Digitalisierung & Transformation

Datenbasierte Dienstleistungen (Teil 2 von 3)

Der Kunde im Mittelpunkt bei der Dienstleistungsentwicklung

Kundenzentrierung, Co-Kreation und Kundenerlebnisse schaffen sind die Schlagworte, die im Zusammenhang mit der Entwicklung und Erbringung von Dienstleistungen häufig genannt werden. Mit welchen Methoden Kundenbedürfnisse bei der Entwicklung einer datenbasierten Dienstleistung idealerweise erhoben werden, zeigt dieser Beitrag.
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Wie bereits im ersten Artikel dieser Artikelreihe erwähnt («KMU-Magazin», Ausgabe 3/2021), hadern viele Unternehmen mit der Umsetzung von datenbasierten Dienstleistungen wie der vorausschauenden Wartung. Bei der vorausschauenden Wartung wird die Wartung nicht präventiv zu einem vorgegebenen Termin oder nach Auftreten des Vorfalls durchgeführt, sondern datenbasiert zum für den Anlagebetreiber idealen Zeitpunkt. 

Kundennutzen schärfen

Die datenbasierten Dienstleistungen werden häufig ohne umfassendes Verständnis der Herausforderungen und Bedürfnisse des Kunden umgesetzt. Das heisst, es wird eine Dienstleistung ent­wickelt, welche das eigentliche Problem des Kunden nur teilweise oder allenfalls gar nicht löst. Damit dies nicht geschieht, ist es wichtig, den Endnutzer (Kunde) mit seinen Problemen und Wünschen zu kennen und zu verstehen. 

Der vorliegende Artikel beschreibt, wie solche Herausforderungen und Bedürfnisse der Kunden, der Anlagebetreiber im Fall der vorausschauenden War­tung, durch unterschiedliche Methoden er­hoben werden können. Zudem werden einige Vor- und Nachteile der angewendeten Methoden besprochen und wie dadurch der Kundennutzen geschärft wird. 

Diese mehrheitlich aus dem De­sign Thinking stammenden Methoden wurden innerhalb eines «Innosuisse»-Projekts mit dem Titel «Datenbasierte Dienstleistung nachhaltig umsetzen» eingesetzt. 

Methoden aus Design Thinking

Der Problemraum ist die erste der beiden Design-Thinking-Rauten (siehe Abbildung 1). Im Problemraum wird der Fokus darauf gelegt, den Endnutzer besser zu verstehen. Dieser Raum umfasst die Phasen Verstehen, Beobachten und Synthese. Hier werden die eigentlichen Herausforderungen sowie die Zielgruppe beschrieben, analysiert und definiert. 

In der zweiten Raute – dem Lösungs-raum – werden die Ideen gesammelt sowie mögliche Prototypen erstellt und mit dem Kunden getestet. Hier werden auf der Basis der Informationen und Daten, die im Problemraum erhoben wurden, Lösungsideen entwickelt. Diese werden wiederum durch das Prototyping sicht- und fassbar gemacht und in der Phase Testen konkretisiert.

Methoden: Den Kunden verstehen und Ideen mit den Kunden testen

Beim Problemraum des Design-Thinking-Prozesses geht es darum, den Kunden besser zu verstehen. Im Rahmen des Projekts wurden für diese Phase qualitative und quantitative Methoden angewendet: Shadowing, Kundeninterviews, Umfragen. Hiernach werden die unterschied­lichen Methoden beschrieben, die Vor- und Nachteile erläutert sowie die Erkenntnisse zur Anwendung dieser Methode dargelegt. 

Shadowing: Den Kunden hautnah miterleben

Eine Methode, die im Problemraum angewendet wird, ist das Shadowing. Bei dieser Methode folgt der Beobachter dem Kunden wie ein «Schatten», während dieser wie gewohnt seine Arbeit verrichtet. 

Die Vorteile des Shadowing sind: 

  • Der Beobachter kann den Endnutzer ­in seiner natürlichen Umgebung und bei der Verrichtung seiner Arbeit be­obachten. (Datenerfassung in realen Gegebenheiten)
  • Der Beobachter erhält Einblicke in Arbeitsprozesse des Endnutzers und dessen Umfeld.
  • Sogenannte blinde Flecken, welche der Anbieter bisher übersehen hat, können von einer Aussenperspektive aufgedeckt werden. 

