Digitalisierung & Transformation

Digitale Veränderungen Teil 6 von 6

Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit digitalen Disruptionen

(Digitale) Disruptionen fordern etablierte Unternehmen heraus. Sie liegen ausserhalb von deren Wahrnehmungsbereichen und können ganze Branchen obsolet werden lassen. Doch es gibt Wege aus dem Dilemma der Disruption. Der sechste Teil der Beitragsserie zeigt, wie dies gelingen kann.
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(Digitale) Disruptionen liegen oft ausserhalb des Wahrnehmungsbereichs etablierter Unternehmen. Da sie sich auf den unteren Teil des Marktes konzentrieren, der von den etablierten nicht (mehr) bedient wird, nehmen diese sie nicht wahr oder sie nehmen sie nicht ernst. Disruptionen werden von etablierten Unternehmen dann oft nicht als ebenbürtige Wettbewerber kategorisiert, sie sind zu neu und zu anders. 

Nichts zu verlieren

Dies wurde im fünften Teil der Beitragsserie am Beispiel der Musikindustrie gezeigt. Da der untere Teil des Marktes (Nutzer günstiger Produkte oder Nicht-Nutzer) nur tiefe Margen ermöglicht, bearbeiten ihn viele etablierte Unternehmen nicht. Das gilt vor allem im Zusammenhang mit neuen Technologien, die hohe, unsichere Investitionen erfordern, aber deren Erfolg unsicher ist. Für etablierte Unternehmen ist es lohnender, scheinbar «sichere» Erträge am oberen Ende des Marktes abzuschöpfen und Veränderungen auszublenden (Christensen, 1997; Christensen et al., 2016).

Junge Unternehmen haben auf einem solchen Markt mehr zu gewinnen als zu verlieren. Es ist noch nichts aus der Vergangenheit vorhanden, auf das sie im Falle des Scheiterns verzichten müssten. Sie sind daher eher bereit, das Risiko neuer Technologien zu tragen. Junge Unternehmen sind noch nicht mit der bestehenden Branchenlogik belastet, sie hinterfragen das, was für etablierte Unternehmen oft selbstverständlich ist. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um zu neuen Lösungen zu kommen und diese voranzutreiben. 

Opfer des eigenen Erfolgs

Etablierte Unternehmen werden dann Opfer ihres eigenen Erfolges. Denn aus ihrer Perspektive tauchen Disruptionen quasi aus dem Hinterhalt auf. Sie scheitern, obwohl sie aus ihrer erprobten Logik heraus alles richtig gemacht haben. Zwischenzeitlich hat sich jedoch die Wettbewerbslogik verändert, sodass sie ebenfalls scheitern, weil sie alles richtig gemacht haben. Denn die bis anhin vertraute Logik ist inzwischen nicht mehr gültig und damit falsch. Etablierte 
Unternehmen befinden sich somit in einem Dilemma. 

Vor diesem Hintergrund lässt sich rückblickend auch erklären, wie ehemals erfolgreiche, grosse Unternehmen wie Kodak oder Nokia scheitern konnten. Es gelang ihnen nicht, die technologischen Entwicklungen ihrer Zeit in ihre etablierte Gedankenwelt einzuordnen. Gerade der Fall von Kodak ist dabei besonders dramatisch. Das Unternehmen gilt als Erfinder der Digitalfotografie und hat es zugleich nicht geschafft, das eigene System von der analogen zur digitalen Technologie weiterzuentwickeln. Kodak wurde schliesslich von einer neuen Wettbewerbslogik überholt.

Technologien mit Potenzial

Es zeigt sich, dass strategisches Denken und Handeln untrennbar mit technologischen Entwicklungen verbunden sind. Eine kontinuierliche Beobachtung und Einschätzung innovativer Technologien ist daher für alle Unternehmen unverzichtbar. Ein möglicher Weg aus dem Dilemma der digitalen Disruption besteht darin, den Dialog mit Experten zu suchen, persönlich oder auch über frei verfügbare Informationen.

