Digitalisierung & Transformation

Studie: KMU-Spiegel

Die digitalen Erfahrungen von Schweizer KMU

Digitalisierung ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem viele KMU erst am Anfang stehen. Der KMU-Spiegel 2019 der FHS St. Gallen – begleitet durch Helvetia Versicherungen und BDO Schweiz – zeigt auf, welche konkreten digitalen Projekte Unternehmen verfolgen, welchen Chancen und Risiken sie dabei begegnen und welche Lösungsansätze entwickelt wurden.
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Es ist wohl unbestritten, dass die Digitalisierung eines der wichtigsten und umfassendsten Themen ist, mit denen Unternehmen heute konfrontiert sind, wenn nicht sogar das wichtigste. Der Begriff «Digitalisierung» oder «digitale Transformation» fasst dabei alle Entwicklungen zusammen, die auf digitalen Technologien aufbauen. 

Für viele KMU ist es im Vergleich zu Grossunternehmen in der Regel schwieriger, mit den Veränderungen der Digitalisierung umzugehen. Aufgrund der oft begrenzten Ressourcenausstattung gelten für KMU im Vergleich zu Grossunternehmen andere Grenzen und Möglichkeiten.

KMU brauchen neue Lösungen

Es zeigt sich aber auch, dass es gerade die besondere Situation der KMU ist, welche diese zwingt, über neue und kreative Lösungen nachzudenken. Dies ist zwingend notwendig, denn digitale Geschäftsoptionen ermöglichen es neuen Wettbewerbern wie zum Beispiel Start-ups oder Unternehmen aus anderen Branchen, auf eine neue Art und Weise in etablierte Branchen zu dringen.  Ein Beispiel ist die Plattform Haus­held.ch, bei der es um die Digitalisierung im Handwerk geht. Ein smarter Algorithmus hilft dabei, zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln. Für Kunden geht es um die Frage, wie sie den passenden Handwerksbetrieb für ihr konkretes Vorhaben rund ums Haus finden. Für Handwerker geht es darum, wie sie solche Aufträge gewinnen können, die zu ihren Kompetenzen und zu ihrer technischen Ausstattung passen. Das Unter­nehmen wurde 2016 gegründet und zählt mit 20 Beschäftigten mittlerweile zu den führenden Renovationsportalen in der Schweiz: Über 20 000 Projekte wurden seitdem vermittelt und mehr als 200 Millionen CHF Umsatz generiert. «Traditionelle» Fragen werden also mit neuen Mitteln und digitalen Lösungen beantwortet.

Digitale Geschäftskonzepte

Vor diesem Hintergrund stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob KMU «digital» werden sollen oder nicht. Denn wir gehen zum aktuellen Zeitpunkt davon aus, dass alle Unternehmenstypen, -grössen und Branchen von der Digitalisierung betroffen sind. Die Studie «KMU-Spiegel 2019» beleuchtet das Thema «Digitalisierung» anhand von ausgesuchten Fallstudien aus verschiedenen Branchen. Es soll aufgezeigt werden, welche digitalen Projekte die Unternehmen verfolgen, welchen Chancen und Risiken sie dabei begegnen und welche Lösungsansätze entwickelt wurden (siehe Kasten).

Neue digitale Technologien wie das Internet der Dinge, Robotik oder künstliche Intelligenz eröffnen Unternehmen viele neue Möglichkeiten. Sie können zum Beispiel über den Online-Vertriebskanal neue Kundengruppen erreichen, ihre Produkte mit zusätzlichen digitalen Services ergänzen oder die unternehmensinternen Prozesse effizienter gestalten. Die Digita­lisierung spielt weiterhin eine prägende Rolle. Insbesondere der Kundenkontakt muss heute zielführend, effizient, aber dennoch individuell gestaltet werden. Die Nutzung neuer Technologien kann dazu beitragen, Prozessabläufe in der Interaktion mit den Kunden zu optimieren und so einen Mehrwert für den Kunden, aber auch das eigene Unternehmen zu generieren. 

Praxisbeispiel Ergoswiss

Ein Beispiel ist das Unternehmen Ergo­swiss aus Widnau im Kanton St. Gallen, das stellvertretend für viele produzierende Schweizer KMU stehen könnte.Ergoswiss ist als Hersteller von Hydraulik- und Spindelhubsystemen für höhenverstellbare Industriearbeitsplätze in diesem spezifischen Markt sehr erfolgreich und im Hydraulikbereich sogar Marktführer. Über digitale Marketingkanäle können Kunden für die eigenen Nischenprodukte sehr gut erreicht werden. Neben dem persönlichen Verkauf erfolgt der Vertrieb über die digitalen Kanäle Web­shop und Online-Konfigurator. 

