Digitalisierung & Transformation

Unternehmensentwicklung

Digitale Transformation: Zwischen Wahn und Wirklichkeit

Die digitale Transformation geht jeden Unternehmer an. Doch nicht jeder weiss, was das konkret für sein Unternehmen und seine Mitarbeiter bedeutet und welche Schritte zu einer erfolgreichen Veränderung führen. In seiner eigenen direkten Ansprache begleitet der Autor dieses Beitrags den Leser auf die Transformationsreise.
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Über die digitale Transformation wird viel geredet und viel geschrieben. Doch was genau damit gemeint ist, ist allgemein nicht wirklich klar. Jeder Experte, der ein Tablet halten kann, hat dazu eine eigene Meinung und findet das eigene Feld am wichtigsten und digitalsten. Doch damit nicht genug: Zwischen Blockchain und Big Data wird fast immer vergessen, was digitale Transformation für den einzelnen Mitarbeiter denn genau bedeutet. Zehn digitale Vordenker in einem Lab in Zürich oder Berlin werden Ihnen nicht helfen, wenn die 1000 «normalen» Mitarbeiter nicht wissen, was sie tun sollen. Und ein einzelner Digital-Beauftragter reicht nicht, wenn ein komplettes KMU umgestaltet werden soll. Nehmen wir uns einmal die Zeit, über Sinn und Unsinn der Digitalisierung zu sprechen – und wie wir sie im Alltag wirklich an­wenden.

Eine Definition

Es geht um die Veränderung von Unternehmen. Unternehmen, das sind Organisationen, also mehrere Menschen, die zusammenarbeiten, um Werte zu schaffen und diese zu verkaufen. Ohne erkennbaren Wert ist ein Unternehmen tatsächlich wertlos. Und wer entscheidet, was etwas wert ist und wie viel? Nur der Kunde. Wenn der den Wert nicht sieht, dafür nicht zahlen möchte, dann hat unternehmerisches Tun keinen (kommerziellen) Wert.

Digitale Transformation bedeutet, dass Sie die Chancen nutzen, die die Digitalisierung bietet, um mehr Wert für die Kunden zu schaffen. Eigentlich ganz einfach, nur in der Praxis ziemlich anspruchsvoll, denn das kann Ihr Unternehmen auch mal völlig auf den Kopf stellen. Sie und Ihr Team brauchen auf einmal mehr IT-Know-how. Sie bieten mehr Services an, nicht nur Produkte. Sie arbeiten weit enger mit Ihren Kunden zusammen – und Ihre Organisation muss möglicherweise komplett umgebaut werden, weil die alten Abteilungen und langjährigen Mitarbeiter gar nicht in der Lage sind, diese neuen Werte zu liefern.

Denken Sie einmal an Netflix. Das war mal ein DVD-Versand, der auf Streaming umstellte – ein grosser Schritt, vom Logistiker zum Service-Provider. Aber dann erkannte das Unternehmen den Vorteil, dass es mit all den Zuschauerdaten sehr gut weiss, was das Publikum interessiert. Warum die Daten nicht dazu nutzen, um mit diesem Wissen selbst Serien zu produzieren, statt einzukaufen? Aber könnte Ihnen das passieren? Dass ein Logistiker zum Filmstudio wird? Und zwar nur, weil er sich radikal daran orientiert, was der Kunde wirklich will? Natürlich. Das passiert auch «normalen» Unternehmen – ob gross oder klein –, die sich vom Hersteller zum Lösungsanbieter wandeln. Auf einmal müssen Sie Service liefern statt nur Produkte.

Statusbericht erstellen

Wenn Unternehmen es ernst meinen, dann lassen sie gerne als Erstes eine Bestandsaufnahme erstellen. Mit wohlklingenden Namen wie einem Digital Readyness Assessment oder einer Digital-Maturity-Messung soll erfasst werden, wo man heute steht und wo die Lücken sind, die man zum Erfolg überwinden muss. Nun, wenn Sie dafür mehr als einen Tag brauchen, verschwenden Sie Ihre Zeit. Denn eine ausgefeilte Tabelle aller Projekte mit Zielerreichungsgrad und Erfolgswahrscheinlichkeit bringt Ihnen – rein gar nichts. In den meisten Firmen gibt es digitale Initiativen, aber meist nicht koordiniert oder auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet. Bevor Sie also schauen, was Sie alles tun: Fragen Sie sich, wo Sie überhaupt hinwollen. Sie brauchen Ziele und eine Strategie. Und natürlich eine Vorstellung davon, wo Sie gerade stehen. Das geht am besten mit den «drei Blickwinkeln»: Selbstbild, der Eindruck der Kunden und die Einschätzung von Dritten (siehe Abbildung 1). Füllen Sie das einfach mal aus. Wenn Sie fertig sind, haben Sie eine sehr gute Vorstellung, wo Sie sich im Markt wirklich befinden. Und können darauf Ihre Strategie aufbauen.

Die digitale Strategie

Es beginnt mit einem Ziel. Wo wollen Sie in ein paar Jahren sein? Welche Rolle wollen Sie für den Kunden einnehmen? Wenn Sie wissen, wo Sie stehen, können Sie einschätzen, wie weit der Weg zum Ziel noch ist. Hierzu eine Warnung: Zu viele denken, Transformation sei ein Projekt, das man eines Tages abschliesst, um zum Tagesgeschäft zurückzukehren. Nein, Sie werden nicht nur Ihr Unternehmen ändern müssen, sondern auch die Art und Weise, wie Sie denken und wie Sie Geschäfte machen. Und beides werden Sie immer wieder anpassen und erneuern müssen. Das gilt auch für Ihre Ziele und die Strategie. Der Markt ändert sich, die Technologien, die Kunden haben neue Ideen und Bedürfnisse. Insofern ist digitale Transformation kein Projekt, sondern eine neue Art, wie ein Unternehmen funktioniert.