Thinktanks und zum Teil auch Beratungsunternehmen kommen dabei zu sehr ähnlichen Ergebnissen, welche digitale Technologien ein grosses disruptives Potenzial aufweisen. Im Mittelpunkt stehen dabei unter anderem folgende Trends (siehe zum Beispiel Gartner Group, 2016, 2018; Manyika et al., 2013 für McKinsey and Company; World Economic Forum, 2016).

Digitale Plattformen

Plattformen sind Marktplätze, auf welchen sich Anbieter und Nachfrager treffen. Digitale Technologien wie mobile Lösungen oder Cloud-Lösungen verändern grundlegend, wie Plattformen genutzt werden und welche Folgen daraus für Nutzer und den Wettbewerb entstehen. Bereits heute sind neue Spielregeln und neue Logiken auf den Märkten feststellbar, wie zum Beispiel Netzwerkeffekte oder exponentielle Wachstumsraten. Plattformen erhalten eine prominentere Bedeutung, sie entwickeln sich weg von der Rolle als Teil der Infrastruktur hin zum Mittelpunkt oft monopolistischer, branchenübergreifender Ökosysteme. Funktionierende Plattformen können zudem mit geringen Kosten skaliert und in neue Branchen transferiert werden. 

Smarte/datengetriebene Maschinen

Ein zentrales Charakteristikum der Di­gitalisierung ist die Verfügbarkeit von gros­sen Datenmengen zu allen denkbaren Sachverhalten wie Kundenverhalten, Maschinen, Prozessen oder Ergebnissen. Viele Daten liegen produzierenden Unternehmen heute schon vor. Durch künstliche Intelligenz, Data Science oder leistungsfähigere Sensoren und Prozessoren können sie besser gespeichert und ausgewertet werden. 

Es bestehen jedoch noch zahlreiche Fragen, welche Daten relevant sind, wie sie ausgewertet werden sollen, wo sie genau liegen etc. Gelingt eine sinnvolle Ge­winnung und Auswertung von Daten im Rahmen von Data-Science-Aktivi­täten, so lassen sich darauf aufbauend neue, nutzerfreundlichere Produkte und Services auf den Markt bringen, Geschäftsmodelle verändern oder interne Abläufe auto­matisieren und neu strukturieren. Bestehende Industriestandards können dann verändert werden. 

Mensch-Maschine-Interaktionen

Indem Maschinen eine wachsende Rolle in Unternehmen erhalten, braucht es eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen. Routineaufgaben können vielfach zuverlässiger von Maschinen erledigt werden, aber (noch) nicht kreative oder konzeptionelle Aufgaben. In Unternehmen braucht es beides (als Merkmale eines «agilen Unternehmens»), aber die Aufteilung der Aufgaben muss überdacht und neu gelöst werden. 

Digitale Technologien sind in diesem Prozess gleichzeitig Veränderer und Lösungsanbieter. Oft verstehen die Nutzer die zugrunde liegenden Technologien nicht, sodass die Nutzerfreundlichkeit durch personalisierte Apps, Wearables oder natürliche Schnittstellen sichergestellt werden muss. Abbildung 1 zeigt Beispiele digitaler Lösungen zu den genannten Trends.

Wege aus dem Dilemma 

Dilemmata wie auch dasjenige der digitalen Disruption sind in der Strategie kein neues Phänomen, sie begegnen uns aber mit zunehmender Häufigkeit. Auch wenn die Herausforderung einer Konfrontation mit digitalen Disruptionen für etablierte Unternehmen gross bleibt, so können doch sinnvolle Massnahmen ergriffen werden. Dazu gehören ausser den bereits genannten unter anderem die folgenden Aktivitäten.

