Digitalisierung & Transformation

Digitale Veränderungen Teil 3/6

Wo befinden sich Schweizer KMU auf der digitalen Reise?

Die digitale Transformation hat das Potenzial, die Unternehmenssituation grundlegend zu verändern. Viele Organisationen sind heute schon mit einer neuen, digitalen Realität konfrontiert. Dieser Teil der Beitragsserie zeigt auf, wo Schweizer Unternehmen auf der digi­talen Reise aktuell stehen und warum nicht jeder Ansatz auf diesem Weg sinnvoll ist.
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Im ersten und zweiten Teil der Beitrags­serie wurde gezeigt, wie schnell und umfassend digitale Veränderungen individuelles Verhalten, die unternehmerische Wertschöpfung und das bestehende Wettbewerbsgefüge in Frage stellen können. Die digitale Transformation wird daher auch als «vierte industrielle Revolution» bezeichnet. Unternehmen müssen also heute schon die Weichen stellen, um sich in einem zunehmend digitalen Wettbewerb zu behaupten. Doch wo stehen Schweizer KMU zum aktuellen Zeitpunkt? Es lassen sich einige allgemeine Erkenntnisse und Muster zum aktuellen Stand der Digitalisierung von Unternehmen zusammenfassen.

Situation von KMU

Es erstaunt nicht, dass KMU im Vergleich zu Grossunternehmen eher noch zögerlich sind, digitale Lösungen umzusetzen. Ihre Ressourcen sind vergleichsweise begrenzt und Investitionen stets ein gros­ses Risiko. Oft fehlt es an den erforderlichen Kompetenzen oder an Spezialisten, zum Beispiel im Bereich der Software oder Datenauswertung. Wir beobachten zudem, dass sich KMU und familiengeführte Unternehmen mit ihren Mitarbeitern und der Region, in der sie agieren, stark verbunden fühlen. Oft wird aus Verantwortungsbewusstsein heraus eher zögerlich gehandelt, um nicht das Falsche zu tun (Kugler und Tietz, 2015). Junge Technologieunternehmen nutzen die so entstehende zeitliche Lücke und agieren dann oft schneller. So wird im globalen Kontext die fehlende empfundene Dringlichkeit im Unternehmen (39 %) auch als grösste organisationale Hürde für die digitale Transformation genannt, noch vor fehlenden finanziellen Mitteln (33 %) oder unklaren Rollen und Verantwortungen im Unternehmen mit 28 Prozent (Fitzgerald et al., 2013). Doch frühes Handeln kann auch zu Vorteilen im Wettbewerb führen, denn der Erstanbieter (oder «First Mover») wird als innovativ wahrgenommen. Es sind Kosten- oder Differenzierungsvorteile möglich, welche die Wettbewerber (noch) nicht erreichen können. Dies gilt insbesondere im Zu­sammenhang mit neuen Technologien (Lieberman und Montgomery, 1988).

Effizienz als primäres Ziel

Insbesondere im produzierenden Gewerbe fokussieren sich KMU darauf, die digitale Transformation zur Effizienz­steigerung zu nutzen. Dies ist vor dem Hintergrund der international vergleichsweise hohen Standortkosten in der Schweiz nicht überraschend. So verwundert es auch nicht, dass die mit der Digitalisierung verbundenen hohen Kosten für viele Unternehmen eine zentrale Hürde darstellen, um digitaler zu werden. Für viele Unternehmen besteht ein erster Schritt auf dem Weg zum digitalen Unternehmen dann darin, die eigenen Kosten auf ein tieferes Niveau zu senken und so überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben. Automatisierte Prozesse nehmen dabei eine zentrale Stellung ein. Es kann davon ausgegangen werden, dass solche kostensenkenden Massnahmen von einer Vielzahl Unternehmen ergriffen werden und sich in der Folge ein neuer Kostenstandard in den jeweiligen Branchen einpendeln wird. 

Diese Massnahme wird dann zu einer Notwendigkeit, um sich im Wettbewerb zu behaupten, aber der Aufbau von Vorteilen im Wettbewerb ist nur mit kostensenkenden Massnahmen längerfristig kaum mehr möglich. Vielmehr gilt es, die Digitalisierung als einen Paradigmenwechsel zu begreifen und grundlegend im Un­ternehmen umzusetzen, zum Beispiel durch digitale Geschäftsmodelle. Nur dann können Wettbewerbsvorteile erhalten oder neu aufgebaut werden.

