Digitalisierung & Transformation

Digitale Transformation in KMU (Teil 1 von 7)

Die Bausteine der digitalen Transformation

Die Serie «Digitale Transformation in KMU» beschreibt, welche Bausteine zur Digitalisierung gehören, wie sich der Managementprozess daraus gestaltet und wie KMU den notwendigen Change in der Praxis umsetzen können. Dieser erste Teil stellt die einzelnen Bausteine eines Strukturmodells für die digitale Transformation vor.
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Die digitale Transformation ist ein umfangreicher Prozess, der aus mehreren Bausteinen besteht. Die Abbildung zeigt die wichtigsten Bausteine im Überblick. Sie entstammen dem Berliner Management Modell für die Digitalisierung (BMM), das am Berlin Career College der Universität der Künste Berlin in langjähriger Forschungs- und Praxisarbeit entwickelt wurde. Bevor wir uns den einzelnen Bausteinen widmen, sollten wir klären, was mit der Digitalisierung in KMU gemeint ist.

Was Digitalisierung bedeutet

Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Doch geht das Verständnis weit auseinander: Es reicht von der elektronischen Rechnungserstellung von zuvor postalischer Versendung hin zu bahnbrechenden Neuerungen, die ganze Branchen verändern («disruptive Innovationen»).Digitalisierung bedeutet Schaffung und kontinuierliche Entwicklung völlig neuer Kundenerlebnisse auf Basis neuer Technologien. Sie geht einher mit der kontinuierlichen Veränderung der Geschäftsmodelle, neuen Produkten und Leistungen sowie neuen Kundenbeziehungen. Eine digitale Transformation ist somit der gezielte Einsatz von digitalen Technologien, um Wertschöpfungsprozesse neu zu gestalten und enorme Potenziale in Zukunftsmärkten zu erschliessen. Sie geht einher mit dem umfangreichen organisationalen Wandel. Digitalisierung umfasst also wesentlich mehr als die Einführung von Social Media. Die Digitalisierung eröffnet zwei grosse Potenziale für KMU:

  1. Die Optimierung des Tagesgeschäfts: KMU müssen das eigene Tagesgeschäft optimieren, mit dem sie ihr Geld verdienen. Digitalisierung kann unterstützen, Geschäftsprozesse schneller, preiswerter und besser zu machen. Ein Motto hierbei lautet oftmals: Was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert, wie im Fall des Schriftverkehrs.
  2. Völlig neue Geschäftsmodelle und Leistungen: Sie sollten nach völlig neuen Geschäften Ausschau halten. Neue Technologien ermöglichen, völlig neuartige Kundenerlebnisse zu schaffen, wie Self-Service-Portale, auf denen der Kunde alle Anliegen einfach und schnell elektronisch abwickeln kann.

Die Aufgabe für KMU besteht darin, zum einen das Tagesgeschäft weiter zu optimieren, aber auch nach neuen strategischen Optionen für das eigene Geschäft zu suchen.

Umfangreicher Wandel

Die Digitalisierung in der Wirtschaft hat schon in den 1990er- Jahren rasant in Unternehmen Fahrt aufgenommen. Sie betrifft alle Unternehmen und Branchen. Viele KMU spüren bereits, dass sie notwendig geworden ist, um im Wettbewerb erfolgreich zu bleiben.

Die Digitalisierung bringt grosse Veränderungen für KMU mit sich: Schon heute entstehen grundlegend neue Geschäftsmodelle, bahnbrechende Innovationen, neue Kundenbeziehungen sind mög-
lich. In den Unternehmen entstehen neue Formen der Zusammenarbeit, neue Quali­fikationen sind erforderlich. Diese Entwicklung ist tief greifend und kontinuierlich. Viele vergleichen die Auswirkungen mit der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Die Frage für jedes KMU lautet, ob es die Potenziale der Digitalisierung für seinen eigenen Geschäftserfolg erkennt und gezielt und langfristig nutzt – oder ob es reagiert und womöglich den Anschluss an den Wettbewerb verliert. Beispiele wie Nokia zeigen, dass selbst ehemals erfolgreiche Unternehmen vom Markt verschwinden, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen – der Erfolg von gestern kann der schlimmste Feind für den Erfolg von morgen sein.

Bausteine der Digitalisierung

Digitalisierung hat zum Ziel, neue Technologien für völlig neuartige Kundenerlebnisse zu nutzen und diese gewinnbringend zu vermarkten.

