Digitalisierung & Transformation

Unternehmensführung

Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter

Digitalisierung ist eines der am meisten diskutierten Themen. Jeder ist in irgendeiner Form davon betroffen. Doch was bedeutet Digitalisierung überhaupt, und welche Konsequenzen hat dies für die Unternehmensführung?
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Wir leben nicht erst seit gestern in einem digitalen Zeitalter. Im Prinzip hat die Digitalisierung schon mit der Einführung der ersten Computer begonnen. Wenn man sich nun einmal anschaut, was Digitalisierung eigentlich bedeutet, dann fällt auf, dass es kein einheitliches Verständnis darüber gibt. Meist sind zunehmend digitale Arbeitsprozesse und Inhalte gemeint. Manche verstehen darunter Automatisierung und Beschleunigung. Andere mobil-flexible oder papierlose Arbeitsformen. Wieder andere denken an Social Media, Industrie 4.0, Big Data, Robotics oder künstliche Intelligenz. Allen gemein ist, dass Arbeit als vielfältiger erlebt wird und Menschen mehr Autonomie ermöglicht. Gerade bezüglich Arbeitsplatzsicherheit oder Veränderungen, die häufig mit Ungewissheit verbunden sind, besteht gleichzeitig aber auch ein Dilemma.

Der digitale Reifegrad

Für Unternehmen kennt man den Begriff des digitalen Reifegrads, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass ein Unternehmen beispielsweise eine digitale Vision hat oder Investitionen in digitale Fähigkeiten seiner Mitarbeiter tätigt. Unternehmen mit einem hohen digitalen Reifegrad sind im Schnitt 26 Prozent profitabler als solche mit einem niedrigen Reifegrad, wie eine kürzlich durchgeführte Studie des MIT Centre for Digital Business und der Capgemini Consulting gezeigt hat. Schon die Adaption des Geschäftsmodells alleine an die Digitalisierung der Prozesse und der Infrastruktur stellt für viele Unternehmen eine sehr grosse Hürde da. Letztlich sind jedoch das, was wirklich zählt und den eigentlichen Erfolgsfaktor für die Umsetzung einer digitalen Strategie darstellt, engagierte und befähigte Mitarbeiter. Mitarbeiter, die die digitale Strategie mittragen. Damit rücken sofort die Führungskräfte in den Fokus. Die Führungskräfte als Dreh- sowie Angelpunkt für Veränderungen. Und schon geht es um mehr als nur technologischen Wandel. Man könnte sogar sagen: Mit Zunahme der Digitalisierung nimmt die Relevanz analoger Führung zu.

Kompetenzmix notwendig

Das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter hat in einer Analyse von 30 Studien in einem Kompetenz-Ranking eine Metastudie zusammengefasst. Diese wurde zwischen 2012 und 2016 durchgeführt und hat die wichtigsten Führungskompetenzen in der Digitalisierung evaluiert.

An erster Stelle der Auswertung kommt die Kommunikation. Und das geht weit über den Austausch von Daten hinaus. Menschlichkeit auf Platz zwei fasst hier verschiedene Aspekte zusammen, zum Beispiel das Bedürfnis von Mitarbeitern nach Wertschätzung, nach Anerkennung, nach regelmässigem Feedback. Aber auch nach einem respektvollen Umgang miteinander. Man erkennt anhand dieser Darstellung, dass im Rahmen der Digitalisierung die digitalen technologieorientierten Kompetenzen gar nicht an erster Stelle stehen. Vielmehr stehen hier sehr analoge Kompetenzen, die mit dem Menschen zu tun haben, im Vordergrund. Ein echter authentischer Kontakt ist demnach erfolgsentscheidend. Also die Fähigkeit, wirklich zu kommunizieren.

Viele Menschen kommunizieren zwar, aber nur wenige stellen wirklich echten Kontakt her. Und wenn Menschlichkeit als Schlüssel zur erfolgreichen Digitalisierung gilt, dann muss man ganz klar sagen, dass wir paradoxerweise das digitale Rennen nicht gewinnen werden, indem wir Technologien meistern. Gewinnen können wir es nur durch Beibehalten und Weiterentwickeln von Menschlichkeit in der Zusammenarbeit – und insbesondere in der Führung.

Treiber des Wandels

Man kann die Kompetenzen zu einem einfachen Kompetenzmix zusammenfassen, der für erfolgreiche Führung im digitalen Zeitalter nötig ist. Natürlich steht an prominenter Stelle die fachliche Kompetenz. Eine Führungskraft braucht eine gewisse fachliche Kompetenz, um überhaupt die Leistung des Teams und der Mitarbeitenden einschätzen und beurteilen zu können. Weiterhin braucht eine Führungskraft digitale Kompetenzen, um nicht nur die verschiedenen Tools im Rahmen der Digitalisierung anzuwenden und zu kennen, sondern noch einen Schritt weiterzugehen und deren Nutzung vorzuleben. Es kann ihnen nämlich nicht darum gehen, im digitalen Wettrennen einfach nur mitzukommen und den Zug quasi nicht zu verpassen. Vielmehr geht es darum, den digitalen Wandel aktiv und proaktiv voranzutreiben. Gleichzeitig also auch Vorbild zu sein und vorzuleben, was sie von ihren Mitarbeitenden erwarten.