Die Nachteile des Shadowing:

  • Die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung ist für den Beobachter relativ zeitaufwendig, da jeder einzelne Schritt innerhalb eines Prozesses be­obachtet wird. 
  • Die Rekrutierung von freiwilligen zu beobachtenden Personen ist schwierig, da ein Shadowing für den Endnutzer eine transparente Offenlegung seiner Aktivitäten bedeutet. 
  • Der «Schatten» folgt dem zu Beobachtenden und kann durch seine Gegenwart die beobachtende Person trotz aller Vorsichtsmassnahmen bei der Verrichtung ihrer Arbeit stören. (Stör­faktor)

Methodische Erkenntnisse: Die Shadowing-Methode eignet sich gut, um sich in den Endnutzer hineinzuversetzen und so Erkenntnisse zu aktuellen Herausforderungen und Problemen in seinem Aufgabenbereich aus einer «unbeteiligten Perspektive» zu gewinnen. So kann neues Wissen erhoben werden und es wird Klarheit zu Arbeitsabläufen und Vorgehen beim Endnutzer geschaffen. Durch die frühe Berücksichtigung der Kundenperspektive im Dienstleistungserstellungsprozess wird somit einer einseitigen Betrachtungsweise entgegen­gewirkt. 

Kundeninterviews: Persönliche, individuelle und flexible Gesprächsführung

Eine weitere, häufig angewendete Methode, um den Endnutzer besser zu verstehen (Problemraum) oder um den Prototyp zu testen (Lösungsraum), ist das Kundeninterview. Das Interview kann entweder persönlich oder am Telefon erfolgen. 

Die Vorteile eines Kundeninterviews sind: 

  • Durch komplexere Fragestellung kann beispielsweise das Verhalten aus der Sicht des Endnutzers erfragt werden. Dies eignet sich für Anwendungsbe­reiche, in welchen mögliches Wissen fehlt. Fragen sind aus unterschiedlichen Sichtweisen möglich und sind mit Sprints kombinierbar. 
  • Rückfragen durch Interviewer und zu Interviewenden sind jederzeit möglich.
  • Der Interviewer kann flexibler, indi­vidueller und vertiefter auf Antworten des zu Interviewenden eingehen und die vorherrschenden Herausforde­rungen im Arbeitsalltag des Endnutzers im Themenbereich detailliert erfragen. 

Die Nachteile eines Kundeninterviews sind:

  • Der Interviewer kann den zu Interviewenden durch seine Anwesenheit und durch die Art der Fragestellung die Antworten beeinflussen. (Beeinflussbarkeit, soziale Erwünschtheit)
  • Ein Kundeninterview ist für den Interviewer zeitaufwendig in der Akquise, Vorbereitung, Durchführung und in der Auswertung. 

Methodische Erkenntnisse: Kundeninterviews eignen sich in unterschiedlichen Phasen des Design-Thinking-Prozesses beziehungsweise im Dienstleistungs­erstellungsprozess. Einerseits um Erkenntnisse aus Beobachtungen zu vertiefen, andererseits um Wissen aufzubauen und um eine Konkretisierung vorzunehmen, wenn ein erster Prototyp für eine mögliche Dienstleistung vorliegt. 

Umfrage: Verifizierung der Erkenntnisse

Sobald die Probleme und Wünsche der Endnutzenden durch Interviews und Shadowing erhoben wurden, sind diese Erkenntnisse zu verifizieren und zu quantifizieren, damit die Ausgestaltung der Dienstleistung nicht nur auf einigen wenigen Aussagen beruht. Hierfür eignet sich eine Online-Befragung mittels Umfrage-Tools. 

Die Vorteile einer Umfrage sind: 

  • Erhobene qualitative Erkenntnisse werden messbar gemacht und können bestätigt oder verworfen werden. (Quantifizierung, Verifizierung, Fokussierung)
  • Durch Online-Umfragen sind die Endnutzenden bei der Teilnahme an keine fixen Zeiten gebunden. 
  • Die Auswertungen der Umfragedaten sind einfacher und schneller, da die Antwortoptionen meist vorgegeben sind. (Automatisierte Auswertung)

Die Nachteile einer Umfrage sind:

  • Nur standardisierte Antwortoptionen sind möglich. Dadurch wird der Befragte gezwungen, seine Antwort an den vorgegebenen Rahmen anzupassen. 
  • Bei Umfragen kann der Teilnehmer keine Rückfragen stellen, was allenfalls dazu führt, dass die Fragen falsch beantwortet werden. (Keine Rückfragen möglich, falsche Beantwortung)
  • Bei einer Umfrage ist es zudem (fast) nicht möglich, auf persönliche Befindlichkeiten einzugehen, individuelle Hintergründe zu erfassen oder Verhaltensweisen zu erleben. (Nicht individualisierbar)

Methodische Erkenntnisse: Mittels der quantitativen Online-Umfragen werden qualitative Erkenntnisse gestützt und quantifiziert. Dies ermöglicht es, die Dienstleistung auf die Hauptprobleme und Bedürfnisse der Endnutzenden auszurichten. So kann ein klarer Fokus bei der Ausgestaltung der Dienstleistung gesetzt werden. 

