Digitalisierung & Transformation

Transformative Technologien

Wie Technologien zur inneren Ruhe führen sollen

Work-Life-Balance und Well-being werden immer präsenter. Denn langfristig sind ausgeglichene und zufriedene Mitarbeiter weniger krank, innovativer, motivierter und führen zu einer höheren Arbeitsproduktivität. Neben dem klassischen Gesundheitsmanagement helfen aber auch die sogenannten «Transformative Technologies», dies zu erreichen.
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Produkte und Anwendungen, die sich positiv auf Körper und Geist auswirken, finden derzeit grosse Absatzpotenziale. Allein der sogenannte Well-being-Markt, der das mentale und emotionale Wohlbefinden eines Menschen umfasst und unter anderem Fitnessangebote oder den Wellness-Tourismus beinhaltet, wird auf 3,7 Billionen US-Dollar geschätzt. Ziel ist es, die Lebensqualität durch einen gesünderen Lebensstil mit gesundem Essen, Bewegung und ausreichend Ruhepausen zu steigern und so einen Gegenpol zu Stress und Hektik im Alltag zu schaffen.

Lange Zeit lag der Fokus dabei im Ana­logen und den Bereichen des physischen Wohlbefindens. Die prominenten Beispiele reichen von Fitnessprog­rammen bis hin zu Produkten für eine gesunde Ernährung und Vitamin-Präparaten. Yoga- und Meditationskurse führen diesen Trend in den letzten Jahren ebenso fort wie die zunehmenden E-Health-Angebote (zum Beispiel digitale Trainingsarmbänder). Mittlerweile haben längst nicht mehr nur Start-ups oder die Tech-Konzerne Fitnessstudios, Sport-, Yoga-, Meditations- und Massageangebote sowie Vortrags­reihen zum Stressmanagement in das Gesund­heitsmanagement des Unternehmens integriert.

Geistiges Wohlbefinden

Neu sind die aufkommenden Technologien, die sich auf das geistige und emotionale Wohlbefinden des Menschen fokussieren: die sogenannten Transformative Technologies (Transtech). Durch ihren Einsatz versprechen sich Nutzer, ihre geistige und emotionale Konstitution positiv zu beeinflussen. Da das körperliche Wohlbefinden auch massgeblich vom geistigen Wohlbefinden abhängt, können unmittelbar Auswirkungen auf die physische Gesundheit nachgewiesen werden. Auch wenn dieses Feld gegenwärtig oft noch als Nische wahrgenommen wird, so zieht es doch immer mehr Aufmerksamkeit auf sich.

Einer der Gründe hierfür liegt an der Sofia University, die im Silicon Valley in Palo Alto, Kalifornien, angesiedelt ist. Das dort an­sässige Transformative Technology Lab (TTL) ist Organisator der seit 2015 stattfindenden Transformative Technology Conference. Hier diskutieren die wichtigsten Entscheider aus Transtech-Unternehmen über die neuesten Trends und Entwicklungen in diesem Bereich, in welchen in den vergangenen Jahren über 1,6 Milliarden US-Dollar
investiert wurden. Beim TTL versteht man unter Transformative Technologies skalierbare kommerzielle Hardware und Software, die entwickelt wurde, um das subjektive emotionale und mentale Wohlbefinden zu verbessern.

Signale des Körpers aufnehmen

Die Transtech-Geräte sind in der Regel mit Sensoren ausgestattet und werden am Körper getragen. Damit sind sie zum grossen Teil nicht invasiv und nehmen mithilfe verschiedener Sensoren von aus­sen Signale des Körpers auf. In den meisten Fällen sind die Geräte über Blue­tooth mit einer App verbunden, welche die registrierten Signale für den Nutzer sichtbar macht und ihn durch unmittelbares Feedback zu Veränderungen seines bewussten und unbewussten Verhaltens motiviert. Die Geräte arbeiten mit Biofeedback beziehungsweise auch Neurofeedback und können in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden (siehe Box «Ausgewählte Kategorien von Trans­tech-Technologien»).

Gestressten Mitarbeitern helfen

Eine von mehreren Möglichkeiten, Stress über Sensoren wahrzunehmen, ist die Messung von Veränderungen in Atemmustern des Menschen. Unter Stress führt die Reaktion des sympathischen Teils des Nervensystems dazu, dass sich die Atemfrequenz erhöht und die Atmung verflacht. Dies geschieht in der Regel unbewusst. Das parasympathische Nervensystem, welches ebenso Teil des autonomen, peripheren Nervensystems ist, wird gleichzeitig unterdrückt. Der Stress wird in diesem Moment nicht bewusst wahrgenommen; es fehlt die Meta Awareness.

