Digitalisierung & Transformation

Digitale Transformation (Teil 3 von 7)

Neuartige Kundenerlebnisse durch digitale Produkte und Leistungen

Der Kunde will massgeschneiderte, individuelle Produkte und Services, die Zeit sparen, sinnvolle Zusatzfunktionen haben oder durch die er Komfort gewinnt. Die rasant fortschreitende Digitalisierung ermöglicht den KMU, neue Kundenerlebnisse durch digitale Produkte sowie Leistungen zu schaffen.
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Im Mittelpunkt der Digitalisierung steht das Kundenerlebnis, nicht die Technologie. Digitalisierung bietet KMU die technologischen Chancen, sich konsequenter an den Kunden und deren Bedürfnissen auszurichten. Wie schwierig dies ist, zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre:

  • Kunden sind anspruchsvoller geworden.
  • Sie können leicht Produkte und Leistungen sowie deren Preise und Verfügbarkeiten im Internet vergleichen – sogar im Laden.
  • Sie erwarten zunehmend individuell auf sie zugeschnittene Produkte sowie Leistungen.
  • Mobile Endgeräte unterstützen die Personalisierung und gezielte Ansprache des Kunden jederzeit an jedem Ort.
  • Konsumenten können ihren Wünschen und Ideen, aber auch ihrem Ärger in sozialen Medien Luft machen und sie sichtbar in ein breites Publikum tragen.

 

Digitaler Kundenservice

Wichtig für den Kunden sind digitale Services zur Beratung rund um den Produktkauf: Der Kunde möchte sich selbstständig informieren können; wenn er nicht weiterweiss, sollte jederzeit ein kompetenter Ansprechpartner verfügbar sein. Derzeit erfolgt dies über oft überforderte Callcenter mit langen Warteschleifen und die Social-Media-Angebote, auf die Konsumenten dann ausweichen. Für die Beratung werden künftig Live Chat, Mobile Apps und Self-Service-Kundenportale wichtiger, wie die Studie «Global Contact Centre Benchmarking Reports 2015» zeigt.

Beispiel Self-Service-Portal: Ein Kunde möchte seine Arztrechnung bei seiner Krankenkasse einreichen. Er öffnet die App und startet den Chat. Der Agent empfiehlt ihm, die Rechnung zu fotografieren und direkt über die App an ihn zu schicken. Ein anderes Beispiel: Für den Abschluss einer Auslandskrankenversicherung hat sich der Konsument per Live Chat über die Konditionen informiert und Angebote eingeholt. Er öffnet den Vertrag, unterschreibt ihn auf seinem Smartphone mit digitaler Unterschrift und schickt ihn über den Chat an den Berater zurück. Ergebnis: Der Kunde hat in kürzester Zeit sein Anliegen erledigt und Geld für Porto, Druck und Papier gespart. 70 Prozent der Befragten sind sich der Studie zufolge einig, dass ihnen ein zentrales Kundenportal mit Zugriff auf die Kontakthistorie, die Dokumente und Serviceangebote einen echten Mehrwert liefert. Die Hälfte aller Befragten zeigt Interesse an einem mobilen, personalisierten Zugang zum Portal.

Der Messenger als Plattform

Schon bald wird es überflüssig sein, sich Apps herunterzuladen. Die Funktionen übernehmen sogenannte Chatbots, also textbasierte Dialogsysteme. Beispiel Facebook Messenger: Wer eine Karte für ein Konzert online reservieren möchte, kann entweder direkt auf die Website eines Anbieters gehen oder eine App herunterladen. Das ist mühsam: Konto erstellen, Passwort vergeben und notieren, Kreditkarte hinterlegen und, und, und. Künftig können Facebook-User direkt die Anbieter anschreiben, Tickets kaufen, zahlen sowie das elektronische Ticket mit QR-Code in ihrem Chatfenster aufrufen. Alle erforderlichen Daten sind bei Facebook hinterlegt. Vorreiter dieser Entwicklung ist übrigens der äusserst erfolgreiche Messenger We Chat aus China.

