Digitalisierung & Transformation

Kundenbindung

Persönliche Beratung ist nicht ersetzbar

Die Digitalisierung wird den persönlichen Kundenberater nicht gänzlich ersetzen. Das Dienstleistungsgeschäft wird ein Hybrid aus standardisiertem Onlineangebot und individueller Beratung. Dies bedarf neuer Strategien und angepasster Geschäftsmodelle.
PDF Kaufen

Das Thema Digitalisierung ist allgegenwärtig. Unternehmen müssen und wollen sich digital transformieren. Wichtige Treiber dieser Entwicklung sind unter anderem veränderte Kundenanforderungen und neue Technologien, aber je nach Branche liegt der Schwerpunkt der Digitalisierung in einem anderen Bereich. So haben gemäss dem KMU-Spiegel 2017 der FHS St. Gallen für kleine und mittlere Unternehmen im produzierenden Gewerbe und in der Baubranche die mit der Digitalisierung ermöglichten Effizienzsteigerungen oberste Priorität.

Onlineangebote als Impulsgeber

Im Gesundheits- und Sozialwesen geht es vor allem um die Nutzung von Patientendaten, während für die IKT-Branche neue Geschäftskonzepte im Vordergrund stehen. Im Handel und im Gastgewerbe sind marktbezogene Aspekte, wie zum Beispiel Neukundengewinnung und digitale Vertriebswege, sehr wichtig. Im Dienstleistungssektor geht es vor allem um die Automatisierung.

Nicht ohne Grund fragen sich Dienstleister, wie viele Angestellte künftig noch nötig sind oder in wie weit sie durch automatisierte Prozesse ersetzt werden, wenn Versicherungen, Bankgeschäfte und Reisebuchungen mehrheitlich online von den Kunden erledigt werden, ohne jeglichen persönlichen Kundenkontakt. Die simple Antwort lautet: Es braucht beides. In der Versicherungsbranche beispielsweise nutzen Kunden zwar immer häufiger das Internet, um sich zu informieren und um online Vergleiche eines Versicherungsproduktes von verschiedenen Herstellern zu prüfen. Dass heisst aber nicht, dass sie diese auch zwingend online abschliessen.

Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Beratungsfirma Detecon unter 3000 Versicherungskunden sind «Onlinequellen bei einfachen Versicherungsprodukten in 30 Prozent aller Fälle zwar der erste Impulsgeber, aber bei den komplexen Versicherungsprodukten bevorzugen rund die Hälfte aller Kunden personengebundene Quellen».

Die einfachen Informationen holt sich der Kunde künftig zwar aus dem Internet, aber für die komplizierten Fragestellungen werden die Berater konsultiert. Denn letztlich will der Kunde zwar objektive Informationen, die er sich online beschafft, aber da er sich und seine Situation als individuell einschätzt, wünscht er ebenso eine individuell auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Beratung, spätestens dann, wenn die Fragestellung komplexer wird. Und die Welt wird immer komplexer, man denke nur an die noch immer ungeklärten rechtlichen Fragen des selbstfahrenden Automobils oder die Angebotsfülle an privaten und staatlichen geförderten Vorsorgepolicen.

Jeder zweite Kunde, der sich zuerst online informiert hat, wendet sich danach an einen Versicherungsberater. Denn das riesige Informationsangebot, welches der Kunde im Internet vorfindet, trägt oftmals nicht unbedingt dazu bei, die Komplexität einer individuellen persönlichen Fragestellung zu reduzieren. Die Reisebranche bietet hier ein gutes Beispiel: Reisebüros wurden in den letzten zehn Jahren von Online-Buchungsportalen nahezu komplett verdrängt, erleben aber seit kurzer Zeit wieder ein Comeback. Kunden werden offensichtlich von der Vielzahl der verfügbaren Online-Buchungsportale für Reisen, Hotels und Flüge überflutet, doch anstatt sich stundenlang mit der Auswahl zu beschäftigen, bevorzugen sie den Gang ins Reisebüro und ziehen die persönliche Empfehlung eines kompetenten Kundenberaters der eines anonymen Reiseportals vor.

