis­kussion über die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) geht häufig vergessen, dass schon viel gewonnen wäre, wenn wir die ganz normale Intelligenz vermehrt einsetzen würden. Das heisst: Die Dinge vom Ende her denken – dies nennt sich Strategie. Sowie transparent und konsequent handeln. Die Voraussetzungen dafür sind hervorragend: Mit den 200 000 000 000 (200 Milliarden) Neuronen und den daraus möglichen 100 000 000 000 000 (100 Billionen) Synapsen, also Verbindungen zwischen den Hirnzellen, kann das men-sch­liche Hirn 10 000 000 000 000 000 (10 Billiarden) arithmetische Operationen pro Sekunde leisten. Das kriegt kein Mikroprozessor hin. Natürlich kann man einwenden, dass Maschinen und Roboter, vollgestopft mit KI, dem Menschen teilweise überlegen sind. In einer einzelnen Disziplin können sie jeden Menschen schlagen. Was sie jedoch nicht können, ist, mit ungenauen Vorgaben oder unvollständigen Informationen umzugehen. Und schon gar nicht mit Emotionen und den Signalen der Körpersprache. Zunächst einmal sind und bleiben sie technische Konstrukte, die wenig bis nichts verstehen und Spontaneität und Kreativität gänzlich vermissen lassen. Also geht es vor allem darum zu lernen, die KI richtig einzusetzen.  

Permanentes Lernen und die Lust auf Kooperation 

Hier wäre ein erster Ansatzpunkt gegeben, wie sich Führung und Kommunikation in Zukunft verändern könnten (oder noch besser: sollten). In der digitalen Welt geht es schlicht und einfach um zwei Dinge: Erstens darum, ständig zu lernen – durch Zuhören, durch Beobachtung, im Dialog mit anderen. Und zweitens geht es darum, mit anderen zu kooperieren. Das ist der eigentliche Zweck eines Unternehmens: Mit anderen zusammenarbeiten, um Ziele zu erreichen, die alleine nicht erreichbar wären. Die Frage lautet nun, wie wir ein Umfeld schaffen, in welchem permanentes Lernen und die Lust zur Kooperation ermöglicht wird? Ist es das bestehende Umfeld mit den Grossraumbüros, den Belohnungssystemen, den Zielvereinbarungen und den institutionalisierten Kommunikationskanälen? Nehmen wir dies der Reihe nach näher unter die Lupe. Zuerst zum Arbeitsplatz: Viele Studien besagen, dass der Mensch in einer vertrauten Umgebung, wo er sich zu Hause fühlt, mehr leistet als in einer unpersönlichen Massenhaltung oder ohne festen Arbeitsplatz. Ebenso hat sich erwiesen, dass bei der Schaffung von Grossraumbüros die direkte Kommunikation zwischen den einzelnen Mitarbeitenden markant zurückgegangen und die E-Mail-Flut ebenso markant gestiegen ist. Ein weiteres Indiz, dass viele Unternehmen die Chancen der Kooperation nicht erkennen und damit auch nicht nutzen, ist in den traditionellen Organisationsformen und Strukturen begründet. Die Frage sei daher erlaubt: Warum belohnen wir mit unseren Bonussystemen immer noch die individuelle Leistung, anstatt dass wir zum Beispiel Teams oder Abteilungen für ihre Leistung auszeichnen? Damit würden wir die Kreativität fördern und den Teamspirit stärken. 

Team und Kunden statt Solisten

Ebenso verhält es sich mit den Zielvereinbarungen und den Jahresendgesprächen, die zwar viel Bürokratie verursachen, aber letztendlich nicht den erwünschten Effekt haben, weil die Kriterien, nach denen Leistung gemessen wird, der Realität im Arbeitsumfeld häufig nicht gerecht werden. Warum nicht dem Team mehr Kompetenzen und Autonomie einräumen im Hinblick auf Leistung und Verhaltenskodex? Hand aufs Herz: Kann ein Team, das tagtäglich eng miteinander kooperiert, nicht besser beurteilen, wer was und wie viel zur Gesamtleistung beiträgt, was richtig läuft und was verbessert oder verändert werden soll? Warum nicht Team-Gespräche einführen, gut moderiert von einem unabhängigen Experten? Und warum nicht dazu auch gezielt Kunden einladen, damit man besser verstehen kann, was sie stört, wo sie nicht weiterkommen, wie man ihnen helfen, mit ihnen besser zusammenarbeiten kann? Und damit zu den Kommunikationskanälen. Die Frage sei erlaubt: Kommunizieren wir mit den Mitarbeitenden in einer adäquaten Form, oder verwenden wir einfach die für uns bequemsten Kommunikationsmittel? Viele Manager tun sich schwer mit der direkten Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Sie schreiben lieber, als dass sie reden. In Zeiten der Beamer-Präsentationen und der Aneinanderreihung von Halbsätzen und substantivierten Verben haben viele verlernt, sich klar aus­zudrücken. So entstehen Missverständnisse, was zu Fehlleistungen, Konflikten und schlechter Stimmung führt. Führungskräfte tun gut daran, wenn sie sich der Kaskade der guten Kommunikation bedienen: Wann immer möglich, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht suchen. Wenn dies nicht möglich ist, dann der Griff zum Telefon. Und erst dann eine E-Mail. Und auch diese kurz, auf den Punkt gebracht und klar strukturiert. 

Balance finden zwischen Vorgaben und Autonomie

Der Mensch braucht Vorgaben und Ziele, an denen er sich orientieren kann. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass der Mensch Freiheit und Autonomie braucht, um sich entfalten zu können. Für ein international ausgerichtetes Unternehmen – und eine Vielzahl von Schweizer KMU sind dies – ist deshalb die Frage zentral, wie viel Vorgaben notwendig sind und wie viel Freiheit vor Ort gewährt werden soll. Die Ländergesellschaften kennen in der Regel die Kunden vor Ort besser, sind näher am Geschehen als die Zentrale. Die Balance zwischen Direktive und Autonomie zu finden ist eine stete Herausforderung für das Management. 

Wer ist der Treiber des Wandels? Wer kann Ideen kreieren, sich auf das Essentielle konzentrieren, im Chaos den Überblick bewahren? Wer ist das Original? Der Mensch. Die Maschine ist lediglich die Umsetzerin der Innovation, sie ist skalierbar und damit Kopie. Dies sollten wir uns bei der Diskussion um die Digitalisierung stets vor Augen halten. Sie bietet unter dem Strich sehr wahrscheinlich viel mehr Chancen als Risiken – mit dem Menschen im Cockpit, nicht auf dem Beifahrersitz. Denn die Zukunft kommt nicht einfach. Sie wird gemacht.