Schon heute liegen viele Dienstleistungen und andere immaterielle Güter digital vor wie zum Beispiel die Reisebuchung und die Bestellung eines Taxis. Diese Leistungen sind an jedem Ort und jederzeit abrufbar. Bei Autoversicherungen lassen sich Daten digitalisieren sowie auswerten: Sie geben dann Auskunft über das Fahrverhalten des Kunden, an dem sich die Versicherungsprämie ausrichtet. Krankenkassen überlegen derzeit, ob sie die Beiträge für Versicherte senken, die ihre durch mobile Endgeräte (Smartwatches, Wearables) gewonnenen Fitnessdaten preisgeben. Es gibt keine Branche, kein Produkt, das sich nicht mit ergänzenden digitalen Leistungen veredeln lässt und hierdurch neue Leistungen entstehen.

Service durch Individualisierung

Megatrend der letzten Jahre ist die Individualisierung. Ihr sind heutzutage kaum Grenzen gesetzt: Kleidung, Fahrräder, selbst das Frühstücksmüesli (www.mymuesli.com) kann der Kunde nach seinen individuellen Wünschen zusammenstellen. Fürs neue Auto kann der Käufer wählen zwischen vielen Aussenfarben, Dachfarben, Radvarianten, Innenraumdekors, Polstern, Deko-Elementen, Armaturentafeln, Schaltkonsolen, Türen, Innenrückspiegeln, und Fussraumteppichen. Die Aussicht ist gleich null, dass zwei identische Fahrzeuge eines Modells vom Band laufen.

Im Internet können die Konsumenten all dies wählen und sich so ihr Traumprodukt zusammenstellen – an jedem beliebigen Ort, zu jeder beliebigen Zeit. In der Cloud hat der Konsument stets Zugriff auf seine persönlichen Daten. Der User kann seine Daten erfassen, einsehen, bewerten und senden. Die Cloud speichert Bewegungsprofile und Verhaltensdaten, persönliche Fotos, wichtige Notizen und den persönlichen Kalender.

Mit Affective Computing können Technologien unsere individuelle Stimmung erfassen und uns auf dieser Basis Vorschläge machen: Welche Reise würde uns jetzt guttun? Welches Restaurant? Welche Zeitung würde uns anregen? Unsere Stimmung lässt sich messen durch die Augen (Irisanalyse), die Mimik und die mobilen Endgeräte am Handgelenk (Smartwatch).

Fazit: KMU können mit individualisierten Produkten flexibler auf Kundenwünsche reagieren. Über die Produkte hinaus können sie viele Services rund um die Produkte schaffen. Oft entstehen diese Services gemeinsam mit den Kunden (Open Innovation) auf spezialisierten Plattformen für kreatives Entwickeln, wie sie Dell hat, Tchibo und Otto (Crowdsourcing; in der nächsten Ausgabe des «KMU-Magazin» können Sie hierüber mehr lesen).

Treiber für neue Produkte

Vom digitalen Shopping über interaktive Schaufenster bis zum Markenerlebnis durch Virtual Reality (VR) – die Treiber der Digitalisierung ermöglichen eine neue Generation von Produkten und Dienstleistungen:

  • Entwicklung der Technologie: Die Informationstechnik verdoppelt sich seit Jahrzehnten alle 18 bis 24 Monate. Beispiel: Predictive Maintenance zeigt bald an, wann sich ein Produkt seinem Lebenszyklusende nähert. Sobald also der Chip im Sportschuh signalisiert, dass seine Dämpfungseigenschaften ungenügend sind, kann der Hersteller einen neuen Schuh anbieten. Der Autofahrer kann zur Wartung aufgerufen werden. Ein Konsumgüterhersteller kann durch Sensoren während der Produktnutzung Daten erheben und daraus Dienstleistungen («Smart Services») anbieten – beispielsweise auf einer Plattform, auf der Produkte und Daten unterschiedlicher Anbieter und Nutzer ausgetauscht werden. Das Internetprotokoll IPv6 ermöglicht, unendlich viele Geräte und Objekte zu vernetzen und mit IP-Adressen auszustatten.
  • Fallende Preise: Ein wichtiger Treiber für neue digitale Produkte sind die fallenden Preise für Prozessoren, Sensoren und Netzwerktechnologie. Sie haben sich seit Jahrzehnten in etwa alle zwei Jahre halbiert (Moore’s Gesetz).
  • Neue Devices: Dem Computer sind Laptops gefolgt, heute gibts Smartwatches, Datenbrillen, iBeacons (kleine Sender als Signalgeber) und Connected Car für die Vernetzung im Auto.
  • Neue Datenquellen: Immer mehr Gegenstände sind mit Sensoren ausgestattet wie Handys, Zahnbürsten, Kühlschränke. Sie sind Teil des Internet of Things, also der Verknüpfung von diversen Sensoren, Maschinen und (Alltags-) Gegenständen. Sensoren sind wichtige Datenquellen zum Kunden, etwa in Fahrzeugen und mobilen Endgeräten (Smartphones, Tablets und Wearables). KMU können diese Daten schneller und detaillierter auswerten als je zuvor.
  • Bessere Datenqualität: Durch neue Analysemethoden («Big Data») ist die Qualität von Daten erheblich gestiegen. Solche Daten sind Basis für Produkte, mit denen KMU die Bedürfnisse ihrer Kunden besser erfüllen können.

 

Hard- und Software-Innovationen

Mit der fortschreitenden Innovation von Soft- und Hardware entstehen neue und bessere Produkte, die bequem sind, dem Kunden Zeit und Geld sparen sowie zur Etablierung digitaler Geschäftsmodelle beitragen:

  • Softwareinnovationen sind Internetplattformen für Reisen, Telefonkonferenzen, Banken, Taxis, Handel sowie Bildung. Online-Reiseportale wie beispielsweise booking.com, airbnb.com und Holiday Check unterstützen Urlauber bei der schnellen und preisgünstigen Suche nach der Traumreise. Telefonkonferenzen mit Skype und Whatsapp helfen Kosten und Zeit bei Meetings zu sparen. Amazon hat als Händler begonnen, lässt nun aber auch andere Anbieter auf seinem «Marktplatz» verkaufen. Amazon plant zudem seine Päckchen in Zukunft mit Drohnen auszuliefern.
  • Hardware-Innovationen sind zum Beispiel Internetuhren (Smartwatch), Kleidung, Autos, Smart Home. Google hat zum Beispiel den Thermostathersteller Nest gekauft und Apples Anwendung «iHome» ermöglicht den Nutzern, viele Gegenstände im Haus mit nur einer App zu steuern. Im Prinzip bündelt «iHome» nur verschiedene Anwendungen, die andere Unternehmen erfunden haben.

 

Blick in die Zukunft

Werfen wir einen Blick in die nahe Zukunft: Auf der Fahrt von der Arbeit nach Hause sendet unser Handy ein Signal an unser cleveres Zuhause (Smart Home). Dort gehen kurz vor unserer Ankunft die Lichter an, die Heizung fährt hoch sowie das Wasser für den heissen Tee beginnt zu brühen. Intelligente Thermostaten passen die Raumtemperatur an die Bedürfnisse der Bewohner an, was Heizkosten spart.

Smart Home ist Teil des Internet der Dinge, also der zunehmenden Vernetzung von Geräten, Sensoren etc. via IP-Netz. Dies wird dazu führen, dass der Computer zunehmend durch intelligente Geräte ersetzt wird. Weitere Anwendungen sind intelligente Verkehrskonzepte in Smart City, Fitnesshelfer (Wearables). Autos sind mit zahlreichen digitalen Medien verbunden (Connected Cars), zum Beispiel dem Navigationssystem, Verkehrsleitsystemen mit flexiblen Umleitungen bei Stau, dem Internet und dem intelligenten Zuhause (Smart Home).

Innovationen in der Medizin

Smart Home lässt sich in der Medizin nutzen («E-Health»): Durch vernetzte Haushaltgeräte und Sensoren in der Wohnung können alte Leute länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Patienten bleiben zu Hause und tragen Kleidung, die Signale aussendet: Zum Beispiel benachrichtigt ein Sensor den behandelnden Arzt, wenn der Patient hinfällt.

