Digitalisierung & Transformation

Digitalisierung / IT-Sicherheit I

Fortschrittsmanagement neu denken

Ein für die Zukunft ausgelegter Plan kann in schnelllebigen Zeiten schon morgen nicht mehr erfolgversprechend sein. Bei Unternehmenstransformationen benötigen Führungskräfte da­her andere Ansätze im Fortschrittsmanagement als die klassischen. Der Beitrag beschreibt die Alternative.
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Je drängender wesentliche Unternehmenstransformationen und je wichtiger das Handeln in Form von Projekten werden, weil ihr Anteil gegenüber Linien­tätigkeiten steigt, desto stärker wirken sich Schwächen in ihrem Management auf das wirtschaftliche Ergebnis von Unternehmen aus. War die Quote erfolgreicher Projekte schon früher eher durchschnittlich, so nimmt sie aktuell weiter ab, weil das alte Denken in Plänen und Meilensteinen über längere Zeiträume hinweg nicht mehr funktioniert. 

Die Wahrheit von heute, die den Plan für die kommenden Monate bestimmt, kann in rasanten Zeiten schon morgen eine ­andere sein. Sollen strategisch bedeutende Transformationen künftig gelingen, braucht es folgerichtig eine neuartige Weise, in einem unternehmensweiten Fortschrittsmanagement Projekte aufzuziehen und konsequent zum Erfolg zu bringen.   

In Zielzuständen denken

Der erste Unterschied zum klassischen Transformationsmanagement ist das Denken in Zielzuständen statt ausschliesslich in Zielen. Letztere bleiben zwar weiter die Basis strategischen Tuns (das «Wozu»), werden aber das Ergebnis eines künftigen Zustands interpretiert (dem «Was»), der sie erst hervorbringt. Wenn ein Oldtimerliebhaber voll En­gagement in jeder freien Minute an seinem Gefährt bastelt, so braucht er dafür sicher keine Gantt-Charts, Meilensteine, Tracking, Controlling & Co. Seine Mo­tivation ergibt sich durch das emotional verlockende Zielbild im Kopf, an einem sonnigen Tag mit offenem Verdeck im strahlenden Gefährt durch die Landschaft zu gleiten. 

Mit derartigen Zielzuständen fokussiert sich vergleichbar die Arbeit in der Or­­ganisation auf das «Wozu tun wir das?» und das «Was wollen wir erreichen?» der ­Projekte. Der Fokus geht damit weg vom «Wie», das immer zuerst an die Aktivi­täten denkt. In klassischen Projekten ­dominieren schon früh alle möglichen ­Massnahmen, mit denen man langfristige Pläne erfüllen will. Damit agiert man so, als würde der Blick in eine Managementkristallkugel schon heute offenbaren, was in mehreren Monaten zu tun ist. Werden die Pläne in komplexen Zeiten häufiger durch die Umstände überholt, zieht man die Aktivitäten oft stur weiter durch. Die Projektampel ist dann immer noch grün, aber man verliert das Ziel aus dem Fokus, obwohl alle denken, noch auf dem richtigen Weg zu sein.   

Wer hingegen in Zielzuständen denkt, hinterfragt jederzeit neu, welche Massnahmen das Zukunftsbild im Kopf am weitesten voranbringen. Das Denken ­findet demnach nicht mehr von A nach B (vom Status quo aus zum Ziel), sondern von B nach A statt. Das Zielbild der Zukunft – das, wo man hinwill – entscheidet über die aktuellen Aktivitäten und sorgt fürs Umsteuern, wenn neue Umstände dies signalisieren.

Emotionale Zugkraft erzeugen

Die dafür inspirierten Zielbilder liefern nicht nur die klare Vorstellung des «Wohin» im Projekt, sondern erzeugen auch die emotionale Zugkraft, die ein entscheidendes Kriterium für erfolgreiches und nachhaltiges Fortschrittsmanagement ist. Der Autobastler folgt keiner abstrakten Vorstellung des restaurierten Old­timers in Abmessungen und Gewicht und strebt nicht aus rationalen Gründen der Vollendung ent­gegen. Er goutiert die ­wiederhergestellte PS-Stärke nicht als das ­zufrieden stimmende Erreichen eines ­historischen Zahlenwerts, sondern verbindet den Fahrspass und den Stolz auf sein Werk damit. 