Zurück zur Strategie. Basis ist der Kunde. Der entscheidet, was Ihre Leistung wert ist. Dann kommt die Rolle, die Sie für den Kunden spielen – und die Alternativen, die er hat. Denn: Die Alternative zu einer Datenbank ist nicht etwa das Produkt eines anderen Anbieters, sondern – Excel! Sie ahnen ja gar nicht, wie viele Daten auch heute noch in Tabellen verwaltet werden. Das ist, trotz aller Nachteile, einfach, schnell und flexibel. Wenn Sie das aufmalen, sieht das Ganze etwa so aus wie in Abbildung 2.

Wenn Sie die Bedeutung geklärt haben, brauchen Sie zum einen Ihr Angebot: Was genau müssen Sie an Produkten, Dienstleistungen und Image anbieten? Dafür brauchen Sie die entsprechenden Ressourcen, ob Personal, Maschinen oder Lieferanten. Zum anderen müssen Sie sehr bewusst gestalten, was Ihr Kunde mit Ihnen erlebt. Und das geht vom Abnehmen des Telefons bis zur Formulierung Ihrer Mahnschreiben. Dafür brauchen Sie die richtige innere Haltung. Wenn Sie die Strategiekarte ausgearbeitet haben (was ebenfalls an einem Tag gut zu schaffen ist), können Sie sich Gedanken machen, wo Sie was wie ansetzen, um dort mehr Wert zu schaffen.

Das «digitale Spiegelei»

Die meisten Unternehmen, gerade im deutschsprachigen Raum, sind hervorragend in der Optimierung. Das Bestehende noch etwas besser zu machen, schneller, leiser, leichter – das können wir wie kaum ein anderer. Aber das ist nicht genug. Denken Sie an das Netflix-Beispiel oder an den Brandmelder-Hersteller Hekatron, der in Zukunft keine Brandmelder verkaufen will, sondern den kompletten Brandschutz für Gebäude. Wir sollten lernen, in drei Kreisen zu denken: dem «Digital Circle» (siehe Abbildung 3).

Diese drei Kreise werden gerne auch liebevoll das «digitale Spiegelei» genannt. Innen die Verbesserungen, die wir so gut kennen und können. Wer weiter denkt, kommt zur Erweiterung: neue Produkte, neue Dienstleistungen, neue Bezahlformen (wie Abonnement statt Kauf), neue Kombinationen, um unser Angebot sinnvoll zu erweitern. Der äussere Kreis ist das Entdecken: Was gibt es denn noch, das wir anbieten können, bestehenden Kunden oder ganz neuen Märkten? Das Gelbe vom Ei ist hier am Rand zu finden, nicht in der Mitte. Und es hilft uns, etwas weiter zu denken als nur bis zum Tellerrand und zur Kante des eigenen Schreibtisches.  

Mitarbeiter bewegen

Wenn Sie Ziele und Strategie haben, müssen Sie nur noch loslegen. Leider wollen nur oft die Mitarbeiter nicht. Die haben Angst vor der Veränderung, Angst um ihren Job und, selbst wenn sie wollen, gar keine Zeit für neue Projekte. Was Sie hier brauchen, ist ein Kulturwandel: ein kleines Wort, mit grossen Konsequenzen. Sie müssen «nur» dafür sorgen, dass sich die Arbeit konsequent an den Bedürfnissen der Kunden orientiert. Das bringt schon mal einen Riesenvorteil. Denn 80 bis 90 Prozent aller Projekte beschäftigen sich mit internen Fragen. Wie kann ich die Kundendatenbank in Form bekommen? Wie verbessere ich die Prozesse? Wie kriege ich Industrie 4.0 ins Unternehmen? Aber das ist alles nur Ich-bezogen. Wo bleibt da Ihr Kunde? Sie sollten alle Ihre Aktivitäten bewerten, inwieweit sie einen für den Kunden erkennbaren Mehrwert schaffen. Oder kurz: Wenn der Kunde davon nichts merkt, fliegt es raus. Sie werden sehen: Auf einmal haben Sie viel mehr Zeit.

Die andere Seite ist die Relevanz für den Mitarbeiter. Der fragt sich: «Was hat das mit mir zu tun?» Wenn er erkennen kann, dass sein Beitrag wichtig ist, weil er dem Kunden etwas bietet, versteht er, warum etwas notwendig und sinnvoll ist. Und er hat das Recht, die Aktion zu hinterfragen: «Ist das besser und attraktiver für den Kunden?» Wenn Sie das alles beieinanderhaben, Ihre Ziele, die Strategie und die Ausrichtung am Kunden, können Sie loslegen. Dann können Sie selbst beurteilen, was aus dem bunten Strauss der digitalen Möglichkeiten wirklich Mehrwert bietet und damit Ihr Unternehmen nach vorne bringt. Denn es gibt nicht «die» Transformation. Es gibt nur Ihren ganz eigenen Weg in eine erfolgreiche Zukunft.

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