Neue Technologien

Ausgangspunkt der Digitalisierung sind neue Technologien wie Biotechnologie, Nanotechnologie, 3-D-Drucken, Virtual Reality, Augmented Reality. Diese Technologien entwickeln sich exponentiell. Was dies bedeutet, kann ein Beispiel verdeutlichen: Auf einem See gibt es erst eine Seerose, dann zwei, dann vier, dann acht. Im vorletzten Schritt ist der See halb voll mit Seerosen, im letzten Schritt voll mit Seerosen. Nach diesem Prinzip entwickelt sich die Technologie, nur dass es sich hierbei um einen Prozess ohne Ende handelt. Laut Moor’schem Gesetz verdoppelt sich die Leistung von Chips, Bandbreite und Computern alle 18 Monate.

Beispiele für neue Technologien

  • Biotechnologie
  • Neuro- und Nanotechnologie
  • Neue Energien und Nachhaltigkeit
  • IKT und mobile Technologien
  • Sensorik
  • 3-D-Printing
  • Künstliche Intelligenz
  • Robotik
  • Drohnen


KMU sollten prüfen, ob sie solche Technologien nutzen können, um neue Kundenerlebnisse zu entwickeln.

Neue Geschäftsmodelle

Die neuen Technologien werden in Geschäftsmodellen in ein wirtschaftlich ertragreiches Modell gebracht, mit dem das KMU seine wirtschaftliche Basis sichert. Das Modell beantwortet die Fragen:

1. Wer sind unsere Zielkunden?
2. Was offerieren wir unseren Kunden?
3. Wie halten wir das Nutzenversprechen?
4. Wie generieren wir Erträge?

Zu den neuen Geschäftsmodellen gehören Internetplattformen für Banken, Taxis, Handel,  Bildung und Reisen wie booking.com, airbnb.com oder Holiday Check.  Auf Online-Reiseportalen treffen sich Nachfrager und Anbieter wie Taxifahrer, Hersteller, Verlage und Vermieter. Diese Plattformen produzieren keine Produkte, sondern agieren als Vermittler. Plattformen unterstützen den Urlauber bei der schnellen und preisgünstigen Suche nach seiner Traumreise. Plattformen sind auch im B2B-Geschäft immer wichtiger: Immer mehr Grossunternehmen, etwa im Bereich Automobilbau, Luft- und Raumfahrt oder Maschinenbau, gehen dazu über, ihre Zulieferer digital an sich zubinden, indem sie Lieferantenportale eröffnen. Die Supply On AG, eine gemeinsame Gründung von Bosch, Continental, Schaeffler und ZF Friedrichshafen, vernetzt die Geschäftsprozesse von mehr als 12000 Zulieferern weltweit.

Schon heute liegen viele Dienstleistungen und andere immaterielle Güter digital vor wie zum Beispiel die Reisebuchung und die Bestellung eines Taxis. Diese Leistungen sind an jedem Ort und jederzeit abrufbar. Bei Autoversicherungen lassen sich Daten digitalisieren und auswerten: Sie geben dann Auskunft über das Fahrverhalten des Kunden, an dem sich die Versicherungsprämie ausrichtet. Krankenkassen überlegen derzeit, ob sie die Beiträge für Versicherte senken, die ihre durch mobile Endgeräte (Smartwatches, Wearables, siehe unten) gewonnenen Fitnessdaten preisgeben.

Neue Produkte und Leistungen

Beispiel digitaler Kundenservice: Wichtig für den Kunden sind digitale Services zur Beratung rund um den Produktkauf: Der Kunde möchte sich selbstständig informieren können; wenn er nicht weiter weiss, sollte jederzeit ein kompetenter Ansprechpartner verfügbar sein. Derzeit erfolgt dies über oft überforderte Call-Center mit langen Warteschleifen und den Social-Media-Angeboten, auf die Konsumenten dann ausweichen. Für die Beratung werden künftig Live Chat, mobile Apps und Self-Service-Kundenportale wichtiger.

Beispiel Self-Service-Portal: Ein Kunde möchte seine Arztrechnung bei seiner Krankenkasse einreichen. Er öffnet nun die App und startet den Chat. Daraufhin empfiehlt ihm der Agent, die Rechnung zu fotografieren und direkt über die App an ihn zu schicken. Ein anderes Beispiel: Für den Abschluss einer Auslands-Krankenversicherung hat sich der Konsument per Live Chat über die Konditionen informiert und Angebote eingeholt. Er öffnet den Vertrag, unterschreibt ihn auf seinem Smartphone mit digitaler Unterschrift und schickt ihn über den Chat an den Berater zurück. Ergebnis: Der Kunde hat in kürzester Zeit sein Anliegen erledigt und Geld für Porto, Druck und Papier gespart.