Ebenso ist es im Unternehmen, wo die Emotionalität aus einer ähnlich bild­haften Vorstellung entsteht: Was ist kon­­kret anders als heute, wenn Service und ­Support reorganisiert sind? Wie fühlt es sich an, wenn begeisterte Kunden die Bewertungsskala sprengen?  Was erleben die Verkäufer, wenn zuvor spröde Interessenten sich um die neue KI-gesteuerte Maschinengeneration reissen, von der alle reden? Was an dem, das heute eine Herausforderung ist, macht in der gol­denen Zukunft glücklich und stolz? Diese emotionale Aufladung ist die Basis für eine Projektbegeisterung, die Widerstände minimiert und nicht bereits bei den ersten Hürden erlischt.    

Fortschrittsorientierung

Aus emotionaler Sicht ist der antizipatorische Horizont der Zeitraum, in dem Menschen die Begeisterung für ein fernes Zielbild aufrechterhalten können. In der Regel ist er auf maximal sechs Monate begrenzt. Wenn es länger wird, erfahren die Beteiligten keine echte emotionale Bindung zum Zielbild und wirklicher Umsetzungswille entsteht erst gar nicht. Hoch performante Umsetzungen sind weniger eine rationale als eine emotionale Herausforderung.  

Doch nicht nur aus diesem Grund werden die Massnahmen in Sprints eingeteilt, die maximal drei oder sechs Monate andauern dürfen. In gleicher Weise kommt es auf die darin vorhandene Agilität an, die entstandenen Teilstücke zum einen fle­xibel aufeinander abstimmen und zum anderen umsteuern zu können, wenn sich neue Tatsachen von aussen oder im In­neren des Projekts ergeben. Gerade bei komplexen Massnahmen wie Unternehmenstransformationen, Strategieumsetzungen und anderen ist es natürlich, dass sich zwischen den Gewerken Überschneidungen, Konflikte und Synergien ergeben. Sind die Teilstücke klein und flexibel genug geschnitten, lassen sie sich dann so priorisieren und koordinieren, dass ein grösstmöglicher Umsetzungs-Flow die Folge ist. 

Von den Zielen zur Umsetzung

Ziele

Das Management legt unternehmerisch relevante Ziele in Zahlen, Daten, Fakten und Ansprüchen fest, die in einem bestimmten Zeitraum zu erreichen sind. Es ist sich darüber klar, dass das Erreichen dieser Ziele nicht vom Himmel fällt, sondern dass es dafür «Fantasie» nach dem Motto braucht: What got you here, won’t get you there. 

Handlungsfelder

Orientiert an den Unternehmenszielen und der Marktstrategie werden fünf bis acht themenzentrierte Handlungsfelder bestimmt und jeweils von einem Kernteam verantwortet. 

 
Zielbild

Eine Zielbildstory beschreibt auf zwei bis drei Seiten Prosa (kein Powerpoint) für jedes Handlungsfeld die Zukunft und was in ihr mit welchen Effekten anders ist, nachdem das Handlungsfeld aussergewöhnlich erfolgreich war. Die Story wird im Präsens verfasst, so als wäre die Zeit schon da, um möglichst plastisch zu sein und sich maximal attraktiv anzufühlen.

Zielbildpuzzle

Die Zielbildstorys mit ihren komplexen Zustandsbeschreibungen aus der Zukunft lassen sich in zentrale Aspekte zerlegen. Diese Aspekte sind die Eckpfeiler des ­Zielbildpuzzles, die ihrerseits wieder in Einzelzustände – die endgültigen Puz­zlestücke – aufgeteilt werden. Durch dieses Herunterbrechen wird das Handlungsfeld so systematisiert, dass es Zug um Zug bearbeitet werden kann. Nicht in Massnahmen! Jedes Puzzlestück beschreibt lediglich einen relevanten Zielzustand, den es zu erreichen gilt. 

Abhängigkeiten

Alle Kernteams analysieren die Storys und Puzzles der anderen Handlungsfelder: Wo sehen sie Überlappungen, wo Abhängigkeiten? Im Anschluss werden die Puzzleteile teilweise neu verortetet und inhaltlich feinjustiert. Zum Abschluss ­unterschreiben alle Beteiligten auch die Zielbilder anderer Handlungsfelder, für die sie «nur» Bedingungen erfüllen müssen, und committen sich zu diesen.