Kooperationen

Kooperationen mit jungen oder branchenfremden Unternehmen, welche die bestehende Wettbewerbslogik (noch) nicht verinnerlicht haben. Solche Kooperationen ermöglichen eine Arbeitsteilung, bei der sich etablierte Spieler auf 
ihr Kerngeschäft konzentrieren, aber dennoch von den innovativen Ideen der Partner profitieren. Ein zentraler Erfolgsfaktor liegt dann darin, die jungen Unternehmen nicht anhand ihres derzeitigen (finanziellen) Erfolges zu beurteilen.

Die Partnerschaft kann nur funktionieren, wenn beide Seiten als gleichwertig und gleich legitim (statt Senior versus Junior; Geldgeber versus Geldempfänger; Insider versus Outsider etc.) betrachtet werden. Sonst bleibt das Dilemma bestehen: Etablierte schaffen es nicht, den Wert möglicher neuer Entwicklungen zu erkennen, weil sie sich zu sicher oder überlegen wähnen.

Selbst aktiv werden

Zum aktuellen Zeitpunkt ist die digitale Transformation in vielen Branchen noch im Anfangsstadium. Es lassen sich also zahlreiche Lücken auf der digitalen Landkarte finden, die auch durch etablierte Unternehmen gefüllt werden können. 

Dies erfordert jedoch eine aktive und bewusste Auseinandersetzung mit den Spielregeln, den Möglichkeiten und Konsequenzen, welche digitale Lösungen für das eigene Unternehmen mit sich bringen können. Und das Zeitfenster kann sich schnell verengen, sodass die Aktivitäten heute gestartet werden sollten. 

Unternehmen sollten sich bewusst machen, dass es dabei möglicherweisen keinen umgehenden Rückfluss an Erträgen geben wird, sondern dies zunächst In­vestitionen erfordert. Längerfristig aber könnte sich ein solches Engagement lohnen, indem das Überleben des Unternehmens gesichert wird.

Digitale Lösungen in die Unternehmensstrategie integrieren

Generell laufen etablierte Unternehmen besser damit, zu agieren oder mindestens zu reagieren, als nichts zu tun und den bisherigen Pfad weiter zu beschreiten. Auch haben entschiedene Aktivitäten eine grössere Erfolgswahrscheinlichkeit als zögerliches, halbherziges Handeln, das oft mit weniger Ressourceneinsatz verbunden ist (Bughin & van Zeebroeck, 2017). Das heisst, Unternehmen sollten die digitalen Möglichkeiten und Bedrohungen in ihre Unternehmensstrategie integrieren. Dabei wird es nicht ausreichen, nach einer einmaligen Lösung zu suchen, die Technologie entwickelt sich zu schnell und zu stark. Vielmehr muss immer wieder reflektiert, neu diskutiert und erwogen werden. 

Anhand der Entwicklung von Szenarien lassen sich so beispielsweise mehrere denkbare Realitäten «greifbar» und diskutierbar machen. Abbildung 2 fasst die genannten Chancen und Herausforderungen von Massnahmen im Zusammenhang mit digitalen Disruptionen zusammen. Vor diesem Hintergrund sollten sich KMU unter anderem die in Abbildung 3 gezeigten Fragen stellen und kontinuierlich oder in regelmässigen Abständen im Unternehmen diskutieren und reflektieren.

Ausblick

Die sechsteilige Beitragsserie hat verschiedene Facetten digitaler Veränderungen aufgezeigt und diskutiert. Die digitale Transformation ist zugleich Fluch und Segen. Sie bietet zahlreiche Chancen für Unternehmen, um sich im Wettbewerb neu aufzustellen. Sie ist aber auch mit grossen Herausforderungen verbunden, da vieles, das vertraut ist, innert kurzer Zeit obsolet werden kann. Unternehmen, welche diesen Veränderungen nicht rechtzeitig begegnen oder sie aufgreifen, werden möglicherweise aus dem Markt ausscheiden. 

Wir können heute noch nicht genau sagen, welche Veränderungen die digitale Transformation noch mit sich bringen wird. Doch wir können davon ausgehen, dass sie schon heute Realität für eine Grosszahl von Unternehmen darstellt. Es ist höchste Zeit zu handeln.

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