Bots (Chatbots) sind textbasierte Dia­logsysteme, die Apps künftig überflüssig machen. Chatbots sind eine Technologie, die den Kunden in allen Servicefragen schneller und effizienter unterstützen kann, zum Beispiel bei Flug- oder Hotelbuchungen und Einkäufen. Statt zum Telefonhörer zu greifen oder die Nummer eines Call-Centers zu wählen, wenden sich immer mehr Hilfe suchende Kunden einfach per Chat auf der Unternehmenswebsite oder per Messenger an Unternehmen. Um etwa eine Theaterkarte zu kaufen, können Facebook-User direkt die Anbieter anschreiben, Tickets kaufen, zahlen und das elektronische Ticket mit QR-Code in ihrem Chatfenster aufrufen. Alle erforderlichen Daten sind bei Facebook hinterlegt. Mögliche Einsatzgebiete von Chatbots sind beispielsweise:

  • Einkaufshilfen für Lebensmittel: Ich möchte Gericht A kochen, welche Zutaten brauche ich? Natürlich mit Bestellmöglichkeit.
  • Kundenservice: Ich möchte die Bankverbindung ändern. Ich will einen Tarifwechsel bei meinem Provider durchführen. Mein Gerät XY zeigt gerade den Hinweis ABC.
  • Nachrichten-Bots: Was hat sich heute in den USA ereignet? Welche News in der Wirtschaft gibt es?
  • Zeitplanung: Ich möchte ein Meeting mit X,Y und Z und habe dann Zeit. Der Bot kümmert sich dann um die Einladungen und die Koordination.

Das alles ist keine Zukunftsmusik mehr. Die Technik ist bereits vorhanden.

Neue Kundenbeziehungen

Für KMU waren schon immer die Kundenbeziehungen entscheidend für den Geschäftserfolg. Diese Beziehungen haben sich in Zeiten digitaler Medien wie Vergleichsportale, Suchmaschinen und Social Media gewandelt: Kunden erwarten heute das schnelle und individuelle Eingehen auf Wünsche und Fragen, Transparenz über Produkte und Preise und die Beteiligung an neuen Produkten und der Kommunikation. Das Internet dient schon längst nicht mehr nur der Information, sondern auch der Kommunikation mit anderen Kunden und auch dem Unternehmen. Dies hat zur Folge, dass Austausch anstelle der einseitigen Information des Unternehmens tritt. Selbst die 1:1-Kommuni­kation ist möglich – die schneller, flexibler und persönlicher agierenden KMU sind hier gegenüber den Grosskonzernen im Vorteil. Digitalisierung ermöglicht also KMU, Kontakt zu Kunden aufzunehmen und mit ihnen zu sprechen. Dieses persönliche Gespräch ist für das Entstehen von Vertrauen essenziell und lädt das Unternehmen emotional auf.

Beispiel Beratung: Zufriedene Kunden sind eine Voraussetzung für langfristige Kundenbeziehungen. Probleme, die ein Kunde hat, müssen aktiv gesucht, gelöst und Hindernisse beseitigt werden. Ein eindeutiger Mehrwert digitaler Services kann die Beratung vor, während und nach dem Kauf sein. Das unterstreicht das hohe Preisniveau der Marke. Social Media spielen hierbei eine Rolle: Durch die ständige Verfügbarkeit nutzen Kunden diese häufiger als das Call-Center mit stark eingeschränkter Verfügbarkeit. Beratung gehört zu den häufigsten Wünschen und Erwartungen von Online-Shoppern, besonders in Branchen wie Tourismus, Finanzdienstleistungen und Versicherungen, Computern, Autos und Wellness.

Neue Kundenerlebnisse

Der Kern der Digitalisierungsstrategie im KMU ist das Schaffen völlig neuartiger Kundenerlebnisse, für die dieser bereit ist, Geld zu zahlen und damit die Unternehmensziele des KMU zu unterstützen. Dieser Kern gerät persönlichen Erfahrungen in zahlreichen Unternehmen zufolge oft aus dem Blickfeld. Die rasant fortschreitende Digitalisierung ermöglicht den kleinen und mittelgrossen Unternehmen, neue Kundenerlebnisse durch digitale Produkte sowie Leistungen zu erschaffen und anzubieten: schöner, leichter, sicherer, anregender, stärker – solche Erlebnisse sind es, die der Kunde will und für die er Geld ausgibt. Der Kunde will massgeschneiderte, individuelle Produkte und Services, die Zeit sparen, sinnvolle Zusatzfunktionen haben oder durch die er Komfort gewinnt. Doch damit nicht genug: Um die Digitalisierungsstrategie erfolgreich umsetzen zu können, müssen sich die KMU intern wandeln.