Service Theater: Testen von Prototypen und Aufdecken von Argumentationslücken

Sobald die Informationen und Daten im Problemraum erhoben sind, geht es in die nächste Phase des Design-Thinking-Prozesses: in den Lösungsraum. In dieser Phase werden die ausgearbeiteten Ideen weiter konkretisiert. Hierbei geht es darum, mittels der erfassten Daten Ideen auszuarbeiten und diese mit Prototypen zu veranschaulichen und zu testen. Eine Methode, welche sich zum Testen von Prototypen eignet, ist das Service Theater.Beim Service Theater wird innerhalb eines Rollenspiels beispielsweise ein Kundengespräch imitiert. Dabei nimmt mindestens eine Person die Rolle des Kunden und die andere Person die des Verkäufers (Serviceanbieter) der neu entwickelten, datenbasierten Dienstleistung ein. Beide Rollen können durch den Serviceanbieter gespielt werden. Es empfiehlt sich jedoch, den wirklichen Kunden zu integrieren. Im Kundengespräch getestet werden die Verkaufs­argumentation mit dem Wertangebot, den Verkaufsunterlagen sowie der Prototyp (zum Beispiel ein «Clickable Dummy»).

Die Vorteile eines Service Theater sind: 

  • Argumentationslücken werden beim Verkaufsgespräch rasch aufgedeckt. 
  • Der «Kunde» kann jederzeit Rück­fragen stellen. 
  • Die Ideen, die sich meist in einem Rohzustand befinden, werden unmittelbar mit dem Kunden getestet. (Prototypen testen mit dem Kunden, Feedback des Kunden)
  • Der Kunde wird frühzeitig in den Entwicklungsprozess der neuen Dienstleistung involviert und kann die Aus­gestaltung beeinflussen. (Frühzeitige Kundenintegration)

Die Nachteile eines Service Theater sind:

  • Ein Service Theater durchzuführen, braucht seine Zeit, auch für den Kunden. (Kundenakquise, Vorbereitung, Durchführung)
  • Wenn die Rolle des Kunden imitiert wird, fehlt die reale Kundensicht. Es ist schwierig, sich als Anbieter in den Kunden hineinzuversetzen. 

Methodische Erkenntnisse: Mittels der erhobenen Daten aus dem Problemraum durch Shadowings, Kundeninterviews und Umfragen kann die Idee konkretisiert und mit einem Prototyp verständlich gemacht werden. Dieser Prototyp wird im Rahmen eines Service Theater geprüft, um zu beurteilen, ob die Dienstleistung den gewünschten Kundennutzen erzielt oder ob bei den Verkaufsargumenten noch Unklarheiten bestehen. 

Häufige Unklarheiten, die hier in dieser Phase auftauchen, sind ein unklares Kosten-Nutzen-Verhältnis, die Preisgestaltung mit inkludierten Leistungen, die Datenhoheit oder die Akzeptanz der Mitarbeitenden. 

Fazit

Die genannten Methoden (Shadowing, Umfrage, Kundeninterviews, Service Theater) verhindern eine Ideenspezifizierung mit zu schwachen Erkenntnisgrundlagen. Sie helfen, den Kunden sowie seine Herausforderungen im Alltag – hier im Bereich der Wartung – zu erfassen und zu verstehen. Die vorgestellten Methoden lassen sich sehr gut kombinieren und resultieren in einer umfassenden Kundenzentrierung. Ist aufgrund limitierter Ressourcen eine Wahl zu treffen, unterstützen die Vor- und Nachteile den Entscheid. Unabhängig davon ermöglicht die frühzeitige Kundenintegration, die neue Dienstleistung in einer frühen Entwicklungsphase zu testen und zu verbessern, damit eine neue Dienstleistung mit erheblichem Mehrwert für den Kunden entsteht.

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