Die neuen digitalen Vertriebskanäle ermöglichen den Kunden die einfache und effiziente Bestellung von Produkten. Der Online-Konfigurator stellt aktuell das wichtigste digitale Projekt dar. Der Kunde kann sich dort selbst im Baukastensystem das passende Spindel- oder Hydraulikhubsystem zusammenstellen. Mit dem Online-Konfigurator verfolgt Ergoswiss eine Pionierstrategie und konnte sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. «Im Vergleich zu den Mitbewerbern sind wir die Ersten, die das gemacht haben, und es kommt auch sehr gut an», sagt Andreas Heuscher, Leiter Entwicklung und Konstruktion bei der Ergoswiss AG. 
Beim Online-Konfigurator haben sich die Interaktion und Kommunikation mit dem Kunden verändert. Die persönliche Betreuung rückt in den Hintergrund, denn der Kunde navigiert sich selbst durch den Bestellprozess. Jedoch sind nur Standardprodukte verfügbar, bei denen es keinen Beratungsbedarf gibt. Neben dem Standardgeschäft gibt es die beratungsintensiven Produkte und Lösungen, bei denen der direkte und persönliche Kontakt mit dem Vertrieb eine sehr wichtige Rolle spielt. Hierfür steht jetzt mehr Zeit zur Verfügung, um die persönliche Kundenbeziehung zu pflegen. Selbst wenn also digitale Tools die Interaktion mit dem Kunden verändern und die Zusammenarbeit erleichtern, gewinnt die persönliche Kommunikation an Bedeutung. 

Digitales Neuland als Risiko

Digitale Technologien können aber auch Stolpersteine für die weitere Entwicklung und mitunter sogar das langfristige Überleben eines Unternehmens darstellen. Die Digitalisierung eröffnet nicht nur neue Chancen, sondern birgt auch gewisse Risiken. Unternehmer, die sich aktiv mit Cyber-Risiken, Datenschutz und vernetzter Wertschöpfung befassen, können die sich bietenden Chancen besser nutzen und werden nicht überrascht. Ganz konkret werden von Unternehmen die Themen Datensicherheit, Investitionsbedarf und Kompetenzen am häufigsten als Gefahren genannt. 

Im Hinblick auf die Investitionen, die im Zuge der Digitalisierung notwendig sind, geht es nicht nur um die Investitionshöhe, die für KMU mit begrenzten finanziellen Ressourcen eine Herausforderung darstellen kann. Bei vielen Unternehmen besteht eine gewisse Unsicherheit, welche Themen für sie überhaupt wichtig und welche unwichtig sind. Es besteht die Gefahr, in die falschen Vorhaben zu investieren, die sich zukünftig möglicherweise nicht auszahlen. Nicht zuletzt braucht es für die erfolgreiche Nutzung neuer digitaler Technologien neues Wissen und neue Fähigkeiten. Der Einsatz digitaler Technologien sollte einen klaren Mehrwert schaffen und darf niemals Selbstzweck sein.

Praxisbeispiel Kliniken Valens

Dies bestätigt das Praxisbeispiel aus dem Gesundheitssektor. Bei den Kliniken Valens, einer Reha-Klinik mit Standorten in Valens, Walenstadtberg, St. Gallen und Chur, setzt man in der Therapie bereits sehr erfolgreich innovative Technologien ein. Roboter unterstützen den Patienten gezielt bei seinen Bewegungen (vgl. Foto). Für die Zukunft wird an Apps gedacht, die den Patienten auch nach dem Aufenthalt zu Hause weiter begleiten. Die Gefahren bei der Digitalisierung liegen vor allem in den Bereichen Finanzen, Know-how und Komplexität. 

Durch die rasante Entwicklung von neuen Technologien werden Entwicklung, Handhabung und Wartung dieser Systeme immer komplexer. Dies bedeutet, dass sie auch teurer werden und daher viele kleinere Kliniken nicht mehr mithalten können. Das erklärt, warum einige von diesen versuchen, sich grös­seren Kliniken anzuschliessen. Ebenfalls eng mit dieser zunehmenden Komplexität verbunden ist das dazu notwendige Know-how. Fachkräfte, die darüber verfügen, sind jedoch selten und daher teuer. Dazu kommt, dass die wenigen qualifizierten Fachkräfte von liechtensteinischen und sogar Zürcher Banken abgezogen werden, weil diese höhere Löhne zahlen können. Vielfach verfügen diese Fachkräfte aber nicht einmal über das notwendige Know-how.

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