Digitalisierung & Transformation

Kolumne: Chief Digital Community

Digitalisierung und Organisation – eine Chance auf Symbiose

Digitalisierung ist in erster Linie eine Herausforderung an die Organisation. Die letzten zwei Jahrzehnte haben gezeigt, dass viele KMU-Betriebe – aber auch Grossunternehmen – die digitale Transformation aus einer einseitigen, sehr technisch geprägten Perspektive beurteilt haben.
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Wegweisende Entscheidungen im Zuge der digitalen Transformation wurden bislang vor allem aus einer IT-Optik analysiert und dirigiert. Die Folgen sind vielfältig und nicht immer nur an gescheiterten Projekten zu messen. Auch wenn Lösungen realisiert wurden und sogar im festgelegten Zeit- und Budgetrahmen, so sind die Erfolgsfaktoren vielschichtiger zu beurteilen. Sind Ihre Lösungen effizient? Sind sie im gesamten Unternehmen integriert und in den Köpfen Ihrer Mitarbeiter positiv internalisiert? Bieten sie tatsächlich einen Mehrwert für das Unternehmen? Diese Umstände hatten und haben grosse Auswirkungen auf die Anbieter für digitale Lösungen. Während in den Anfangsjahren die ersten Gehversuche von Unerfahrenheit und Naivität geprägt waren, steigen die Anforderungen und es entstehen neue dedizierte Fachbereiche.

Ein bewegliches Ziel

Das agile Manifest (www.agilemanifesto.org) aus dem Jahr 2001 ist die Fibel für moderne Softwareentwicklung. Darin eingeflossen sind jahrelange Erfahrungen aus gescheiterten Digitalisierungsprojekten. Auch wenn es bereits vor 17 Jahren verfasst wurde, hat das Manifest bis dato an Aktualität nichts eingebüsst. Durch das Manifest sind Entwicklergenerationen bewusst oder unbewusst geprägt worden, branchenweite Begriffe, Prozesse und Produkte haben sich etabliert. Man denke an die Webanwendung «Jira» des Softwareentwicklers Atlassian. Keine Sorge, wenn Ihnen diese Lösung nicht bekannt ist, Sie haben den Anschluss nicht verpasst. Denn trotz allen positiven Effekten der agilen Bewegung dominieren den Markt nach wie vor alte Denkmuster und vordigitale Routinen. Als ob man den Metzger von der veganen Lebensweise überzeugen möchte.

Heute sprechen viele von agiler Entwicklung und starten mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Verständnis der Methode in die Projekte. Nur hat agile Entwicklung einen zentralen Aspekt, den viele Unternehmer neutralisieren wollen: ein bewegliches Ziel. Dabei gilt: Je grösser das Projekt ist, umso unbestimmter sind die Vorhersagen für den Ausgang. Eine Horrorvorstellung für Entscheidungsträger, denn Budget und Zeit wünschen sich alle als feste Zielgrössen. Der Zielkonflikt ist vorbestimmt und oft auch nicht aufzulösen, wenn sich Dienstleister und Kunde nicht einigen können, mindestens eine Projektgrösse flexibel zu halten. Unternehmen sollten sich mit der digitalen Transformation auf möglichst breiter Ebene auseinandersetzen. Die Mitgestaltung kann nicht auf den Verwaltungsrat oder auf einen Geschäftsleitungsteil – in der Regel Marketing oder IT – beschränkt sein. Vielmehr sind alle Teile des Unternehmens in adäquater Weise mit einzubeziehen. So kann die Gefahr von Fehlin­ves­ti­ti­onen minimiert werden. Dazu aber weiter unten mehr.

Organisatorische Überforderung

Vor vielen Jahren durften wir ein Unternehmen in den ersten Digitalisierungsprojekten begleiten. Die euphorische Anfangszeit ist mir in bester Erinnerung. Wir hatten einen direkten Draht zum Geschäftsleiter und den Eignern und sties­sen dort auf offene Ohren. Die Affinität zu digitalen Themen war vorhanden und so nahm die Zusammenarbeit schnell an Fahrt auf. Wir lancierten einen neuen Webauftritt und damit einhergehend den ersten unternehmenseigenen Vertriebskanal in Form eines simplen E-Shops. Weitere Ideen für eine eigene Fan-Community folgten und wurden dann tatsächlich umgesetzt. Neue Initiativen für Markenerlebniswelten bis hin zu Systemintegrationen reihten sich dazu. Doch während dieses Prozesses erkannten wir immer deutlicher, dass der von oben angekurbelte Digitalisierungsschub zu einseitig ablief. Dabei war die Unternehmensleitung überhaupt nicht abgehoben oder von den Mitarbeitern entfremdet. Dennoch waren die Impulse zu diffus und vor allem mit einer zu hohen Kadenz angesetzt.