Kundenbindung 4.0

Für Reisebüros, Versicherer, Banken und andere Dienstleister heisst das, dass sie zwar einerseits zwingend im Internet präsent sein müssen. Nicht nur mit einem eigenen, zeitgemässen Internetauftritt, entsprechend dem heutigen Kundenverhalten müssen sie auch zwingend auf den gängigen Vergleichsportalen und Bewertungsportalen vertreten sein, und dies möglichst einfach und positiv.

Aber es bedeutet auch, dass sie ihren Kunden weiterhin die persönliche Beratung durch die eigenen Mitarbeiter jederzeit offerieren und ermöglichen. Denn sobald der Kunde nicht mehr weiterweiss, wird er zum Telefon greifen und den im Internet angegebenen Berater anrufen und einen Termin vereinbaren. Vielleicht wird er aber statt eines Telefonanrufes eine E-Mail schicken oder über eine Applikation auf dem Smartphone eine Nachricht an ihn senden – das sind die neuen Kommunikationswege, welche dank der Digitalisierung Eingang in den Arbeitsalltag gefunden haben und die sich Berater, insbesondere aus dem Dienstleistungssektor, nutzbar machen müssen.

Für den Dienstleistungsanbieter bedeutet dies nicht nur, dass er zusätzlich zum bisherigen persönlichen Beratungsangebot neue digitale Informations-, Beratungs- und Vergleichsmöglichkeiten schaffen muss, sondern auch, dass er seine Kundenberater aus Fleisch und Blut auf das Beste ausbilden und laufend weiterbilden muss. Die Weiterbildung des Personals ist essenziell und steht nicht ohne Grund ganz weit oben auf der Liste: Gemäss der Studie «Digitalisierung – wo stehen Schweizer KMU?» des Beratungsunternehmens PWC Schweiz AG, Google Switzerland GmbH und Digitalswitzerland steht für einen Grossteil der Unternehmen die Optimierung der internen Prozesse und die Weiterbildung des Personals in Digitalisierungsthemen ganz oben auf der Digitalisierungsagenda. Hingegen werden die Kundeninvolvierung und die Kundenerfahrung von den befragten Unternehmen weniger stark in den Fokus gerückt.

Insgesamt bedeutet die Digitalisierung damit letztlich eine Neugestaltung der Geschäftsprozesse im beratungsintensiven Dienstleistungsgeschäft, der sich noch zu wenig Unternehmen stellen. Was gemäss der Studienleiter daher rühre, dass die Neugestaltung des Geschäftsmodells für Unternehmen einen grösseren Einschnitt bedeutet, als die bestehenden Prozesse zu optimieren. Neue Geschäftsmodelle würden bei den Entscheidungsträgern heute noch zu wenig als Chancen betrachtet – obwohl genau das eines der zwei wichtigsten Handlungsfelder für kleine und mittelgrosse Unternehmen im Prozess der Digitalisierung darstellt.

Konstante Kundenorientierung

Dies zeigt auch eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz, die den Stand der digitalen Transformation in Schweizer Unternehmen untersucht hat. Demnach hat bei 85 Prozent der KMU die digitale Transformation Auswirkungen auf das Geschäftsmodell und die interne Zusammenarbeit. Bei knapp 70 Prozent der KMU hat die digitale Transformation Einfluss auf die Unternehmenskultur. 63 Prozent der KMU haben bereits neue Technologien eingeführt und 62 Prozent der KMU haben ihre Marktpositionierung angepasst. Aber nur 30 Prozent der KMU sind mit ihren eigenen Digitalisierungsbemühungen zufrieden.

Als die zwei wichtigsten Handlungsfelder für kleine und mittlere Unternehmen ortet die Studie die konstante Kundenorientierung und neue Strategien und Geschäftsmodelle. Und eine klare Zielsetzung, denn «viele Unternehmen vergessen, worum es ihnen bei der Digitalisierung überhaupt gehen soll: nämlich darum, im digitalen Zeitalter eine wettbewerbsfähige Position zu finden», erläutert der Studienleiter Prof. Dr. Marc K. Peter.

Porträt