Im Mittelpunkt der Digitalisierung steht das Kundenerlebnis, nicht die Technologie. Digitalisierung bietet KMU die technologischen Chancen, sich konsequenter an den Kunden und deren Bedürfnissen auszurichten. Wie schwierig dies ist, zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre:
- Kunden sind anspruchsvoller geworden.
- Sie können leicht Produkte und Leistungen sowie deren Preise und Verfügbarkeiten im Internet vergleichen – sogar im Laden.
- Sie erwarten zunehmend individuell auf sie zugeschnittene Produkte sowie Leistungen.
- Mobile Endgeräte unterstützen die Personalisierung und gezielte Ansprache des Kunden jederzeit an jedem Ort.
- Konsumenten können ihren Wünschen und Ideen, aber auch ihrem Ärger in sozialen Medien Luft machen und sie sichtbar in ein breites Publikum tragen.
Digitaler Kundenservice
Wichtig für den Kunden sind digitale Services zur Beratung rund um den Produktkauf: Der Kunde möchte sich selbstständig informieren können; wenn er nicht weiterweiss, sollte jederzeit ein kompetenter Ansprechpartner verfügbar sein. Derzeit erfolgt dies über oft überforderte Callcenter mit langen Warteschleifen und die Social-Media-Angebote, auf die Konsumenten dann ausweichen. Für die Beratung werden künftig Live Chat, Mobile Apps und Self-Service-Kundenportale wichtiger, wie die Studie «Global Contact Centre Benchmarking Reports 2015» zeigt.
Beispiel Self-Service-Portal: Ein Kunde möchte seine Arztrechnung bei seiner Krankenkasse einreichen. Er öffnet die App und startet den Chat. Der Agent empfiehlt ihm, die Rechnung zu fotografieren und direkt über die App an ihn zu schicken. Ein anderes Beispiel: Für den Abschluss einer Auslandskrankenversicherung hat sich der Konsument per Live Chat über die Konditionen informiert und Angebote eingeholt. Er öffnet den Vertrag, unterschreibt ihn auf seinem Smartphone mit digitaler Unterschrift und schickt ihn über den Chat an den Berater zurück. Ergebnis: Der Kunde hat in kürzester Zeit sein Anliegen erledigt und Geld für Porto, Druck und Papier gespart. 70 Prozent der Befragten sind sich der Studie zufolge einig, dass ihnen ein zentrales Kundenportal mit Zugriff auf die Kontakthistorie, die Dokumente und Serviceangebote einen echten Mehrwert liefert. Die Hälfte aller Befragten zeigt Interesse an einem mobilen, personalisierten Zugang zum Portal.
Der Messenger als Plattform
Schon bald wird es überflüssig sein, sich Apps herunterzuladen. Die Funktionen übernehmen sogenannte Chatbots, also textbasierte Dialogsysteme. Beispiel Facebook Messenger: Wer eine Karte für ein Konzert online reservieren möchte, kann entweder direkt auf die Website eines Anbieters gehen oder eine App herunterladen. Das ist mühsam: Konto erstellen, Passwort vergeben und notieren, Kreditkarte hinterlegen und, und, und. Künftig können Facebook-User direkt die Anbieter anschreiben, Tickets kaufen, zahlen sowie das elektronische Ticket mit QR-Code in ihrem Chatfenster aufrufen. Alle erforderlichen Daten sind bei Facebook hinterlegt. Vorreiter dieser Entwicklung ist übrigens der äusserst erfolgreiche Messenger We Chat aus China.
Schon heute liegen viele Dienstleistungen und andere immaterielle Güter digital vor wie zum Beispiel die Reisebuchung und die Bestellung eines Taxis. Diese Leistungen sind an jedem Ort und jederzeit abrufbar. Bei Autoversicherungen lassen sich Daten digitalisieren sowie auswerten: Sie geben dann Auskunft über das Fahrverhalten des Kunden, an dem sich die Versicherungsprämie ausrichtet. Krankenkassen überlegen derzeit, ob sie die Beiträge für Versicherte senken, die ihre durch mobile Endgeräte (Smartwatches, Wearables) gewonnenen Fitnessdaten preisgeben. Es gibt keine Branche, kein Produkt, das sich nicht mit ergänzenden digitalen Leistungen veredeln lässt und hierdurch neue Leistungen entstehen.
Service durch Individualisierung
Megatrend der letzten Jahre ist die Individualisierung. Ihr sind heutzutage kaum Grenzen gesetzt: Kleidung, Fahrräder, selbst das Frühstücksmüesli (www.mymuesli.com) kann der Kunde nach seinen individuellen Wünschen zusammenstellen. Fürs neue Auto kann der Käufer wählen zwischen vielen Aussenfarben, Dachfarben, Radvarianten, Innenraumdekors, Polstern, Deko-Elementen, Armaturentafeln, Schaltkonsolen, Türen, Innenrückspiegeln, und Fussraumteppichen. Die Aussicht ist gleich null, dass zwei identische Fahrzeuge eines Modells vom Band laufen.
Im Internet können die Konsumenten all dies wählen und sich so ihr Traumprodukt zusammenstellen – an jedem beliebigen Ort, zu jeder beliebigen Zeit. In der Cloud hat der Konsument stets Zugriff auf seine persönlichen Daten. Der User kann seine Daten erfassen, einsehen, bewerten und senden. Die Cloud speichert Bewegungsprofile und Verhaltensdaten, persönliche Fotos, wichtige Notizen und den persönlichen Kalender.
Mit Affective Computing können Technologien unsere individuelle Stimmung erfassen und uns auf dieser Basis Vorschläge machen: Welche Reise würde uns jetzt guttun? Welches Restaurant? Welche Zeitung würde uns anregen? Unsere Stimmung lässt sich messen durch die Augen (Irisanalyse), die Mimik und die mobilen Endgeräte am Handgelenk (Smartwatch).
Fazit: KMU können mit individualisierten Produkten flexibler auf Kundenwünsche reagieren. Über die Produkte hinaus können sie viele Services rund um die Produkte schaffen. Oft entstehen diese Services gemeinsam mit den Kunden (Open Innovation) auf spezialisierten Plattformen für kreatives Entwickeln, wie sie Dell hat, Tchibo und Otto (Crowdsourcing; in der nächsten Ausgabe des «KMU-Magazin» können Sie hierüber mehr lesen).