Die Digitalisierungsstrategie kann von kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht ohne Veränderungen innerhalb des Unternehmens gelebt werden. Dies kann als interne Transformation, Wandel oder Change bezeichnet werden. Es fehlt zumeist die Bereitschaft für Veränderungen und die Fähigkeit. Aus diesem Grund wird die Entwicklung der Digitalisierung von KMU begleitet vom internen Wandel, der das Ziel hat, die Wandelbereitschaft und Wandlungsfähigkeit herzustellen.

Wandelbedarf ermitteln

Die zentrale Frage lautet hier, wie Führungskräfte und die Belegschaft motiviert werden können, die Digitalisierungsstrategie umzusetzen und dauerhaft zu leben. Dies ist eine der grossen Herausforderungen der digitalen Transformation. Zu den Kernfragen gehören:

  • Übergreifende Bereitschaften: Welche Bereitschaft soll im gesamten Unternehmen geschaffen werden?
  • Spezielle Bereitschaften: Welche speziellen Bereitschaften sollen in Abteilungen des Unternehmens geschaffen werden: Fehlertoleranz ist sicher für Forschung und Entwicklung wichtiger, aber zunächst nicht für die IT und die Produktion.

Bereitschaften können sich auch auf Mitarbeitergruppen beziehen:

  • Führungskräfte: In vielen aktuellen Beiträgen zum Digital Leadership wird von Führungskräften die Bereitschaft erwartet, Kontrolle über die Mitarbeitenden zumindest teilweise abzugeben. Eine andere Anforderung ist das Steuern interdisziplinärer Teams ohne Führungsverantwortung.
  • Mitarbeitende: Welche Bereitschaften sollen bei den Mitarbeitenden erzeugt werden, welche die Führungskräfte unterstützen?

In allen Unternehmen ergibt sich als Ergebnis ein sehr differenzierter Bedarf.

Wandelbereitschaft erzeugen

Wie lässt sich der Bedarf an Wandel­bereitschaft in einem Programm- und Projektmanagement abbilden und ziel­orientiert, systematisch und langfristig erzeugen?

Wandlungsfähigkeit herstellen

Die Wandlungsfähigkeit schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Mitarbeitenden die Anforderungen aus der Digitalisierungsstrategie umsetzen können. Die Wandlungsfähigkeit besteht aus den drei Komponenten:

  1. Organisation: Welche neuen oder veränderte Rollen und Verantwortlichkeiten sind für die Digitalisierung erforderlich, welche Prozesse, Strukturen, Kultur, Informationstechnologie und welche Weiterbildung?
  2. Kommunikation: Wie kommunizieren Führungskräfte und Mitarbeitende, um den Wandel umzusetzen?
  3. Controlling: Wann und wie lässt sich  der Wandel steuern und kontrollieren, damit wichtige Meilensteine erreicht und die Ziele umgesetzt werden?

Fazit

Wichtig ist, dass zuerst die Wandlungsbereitschaft aufgebaut oder zumindest angestossen sein muss, denn sonst sitzen viele Mitarbeitende in Weiterbildungsveranstaltungen, obwohl sie dies nicht wollen; neue Prozesse sind zwar geschaffen, aber sie werden nicht gelebt, weil dies die Mitarbeitenden boykottieren. Das Programm zur internen Transfor­mation begleitet die Digitalisierungs­strategie, indem es die für die dauerhafte Umsetzung erforderlichen Voraussetzungen schafft:

  • Müssen: Der Wandelbedarf ermittelt das «Müssen».
  • Wollen: Die Wandelbereitschaft erzeugt das «Wollen».
  • Können: Die Wandelfähigkeit stellt das «Können» her.

Ausblick

Die in diesem Beitrag vorgestellten Bausteine bilden ein Strukturmodell für die digitale Transformation in KMU. Was fehlt, ist die Weiterführung in das Prozessmodell, das die einzelnen Schritte beim Vorgehen aufzeigt. Dieses Prozessmodell stellen wir Ihnen im zweiten Teil dieser siebenteiligen Serie vor.

Der zweite Teil erscheint am 21. September in Ausgabe 9/2017 des «KMU-Magazin».

Porträt