Öffnet ein Demenzkranker die Tür, um die Wohnung zu verlassen, bittet ihn die Stimme seiner Tochter, doch einen Tee auf dem Sofa zu trinken. Weite Zukunft? Nein! Solche Technologien gibt es heute schon. Sind sie tragbar, werden sie Wearables genannt. Schon sehr bald können uns mobile Apps sehr früh auf entstehende Krankheiten hinweisen, die sich dann besser behandeln lassen.

Elektronische Bezahlsysteme

Digitale Bezahlsysteme (Digital Payment Systems, Electronic Payment Systems, E-Commerce Payment Systems) ermöglichen das digitale Bezahlen mit Kreditkarten, elektronischen Schecks, aufgeladenen Geldkarten, Digital Cash und dem Bezahldienst Paypal (Ebay). Immer häufiger zahlen Kunden mit ihrem Handy. Sie müssen dieses nicht einmal aus der Hosentasche ziehen, sondern können le­diglich den Scanner passieren (Digital Wallet). Mobile Payment ermöglichen Kreditkarteninstitute, Netzanbieter, Händ­lerkonsortien und Technologiekonzerne wie Google mit Google Wallet, Apple mit Apple Pay oder Microsoft mit Zero Effort Payment.

Die Verbreitung neuer Produkte

Noch ein Wort zur Verbreitung: Anfangs sprechen Innovationen, die Branchen revolutionieren (disruptive Technologien), eine begrenzte Zahl von Konsumenten an. Beispiele sind die Apple Watch, selbstfahrende Autos, Roboter als Assistenten. Dies führt dazu, dass Unternehmen solche Innovationen nicht rechtzeitig erkennen, da Bewertungen und Entscheidungen meist anhand der aktuellen Wirtschaftlichkeit bewertet werden. Was die Unternehmen übersehen, sind die künftigen Chancen und Potenziale am Markt sowie der Wettbewerbsvorsprung, Pionier zu sein («First Mover»). KMU sollten also den Markt und auch dessen sehr dyna­mische Entwicklung sehr aufmerksam verfolgen.

Vertrauen gefragt

Alle diese neuen Produkte und Leistungen werden auch unser Selbstverständnis ändern. Eine der grossen Fragen lautet, wem Kunden Zugang zu ihren persönlichen Daten und Vorlieben geben wollen. Sind es kleine Bequemlichkeiten wie die Bestellung von neuem Rasierschaum und die Buchempfehlung bei Amazon aufgrund der Bücher, die wir bereits gekauft haben; doch was ist mit Informationen über die Gesundheit? Mangelnde Bewegung? Häufige Niedergeschlagenheit?

Big Data bietet einerseits grosse Potenziale für künftige Geschäftsmodelle; andererseits löst es sehr widerstreitende Gefühle bei den Menschen aus – diese Gefühle schwanken zwischen Allmachtsfantasien und Niedergeschlagenheit: Allmachtsfantasien, wenn es darum geht, alle Neuigkeiten auf der Welt zu wissen, mit vielen Menschen weltweit sprechen zu können, selbst an den entlegensten Orten. Depressionen und Niedergeschlagenheit betreffen den Umgang mit (persönlichen) Daten, die Privatsphäre und die Kontrolle, die mächtige Player ausüben könnten.

Fazit

In dieser Situation brauchen Kunden besonders viel Vertrauen in das Unternehmen. Vertrauen meint, dass das wahrgenommene Risiko sinkt, von Unternehmen enttäuscht zu werden. Das Gegenteil von Vertrauen ist Angst. Dem Aufbau von Vertrauen dienen daher alle Massnahmen, die Unsicherheit abbauen. Hierzu gehört das klare Vorstellungsbild von der Haltung des Unternehmens zu diesen Themen und Aufklärung über den sorgfältigen und verantwortungsbewussten Umgang. Hilfreich hierbei sind Selbstverpflichtungen des Unternehmens («Policies»), die verbindlich sind und eingefordert werden können. Auch das überzeugende Vorleben durch das Management kann Unsicherheit abbauen sowie Vertrauen schaffen.

Porträt