Das Rad zurückdrehen möchte niemand. Was bleibt, sind wichtige Fragen: «Wie gehen wir am besten mit Digitalisierung um, damit wir davon profitieren können?» und «Gibt es die Möglichkeit, nicht trotz, sondern durch digitale Tools schneller, konzentrierter – und ausgeglichener im Sinne der Work-Life-Balance – zu sein?» Dieser Beitrag soll den Einfluss der Digitalisierung auf das Gehirn – aus neurowissenschaftlicher Sicht – beleuchten.
Der Übergang von der analogen in die digitale Welt ging rasant vor sich. 1969 war die Geburtsstunde des Internets, 2003 gilt als Startpunkt des digitalen Zeitalters. Damals gab es geschätzt mehr Daten im digitalen als im analogen Format. Schliesslich Google, der Touchscreen am I-Phone, Messenger-Dienste wie Whatsapp und jetzt autonom fahrende Autos, 3-D-Druck und Alexa.
Die Digitalisierung macht vor keinem Bereich halt. Und die meisten von uns haben die digitalen Vorzüge längst in ihr Leben integriert. Ob Basics wie Telefonspeicher, Navi oder Kalender im Smartphone – das Leben ist bequemer geworden. Wir müssen uns nichts mehr merken, weil wir alles ständig dabei und griffbereit haben.
Gehirn-Basics
Kommt unser Gehirn als zwei Millionen Jahre altes, analoges Steinzeitgebilde überhaupt mit der Digitalisierung zurecht? Dazu ist es wichtig, einige Basics zu kennen: Prinzipiell ist unser Gehirn extrem wandelbar und anpassungsfähig. Es ist zu grandiosen Leistungen fähig, wenn es richtig benutzt wird. Wichtig dafür ist die Grundversorgung: Ausreichend Getränke über den Tag verteilt und eine ausgewogene Ernährung bilden die Basis für einen konzentrierten und fokussierten digitalen Alltag.
Wenn unser Gehirn gut funktioniert, schüttet es Botenstoffe und Hormone in den richtigen Massen aus: Serotonin sorgt dafür, dass wir uns wohl fühlen und guter Stimmung sind. Wenn wir ins Tun kommen wollen, brauchen wir Dopamin, dessen Ausschüttung unter anderem durch Bewegung angeregt wird. Glückshormone, sogenannte Opioide, folgen, wenn wir ein Ziel erreicht haben. Deren Wirkung verpufft allerdings rasch. Dann brauchen wir wieder Dopamin, um ein neues Vorhaben anzugehen.
Ein wichtiger Faktor für die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns ist der Stresslevel, dem wir unterliegen. Mässiger Stress macht uns konzentriert und aufmerksam. Wenn der Stress hingegen zu viel wird, werden wir vergesslich und unkonzentriert. Sehr starker Stress über lange Zeit schädigt gar das Gehirn. Wer auf sich selbst und die Signale hört, die ihm sein Körper und damit sein Gehirn sendet, kann meist ganz gut einschätzen, was zu viel ist und wie viel Stress er noch ohne Schaden aushält.
Unser Gedächtnis schliesslich arbeitet umso besser, je mehr wir es nutzen. Es ist allerdings schnell überlastet. Nur ein Bruchteil unserer Eindrücke schafft es ins Bewusstsein. Dann müssen noch viele Faktoren stimmen, damit wir Fakten langfristig abspeichern. Das sind zum Beispiel neben dem schon genannten richtigen Hormoncocktail und mässigen Stresslevel auch Interesse, vorhandenes Wissen sowie die richtige Dosis an Informationen.
Der «Zoom»-Faktor
In den letzten Monaten fand eine digitale Disruption ohnegleichen statt. Was nie für möglich gehalten wurde, war plötzlich Wirklichkeit: Fast alle Büroarbeitsplätze wurden digital. Doch dabei fanden auch die Grenzen des Homeoffice ihren Ausdruck im neu entstandenen Begriff «Zoom-Fatigue», also «Zoom-Müdigkeit». Sie beschreibt die Tatsache, dass wir Webmeetings als extrem ermüdend empfinden.
Das Problem liegt darin, dass unser Gehirn in «normaler, analoger» Kommunikation aus der Körpersprache des Gegenübers Informationen sammelt und wir deshalb in einer bestimmten Art und Weise reagieren.
Online sehen wir maximal den Oberkörper, oft nur den Kopf unserer Gesprächspartner. Wir hören den Atem nicht, wenn der andere Luft holt, um uns zu unterbrechen. Wir sehen die Mikromimik nicht. Diese kleinen Muskelbewegungen im Gesicht machen den Unterschied, ob wir ein Lächeln als echtes Lächeln erkennen oder ob es auf uns «falsch» wirkt. Unser Gehirn versucht während eines Online-Meetings die ganze Zeit, diese nonverbalen Signale zu erkennen – ohne Erfolg. Dafür verbraucht es ziemlich viel Energie. Und das macht müde.