Trotz der Grösse von knapp 400 Mitarbeitern brachten die weitreichenden Digitalisierungsmassnahmen das Unternehmen an seine Grenzen. Beim Shop hatten wir gemeinsam mit dem Kunden akribisch die Vertriebsprozesse von Konfektion bis hin zur Erfassung im ERP durchgespielt und definiert. Kurz nach dem Start des Shops zeigten sich erste Probleme in der Spedition. Die Mitarbeiter waren zwar geschult worden, setzten aber die Online-Bestellungen auf die letzte Priorität in ihrer täglichen Arbeit, was zu Verzögerungen im Versand führte. Enttäuschte Kunden meldeten sich regelmässig beim Kunden. Schlussendlich konnten die Prozesse zwar optimiert werden, doch der Shop fristete ein Mauerblümchen-Dasein. Auch der Aufbau einer eigenen Web-Community überforderte alle Beteiligten. Dieses Projekt wurde schliesslich nach wenigen Monaten wieder aufgegeben.

Rückblickend kann man festhalten, dass wir uns gegenseitig hochschaukelten, in immer entlegenere Sphären. Wir als Dienstleister überschä-tzen die organisatorischen Möglichkeiten, oder im Umkehrschluss unterschätzte der Kunde seine organisatorischen Herausforderungen. Am Ende erkaltet die einstige Jungliebe und führt zur unweigerlichen Trennung. Das Unternehmen buchstabierte danach radikal zurück und setzte seine Digitalisierungsstrategie auf einem viel tieferen Niveau fort.

Die richtige Dosis

Als Dienstleister haben wir unsere Lehren aus der Geschichte gezogen und gehen heute sensibilisiert auf KMU-Unternehmen zu, um die digitalen Business-Häppchen mundgerecht zu servieren. Eine der wichtigsten Aufgaben in der digitalen Transformation hat keinen technischen Hintergrund – sie ist, wie erwähnt, eine organisatorische Frage. Digitalisierungsprojekte müssen straff sowie effizient geführt werden. Und wenn ich dafür plädiere, das Unternehmen auf breiter Ebene miteinzubeziehen, stehen wir nicht vor einem Widerspruch. Es ist eine Abwägung von Exklusion und Inklusion. Ein erfolgreiches Digitalisierungsprojekt läuft nach einem Plan ab, der sich im Projektverlauf flexibel auf
die veränderten Bedingungen anpassen lässt. Und die wichtigen Akteure werden nach ihren Verantwortungsbereichen miteinbezogen, und zwar so weit, dass sie im Projekt einen Mehrwert liefern können.

Der Begriff «Agilität» prägte neben der Softwareentwicklung auch Organisations- und Handlungsformen. KMU werden vor rasch alternierende Marktbedingungen gestellt. Und hier ist die richtige Dosis gefragt. Um keine Schnellschüsse zu produzieren, ist eine Mischung aus Gelassenheit, konsequentem Engagement und geistiger Offenheit gefragt. Sie schafft die Grundlage für einen offenen, aber gesteuerten Prozess. Es können Antworten auf die entscheidenden Fragen gefunden werden: Sind die personellen Ressourcen in genügender Anzahl vorhanden und mit dem notwendigen Wissen ausgestattet? Sind sie in die relevanten Fragestellungen involviert? Wie hoch werden die Erwartungshaltungen angesetzt? Sind diese konsistent zu den gesteckten Zielen? Kann sich das Unternehmen auf einen dynamischen Projektverlauf einstellen? Finden Sie für Ihr Unternehmen die richtige Dosis. Die Chief Digital Community unterstützt KMU bei dieser Herausforderung. Richtig angepackt kann die digitale Transformation einen symbiotischen Effekt auf KMU-Betriebe entfalten.