Es klingt zugegebenermassen mittlerweile wie ein Klischee, dass die Digitalisierung zu einer geografischen Annäherung führt, weil Distanzen kostengünstig und schnell überwunden werden können. Aber es stimmt eben doch. Aus einer betriebsinternen Perspektive wird die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg erleichtert, weil Informationen günstig und schnell geteilt und Arbeitsprozesse ungebunden von einem spezifischen Ort geplant, abgestimmt und koordiniert werden können. Aus einer Marktperspektive argumentiert, erleichtert die Digitalisierung den Zugang zu (neuen) Kundengruppen sowie Absatzmärkten und ermöglicht die punkt- und zielgenaue Positionierung der Unternehmung gegenüber diesen Kunden und Märkten.
Kulturelle Nähe herstellen
Diesen aus der entstehenden Nähe erwachsenden Chancen stehen aber auch einige Herausforderungen gegenüber, wie erhöhte Konkurrenz und Kostendruck, Sprachbarrieren, die Beschleunigung von Arbeitsprozessen, das Herstellen von Vertrauen in virtuellen Mitarbeitenden- und Geschäftsbeziehungen, die Notwendigkeit der Etablierung einer durchschlagenden USP oder etwaige regulatorische Fragen, um nur einige Dimensionen zu nennen.
Nur wenig diskutiert und oftmals schlicht übersehen sind überraschenderweise die zusätzlichen Herausforderungen des internationalen Managements. Diese zusätzlichen Herausforderungen ergeben sich aus der schlichten Feststellung, dass mit oder trotz einer digitalen Annäherung noch keine kulturelle Nähe entsteht. Wollen Unternehmen die Chancen der Digitalisierung vollends nutzen, muss gutes internationales Management auch diese kulturelle Nähe herstellen. Zur Sicherstellung einer kulturellen Nähe in Digitalisierungsprozessen müssen Unternehmen in drei Bereichen strategische und operative Antworten finden:
- eine geeignete visuelle und technische Benutzung der digitalen Werkzeuge;
- die Einbettung dieser Werkzeuge in ein förderliches unternehmerisches Selbstverständnis bezüglich internationalem Management; und
- die Befähigung der beteiligten Personen zur kultur-sensiblen Nutzung der Werkzeuge und Arbeitsprozesse.
Im Folgenden werden ein paar Ideen sowie Beispiele benannt, welche bei diesen wichtigen strategischen und operativen Fragestellungen Berücksichtigung finden sollten.
Kulturelle Nähe durch geeignete digitale Werkzeuge
Stets neue digitale Werkzeuge zur Förderung grenzenloser Zusammenarbeit und Kundenansprache werden Teil unseres beruflichen Alltages (Software wie Trello, Evernote, Slack, Dropbox; konsistente Erreichbarkeit über Whatsapp, Skype, Voice over IP oder Telephone-Conferencing-Systeme; Direktvermarktung und PR via Webseite, Blog, Online-Shop und Social Media). Mittlerweile ist es wohl angemessen, festzustellen, dass der Arbeitsalltag von jedem von uns mehr oder weniger von diesen digitalen Werkzeugen beeinflusst wird. Und gerade wegen dieser Allgegenwart und täglichen Verwendung sowie der vermeintlichen Uniformität dieser Werkzeuge über die Grenzen hinweg wird leicht vergessen, dass diese Werkzeuge in der Realität der Menschen doch sehr verschieden verwendet werden.
Diese unterschiedliche Verwendung hat hierbei auch eine kulturelle Komponente. Einerseits wissen wir aus Studien, dass verschiedene Kulturen auch verschiedene Farben, Grafiken, Icons oder Symbole und Bilder verwenden; andererseits organisieren verschiedene Kulturen Informationen und Wissen unterschiedlich innerhalb solcher digitaler Werkzeuge. Weiterhin kann die grundsätzliche Haltung, wie diesen digitalen Werkzeugen entgegengetreten wird, durchaus sehr unterschiedlich sein. So haben Joy und Kolb (2009) herausgefunden, dass Kulturen mit hohem Fokus auf Regeln und Regelbefolgung digitale Werkzeuge in der Regel langsamer adoptieren und weniger umfassend anwenden, weil die (zentrale) Kontrolle dieser Regeln in digitalen Arbeitsprozessen – die von einer Vielfalt an dezentralen Mitwirkenden geprägt werden – schwieriger möglich ist.