Branchenunterschiede

Unternehmen verschiedener Branchen sind zum aktuellen Zeitpunkt im Durchschnitt in unterschiedlichem Ausmass mit der Digitalisierung konfrontiert. So spüren insbesondere die Medien-, Versicherungs- oder auch Finanzbranche schon seit einigen Jahren grundlegende Ver­änderungen ihres traditionellen Wett­bewerbsumfeldes. In der Medienbran­-che werden Tageszeitungen zunehmend durch online verfügbare Alternativen abgelöst, das klassische Geschäftsmodell der Retailbanken wird von Fintech-Unternehmen herausgefordert.

Andere Industrien stehen noch weiter am Beginn der Digitalisierung wie zum Beispiel Unternehmen des produzie­renden Gewerbes, Pharmaunternehmen oder der Detailhandel (Bughin et al., 2016). Es kann davon ausgegangen werden, dass massgebliche digi­tale Veränderungen in den kommenden Jahren dort noch bevorstehen. Dementsprechend nehmen gemäss einer aktuellen Umfrage aus dem Jahr 2018 der FHS St. Gallen Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche die Digitalisierung aktuell als grösste Herausforderung wahr (circa 88 %). Das verarbeitende Gewerbe (40 %) und das Baugewerbe (27 %) sind hingegen zum heute noch weniger betroffen. 

Mehr Chancen als Risiken

KMU in der Schweiz verbinden mit der Digitalisierung generell eher Chancen als Risiken. So sind mehr als 80 Prozent der Schweizer Unternehmen der Ansicht, dass die digitale Transformation die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit antreiben kann (Deloitte, 2015). Es gibt jedoch deutliche Unterschiede in der Wahr­nehmung einzelner Branchen. Im Handel und im Gastgewerbe werden Chancen vor allem bei der Erschliessung neuer Vertriebswege und Kundengruppen wahr­genommen. 

Hinsichtlich der Risiken sehen produzierende Unternehmen vor allem die Kompetenz der Mitarbeitenden als Herausforderung, während IKT-Unternehmen den Eintritt neuer Wettbewerber befürchten. Im Handel und in der Gastronomie werden die zunehmende Markttransparenz und Wettbewerbsintensität als Risiko gesehen, während sowohl bei Dienstleistern als auch bei Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich das Thema Datensicherheit ganz oben auf der Agenda steht.

Digital Readiness

Uneinigkeit besteht darüber, ob Unternehmen und Länder für die Digitalisierung im internationalen Vergleich bereits gut «gerüstet» sind (vgl. «digitale Reife»). Einerseits bewertet das IMD (International Institute for Management Development) den Reifegrad der DACH-Länder im «Digital Competitiveness Ranking» wie folgt, Schweiz: Rang 5, Österreich: Rang 15, Deutschland: Rang 18. Im gleichen Ranking belegen die ersten vier Plätze die USA, Singapur und zwei skandinavische Länder (IMD, 2018: 27). Andererseits sieht das Beratungsunternehmen Roland Berger Unternehmen der drei Bodensee-Anrainerländer im internationalen Vergleich in ihrem «Digital Readiness Index» als führend (Roland Berger Strategy Consultants, 2014). In den vergangenen Monaten wurde eine fast unzählige Anzahl Studien und Tests zur sogenannten «digitalen Reife» oder «digital Readiness» von Unternehmen erstellt, vielfach durch Beratungsunternehmen (z. B. Bughin et al., 2016; Kane et al., 2017). Dabei wird häufig davon ausgegangen, dass es einen Zielzustand gibt, den Unternehmen erreichen können und genau festgestellt werden kann, wo sie aktuell stehen. Dies ist generell in Frage zu stellen, denn wir können zum ak­tuellen Zeitpunkt kaum greifen, welche Möglichkeiten die Digitalisierung künftig bietet, oder welche Herausforderungen sich noch ergeben werden. Immer wieder werden bisherige Grenzen überwunden, so dass sich neue, bisher kaum vorstellbar gehaltene Optionen ergeben. So galt es bis vor kurzer Zeit noch als ein grosses Manko für die additive Fertigung, dass nicht alle Materialien dreidimen­sional «gedruckt» werden können. Heute ist es möglich, auch Stahl zu drucken, und dieser Bereich weist zum aktuellen Zeitpunkt die grössten Wachstumsraten im Bereich der additiven Fertigung auf. In ähnlicher Art und Weise konnten wir vor der Einführung der ersten Generation des iPhones im Jahr 2007 noch keine Apps (und Tablet-Computer) in unseren Planungen berücksichtigen. Es gab sie bis dahin weder physisch noch in un­serer Gedankenwelt. Heute baut der
Erfolg zahlreicher Unternehmen oder Geschäftsmodelle auf der Erstellung, Nutzung und Auswertung solcher App­likationen auf. Das heisst, Modelle der digitalen Reife gehen oft zu stark vom Bekannten aus, künftige Entwicklungen werden not­wendigerweise nicht hinreichend berücksichtigt. 