Die gestresste Person beziehungsweise im Arbeitsumfeld der gestresste Mitarbeiter agiert im Automodus, findet keine Ruhe und kommt oft schwer in eine entspannte und wieder produktive Arbeitsweise zurück.

Eine Transtech-Technologie, die in diesen Fällen helfen kann, den Stress zu realisieren und Gegenmassnahmen einzuleiten, sind Biofeedback-Geräte. So gibt es beispielsweise ein kleines, kieselsteinförmiges Gerät, das an der Innenseite des Hosenbundes getragen wird und welches Atemfrequenz sowie Atemtiefe misst. Basierend auf einem Algorithmus meldet sich das Gerät mittels Vibration, falls der Träger besonders und länger von seiner Durchschnittsatmung abweicht – sich also gerade in einer ausserordentlichen Stresssituation oder einer besonderen Ruhephase befindet. Durch die Vibration wird der Träger daran erinnert, auf seine Atmung zu achten und beispielsweise tief durchzuatmen und damit sein parasympathisches, beruhigendes Nervensystem zu stimulieren.

Nachgewiesene Wirksamkeit

Die Wirksamkeit dieser neuen Technologie konnte bei einem bereits auf dem Markt befindlichen Gerät in einer Pilotstudie, die zusammen mit der Stanford-Universität bei den Mitarbeitern des Karrierenetzwerks Linkedin durchgeführt wurde, nachgewiesen werden: 61 Prozent der Personen im Test konnten ihren Stresslevel aktiv und bewusst ändern. Die Anzahl der besonders stressigen Tage im Monat konnten die Testpersonen von 9 auf 4,5  Prozent senken.

Auch wenn in der Medizin schon seit vielen Jahrzehnten mit Gehirnwellen und ihrer Messung über EEGs gearbeitet wird, so befinden sich Anwendungen zur gezielten Selbstbeeinflussung der Gehirnwellen auf individueller Ebene noch am Anfang. Für den Eigengebrauch können Nutzer derzeit Produkte erwerben, die es ihnen erlauben, entstehende Gehirnwellen zu erfassen und mit App-basierten Übungen darauf zu reagieren. Angesichts des Trends zu Achtsamkeitstrainings in Unternehmen ist es eine Frage der Zeit, bis diese Geräte in Unternehmen in Gesundheitsmanagementprogramme aufgenommen werden.

Tatsächlich setzen erste Unternehmen, ausgehend vor allem aus dem Silicon Valley, diese und andere Transformative Technologies im Unternehmenskontext zur Steigerung des subjektiven Wohlbefindens und der Motivation und damit der Produktivität der Arbeitnehmer ein. Zu den Kunden von Anbietern transformativer Technologien gehören nicht nur Technologieunternehmen wie Google und Facebook, sondern auch Firmen wie Nestlé und Exxon Mobil.

Bewusster Umgang

Natürlich ist es paradox: In den meisten Achtsamkeitstrainings wie beispielsweise denjenigen des Search Inside Yourself Leadership Institutes, das aus dem gleichnamigen Training bei Google entstanden ist, wird darauf hingewiesen, dass Technologien und technische Geräte nicht Teil des Trainings sein sollen. Es soll eine Atmosphäre der bewussten Lösung von den jeden laufend umgebenden Technologien erreicht werden. Zahlreiche Unternehmen wie Bosch und SAP implementieren Retreats für ihre Führungskräfte, auf denen Abstand von Technologien gewonnen werden soll. Und nun propagieren die Early Adopters der transformativen Technologien den Nutzen gerade der Technologie, um das mentale Wohlbefinden zu steigern. Es bedarf also eines besonders bewussten Umgangs mit diesen Technologien, um ihre Wirkkraft und ihren Sinn tatsächlich für sich und im Unternehmenskontext zu nutzen.

Sicherlich können sie helfen, sich selbst besser kennenzulernen und einen auf bestimmte Verhaltensmuster – ausgelöst durch das autonome Nervensystem – aufmerksam zu machen. Mittelfristig sollten diese Technologien dazu dienen, sich selbst überflüssig zu machen, indem sie dem Nutzer dabei geholfen haben, seinen Weg zu finden sowie achtsam und aufmerksam auch ohne äussere Impulse im Arbeitsleben zu bestehen. Und dies ganz im Sinne einer höheren Arbeitsproduktivität mit ausgeglichenen und zufriedenen Mitarbeitenden in der Unternehmung.

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