Hauptkompetenzen

Dann gibt es die beiden grossen Kompetenzbereiche Beziehungskompetenz und Selbstkompetenz, in die diese zwei Hauptkompetenzen – nämlich die Kommunikation und die Menschlichkeit – hineinfallen. Diese sind überall da Schlüssel zum Erfolg, wo Menschen gemeinsam erfolgreich sein und Ziele erreichen wollen. Sei es in der Führung, in der Zusammenarbeit oder im Kundenkontakt. Sie beinhalten die Fähigkeit, echten Kontakt zu anderen herzustellen, Beziehungen aufzubauen und diese auch unter schwierigen Bedingungen zu erhalten. Basis für diese Beziehungskompetenz muss eine gut entwickelte Selbstkompetenz sein. Wir können Beziehungskompetenz nur wirklich dann leben und entwickeln, wenn wir eine gute Beziehung und einen guten Kontakt zu uns selbst hergestellt haben. Ist das einmal erreicht, können wir uns im Kontext von Führung mit menschlichen Grundbedürfnissen auseinandersetzen. Grundbedürfnisse, die jeder Mitarbeitende hat, die Teams haben, die auch Kunden haben. Die wir alle als Menschen in uns tragen, in einem unterschiedlichen Mix, in einer unterschiedlichen Ausprägung. Sie sind wesentliche Treiber für unser Verhalten.

Grundbedürfnisse verstehen

Andy Habermacher, ein Kollege des Autors, hat zusammen mit zwei weiteren Kollegen ein Modell entwickelt, welches die menschlichen Grundbedürfnisse auf Basis der Hirnforschung sehr gut beschreibt. Das Modell heisst «SCOAP» und beschreibt die englischen Begriffe für diese fünf Grundbedürfnisse:

S = Self Esteem (Selbstwert)
Wir haben alle einen ganz starken Bedarf an Selbstwert. Wir wollen uns wertgeschätzt und wertvoll fühlen.

C = Control (Einflussmöglichkeit/Autonomie)
Damit sind die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gemeint, Einfluss zu nehmen, bei Entscheidungen und deren Vorbereitung mitgestalten zu können.

O = Orientation (Orientierung)
Das Bedürfnis nach Klarheit, Transparenz und Wissen, wie es weitergeht. Was sind nächste Schritte? Was bedeutet eine Veränderung für mich? Was ist zu tun, was wird von mir erwartet? Et cetera.

A = Attachment (Verbundenheit)
Mit dem Moment unserer Geburt wird dieser starke Antrieb, dieses grosse Bedürfnis nach Verbundenheit geboren. Teil von etwas zu sein. Auch Teil von etwas Übergeordnetem, das dem Ganzen eine Sinnhaftigkeit gibt. Wir sind als Menschen darauf ausgerichtet, mit anderen in Verbindung zu sein, uns gegenseitig zu helfen und zu unterstützen.
 
P = Pleasure (Freude)
Wir haben alle das Bedürfnis, mit Freude an die Dinge des Lebens heranzugehen, insbesondere an die Arbeit.

Diese fünf Grundbedürfnisse sind wesentlich für unser Verhalten, für unser Wohlbefinden, aber auch für unseren Erfolg. Als Führungskraft haben wir zwei Möglichkeiten, wie wir diese Grundbedürfnisse berücksichtigen können: Zum einen für uns selbst, indem wir sicherstellen, dass wir selber diese Grundbedürfnisse befriedigt haben und deshalb ausbalanciert und «gut unterwegs« sind. Zum anderen natürlich in der Führungsarbeit in der täglichen Zusammenarbeit mit unseren Mitarbeitenden.

Und gerade im digitalen Zeitalter gibt es besondere Herausforderungen an das Erfüllen dieser Grundbedürfnisse. Ein Beispiel ist die Verbundenheit. Allein durch den Austausch von Daten sind wir noch nicht wirklich verbunden. Es braucht Eins-zu-eins-Kontakt. Es braucht echten authentischen Kontakt. Aber auch die anderen vier Grundbedürfnisse gilt es in der Führungsarbeit abzudecken. Und damit stehen die Mitarbeiter im Vordergrund. Das scheint sehr logisch. Trotzdem ist in Unternehmen häufig ein Kundenfokus festzustellen, der nicht miteinbezieht, dass letztendlich die Mitarbeiter diesen Kundenfokus leben müssen. Und dass sie den nur in dem Grad und in dem Ausmass leben können, wie sie selber entsprechend zufrieden und engagiert unterwegs sind.

Der technologische Wandel im Rahmen der Digitalisierung ist nur ein Aspekt von mehreren. Erfolgsentscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass das Engagement der Mitarbeitenden in der Umsetzung und der Anwendung einer digitalen Strategie erreicht wird. Die Führungskräfte spielen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Menschlichkeit auf Basis einer gut entwickelten Selbst- und Beziehungskompetenz ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Die Entwicklung einer authentischen Persönlichkeit hat deshalb höchste Priorität.

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