Handeln schafft Verbindlichkeit

Vor dem Hintergrund der vorausgehenden Diskussion stellt sich für viele Unternehmen die Frage «Wohin geht die Reise in Sachen Digitalisierung?» und «Welche Handlungen sollen konkret ergriffen werden?». Idealerweise lassen sich verschiedene Optionen identifizieren, vergleichen und bewerten, so wie es die rationale Entscheidungstheorie vorgibt. Doch auch Entscheidungen müssen im digitalen Zeitalter anders getroffen werden. Denn die Antwort auf die gestellten Fragen ist schlicht: Wir wissen es (noch) nicht oder zumindest nur zum Teil. Die Entwick­lungen im Bereich der Digitalisierung schreiten schnell und kaum überschaubar voran. Welche Entwicklungen sich letztlich durchsetzen werden oder welche Neuerungen in einigen Jahren technisch möglich sind, können wir jedoch zum aktuellen Zeitpunkt nicht vollständig überblicken. Wir müssen vielmehr damit rechnen, dass nicht mehr die Technologie, sondern die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen künftig die Grenze der Machbarkeit darstellen wird. Also auch Unternehmen müssen sich mit einem bisher kaum bekannten Ausmass von Unsicherheit auseinandersetzen und diese akzeptieren. Dennoch müssen Entscheidungen gefällt werden. Und letztlich ist dies auch die einzige Möglichkeit, um Unsicherheiten zu verringern. Denn jede konkrete Handlung schafft Verbindlichkeit und dient als eine «Landkarte» in der digitalen Vielfalt, welche die vorherrschende Unsicherheit verringern kann. Das heisst, wenn man sich verirrt fühlt, helfen grobe Anhaltspunkte oder manchmal sogar falsche Darstellungen, um überhaupt zum Handeln befähigt zu werden.  Denn es geht vor allem darum, überhaupt einmal loszulaufen und eine Richtung einzuschlagen. Auf dem Weg halten wir dann Ausschau nach Mustern, welche uns neue Orientierung zum Handeln geben (vgl. Weick, 1990; Mintzberg et al., 2008). Grobe Muster digitaler Spiel­regeln können uns also dabei helfen, den eigenen Weg schrittweise zu finden und zu gehen. 

Abbildung 1 fasst die mit den Veränderungen durch die Digitalisierung verbundenen und im Beitrag genannten Chancen und Herausforderungen für strategisches Handeln von KMU zusammen. Vor diesem Hintergrund sollten sich KMU unter an­derem die in Abbildung 2 gezeigten Fragen stellen und kontinuierlich oder in regelmässigen Abständen im Unternehmen diskutieren und reflektieren.

Ausblick

Den «richtigen» Weg auf der digitalen Reise zu finden, fällt vielen Unternehmen schwer. Denn wir können das Ziel zum aktuellen Zeitpunkt (noch) nicht vollständig überblicken. Dennoch braucht es in vielen Unternehmen heute schon Handlungen, um künftig überhaupt noch wettbewerbsfähig zu bleiben. Welche Aktivitäten Unternehmen zur Verfügung stehen und welche unterschiedlichen Konsequenzen diese für den Aufbau und Erhalt von Wettbewerbsvorteilen hat, wird im vierten Teil dieser Beitragsserie diskutiert.

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