Priorisierung

Die so überarbeiteten Zielbildpuzzles ­liefern ein starkes Fundament, um gezielt Prioritäten zu setzen: auf welche drei bis sechs Zielbildpuzzles des jewei­ligen Handlungsfeldes wollen wir uns in den ­kommenden sechs Monaten fokussieren? Welchem Teilzielzustand wollen wir nach diesen sechs Monaten näher sein?

Kommunikation

Aus den Zielbildstorys je Handlungsfeld lassen sich Essenzen ziehen und in einer Zielbild-Mission zusammenfassen. Diese gepaart mit dem jeweiligen Zielbildpuzzle sind ein wunderbares Medium, um den Zielzustand zu teilen, zu kommunizieren und zu diskutieren. Sei es in ­einer grossen Town-Hall-Runde bei ­unternehmensweiten Massnahmen oder in einzelnen Bereichen.

Sprintvorbereitung mit Objective Key Results

Dasselbe Prinzip wie im Grossen (Zielbildstorys + Zielbildpuzzle) wird nun im Kleinen angewendet: eine Mini-Zeitreise je priorisiertes Puzzlestück. Was ist nach sechs Monaten bezogen auf das Puzzlestück anders? Dies ist das Objective. An welchen Ergebnissen merken wir jeden Monat, dass wir dem Objective näherkommen? Dies sind die Key Results.

Sechs-Monats-Sprint

In der Folge werden über sechs Monate die Objectives verfolgt, indem monatlich alle(!) Key Results wachsen. Dieser «Fortschrittszwang» wird ebenso monatlich im Handlungsfeld durch das Kernteam reflektiert. Das «No-How» dieser Meetings verlangt, dass nicht über Aktivitäten von gestern und über Absichten von morgen gesprochen wird. Stattdessen gilt der Management-Dreisprung. 1) Glaubt ihr noch an den Zielzustand? 2) Machen unsere Key Results Fortschritte? 3) Welche notwendigen Bedingungen sind zu erfüllen und welche Entscheidungen zu treffen?

Review

Gutes Umsetzungsmanagement ist kein Marathon, sondern besteht aus Sprint, Erholung, Training, Sprint. Am Ende der jeweils sechs Monate wird reflektiert, was gut lief und was weniger optimal war. Waren die Objectives zu grob, wurde wieder zu viel geplant und der Fokus auf die Key Results verloren, wird daraus ­gelernt. Inhaltlich wird der Sprintwechsel vorbereitet, indem die Schritte 5 (Abhängigkeiten), 6 (Priorisierung) und 8 (OKRs vorbereiten) erneut durchlaufen werden. 

Das Umsetzungsmomentum

Ist der erste Sprint in der Regel noch mit Unsicherheit und Widerstand verbunden («Wie soll das ohne Projektplan und Meilensteine überhaupt funktionieren?»), machen sich spätestens im zweiten die Zufriedenheit und der Stolz breit, nach sechs Monaten an allen Ecken und Enden voranzukommen, damit einen unter­nehmerisch relevanten Beitrag zu er­zeugen und sich weniger rechtfertigen zu müssen, warum was wo noch nicht ­fertig wurde. Auf diese Weise wachsen Leidenschaft und Vertrauen im Projekt, während die Scham- und Schuldgefühle des klassischen Projektmanagements mit seinen Lenkungsausschuss-Tribunalen ein Ende haben. So entstehen ein enormes Umsetzungs­momentum und ein Pull-Management, die Menschen magisch zum Zielzustand ziehen, ohne dass sie immer wieder gedrängt und Widerstände gebrochen werden müssen.

Jenseits der emotionalen Seite, die für die motivationale Zugkraft sorgt, entstehen auf der strategischen Seite eine zuvor ungeahnte Effektivität und Effizienz in der Umsetzung von Transformationen und Projekten. Diese werden nicht mehr von Plänen und Aktivitäten getrieben, die ­bereits nach kurzer Zeit ihren Impact auf die Ziele verloren haben, sondern von künftigen Zuständen geleitet, die aus­gehend vom Status quo Schritt für Schritt herbeigeführt werden.

Porträt