Digitalisierung & Transformation

Changemanagement

Der Abschied von einfachen Lösungen

Die digitale Transformation und das Changemanagement gehören zusammen. Wie gelingt es Führungskräften in unsicheren Zeiten, die notwendigen Veränderungsprozesse zu gestalten und die Mitarbeiter dabei mitzunehmen? Eines ist sicher: Die allein selig machende Lösung gibt es nicht.
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So gut wie in jedem Unternehmen brainstormen die Verantwortlichen, was die digitale Transformation für ihren Markt, ihr Business und ihr Geschäftsmodell bedeutet – und kommen zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die permanente Anpassung an sich ständig wechselnde Rahmenbedingungen notwendig ist. Ohne Veränderungsprozesse, die zu mehr Agilität und Flexibilität führen, geht es nicht. Die digitale Transformation erfordert flexible Arbeitsformen, agile Organisationsmodelle und neue Führungsmodelle. Und so hagelt es Konzepte und Strategien, mit denen es gelingen soll, die Mitarbeiter dazu zu bewegen, die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von Veränderungsprozessen nachzuvollziehen und den Change aktiv mitzugestalten.

Das Problem: Die Unternehmen sind auf der Suche nach einem neuen Führungsparadigma, einem Führungsmodell für die digitale Welt. Doch die Zeiten des allein selig machenden Führungsparadigmas sind vorbei. Die Autoren sind der Meinung, dass es nicht möglich ist, für die komplexe und mehrdeutige Vuca-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) ein allgemein verbindliches Führungsmodell und überdies Führungstools zu entwickeln, mit denen Mitarbeiter zur Veränderung motiviert werden können. Denn das würde bedeuten, einem dynamischen, komplexen und vernetzten System, bei dem jeder Systemfaktor alle anderen beeinflusst, eine lineare und starre Lösung überzustülpen.

Schnellere Anpassung nötig

Die Suche nach einem allgemeingültigen Führungsmodell hat mit der Hoffnung zu tun, in einer instabilen, unsicheren, komplexen, mehrdeutigen und damit unberechenbaren Welt eine verbindliche Lösung für die Frage zu finden, wie sich die Mitarbeiter zu Change Agents entwickeln lassen. Der Hintergrund: Die Digitalisierung verändert Geschäftsmodelle, vermutlich auch oft disruptiv. Die Organisationsmodelle und die Art, wie die Führungskräfte ihre Teams und Mitarbeiter führen, passen sich aber nicht automatisch der Realität an. So kommt es, dass trotz veränderter Rahmenbedingungen die veralteten Organisations- und Führungsstrukturen gelten. Sie werden quasi mitgeschleppt, statt sie den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Konkretes Beispiel: Heutzutage müssen die Unternehmen oft rasch, flexibel und agil reagieren. Die Zielvereinbarungsgespräche und Feedbackrunden mit den Teams und Mitarbeitern finden jedoch nach wie vor in einem viel zu weit getakteten Rhythmus statt. Während Daily Meetings notwendig wären, rufen Führungskräfte ihre Mitarbeiter oft nur alle zwei Wochen zusammen. Das rasche Reagieren auf neue Entwicklungen ist so schwierig. Zumindest in den Teilen der Organisation, in denen rasch reagiert werden muss, ist eine flexiblere Meetingkultur notwendig.

Simultane Prozesse

Wer Veränderungsprozesse im Rahmen der digitalen Transformation managen will, sollte den Mut haben, bei der Führungsarbeit etablierte Wahrheiten zu hinterfragen. Dazu zählt die Überzeugung, dass es genüge, einen klugen Plan zu entwickeln, der «nur» Schritt für Schritt umgesetzt werden müsse. In Vuca-Zeiten jedoch sind die Pläne von heute oft schon morgen Makulatur und spätestens übermorgen von der Realität überholt. Darum gilt für kluge Führung: Es ist zielführender, keine mittel- oder langfristigen linearen Pläne zu fassen, sondern sich in einem simultanen Prozess, der auf die Vernetztheit der Umsetzungsschritte Rücksicht nimmt, fortzubewegen (siehe Abbildung).

Es ist mithin kontraproduktiv, mit Planungen nach dem Schema «Erst erledigen wir A, dann B und schliesslich C» zu ar-
beiten. Lineare Zusammenhänge sind in komplexen Systemen die Ausnahme. Es sollte eher die Frage gestellt werden, welche Auswirkungen A auf B und C hat und welche Folgen B und C für die jeweils anderen Faktoren nach sich ziehen. Voraussetzung dafür ist: Führungskräfte müssen nah dran sein an ihren Mitarbeitern, tagtäglich mit ihnen kommunizieren und ihnen kontinuierlich Feedback geben und zudem ständig prüfen und analysieren, «was Sache ist».

Das Entweder-oder-Denken

Ein weiterer Zopf, der abgeschnitten gehört, ist das beliebte Entweder-oder-Denken. Dieses Schwarz-Weiss-Denken sollte der Vergangenheit angehören. Denn ein Entweder-oder impliziert einen Absolutheitsanspruch, der im unsicheren und unberechenbaren Zeitalter der digitalen Transformation nichts mehr zu suchen hat. Gefragt ist aufseiten der Führungskräfte vielmehr ein Sowohl-als-auch-Denken, bei dem der Perspektivenwechsel notwendig ist. Es müssen mehrere Optionen ins Auge gefasst, geprüft und akzeptiert werden, so dass es nicht die eine Wahrheit gibt, sondern mehrere Wahrheiten nebeneinander koexistieren können.

Die meisten wünschen sich einfache und eindeutige Antworten auf komplexe Fragen. Die Führungskräfte müssen sich jedoch mit dem Gedanken anfreunden, dass es einfache Antworten in einer komplexen Vuca-Welt nicht mehr gibt. Darum brauchen sie ein kluges und reflektiertes Verständnis ihrer Organisation, der Ziele, Prozesse und Strukturen, der formellen und informellen Spielregeln, des Business und des Marktes, in dem das Unternehmen agiert. Die Führungskräfte stehen dabei vor der Herausforderung, eine Balance herzustellen zwischen den Faktoren, die zu Stabilität und Sicherheit führen, und den Faktoren, die helfen, die möglichen disruptiven Entwicklungen im Gefolge von Digitalisierung und Automatisierung zu bewältigen. Das Sowohl-als-auch-Denken bedeutet in diesem Kontext: Ein Unternehmen, das nur auf den bewährten und etablierten Hauptpfaden verbleibt, wird sein Ziel verfehlen und scheitern, wie das Unternehmen, das sich ausschliesslich auf den unsicheren Seitenwegen bewegt. Während hier das unstrukturierte Chaos herrscht, drohen dort Stillstand oder gar Rückschritt.

Widerstände produktiv nutzen

In den meisten Unternehmen wird in Management- und Führungsriegen davon ausgegangen, die Mitarbeiter wollten aktiv und begeistert an der Veränderung mitarbeiten. Zumindest wird unterstellt, die Leitenden könnten sie mithilfe geeigneter Motivationsmethoden dazu bewegen. Doch der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Georg Schreyögg macht in seinem Buch «Organisation» darauf aufmerksam, dass es natürlich auch Mitarbeiter gibt, die die Veränderung nicht nur scheuen, sondern Widerstand leisten. Sie lehnen es ab, in hierarchiefreien Räumen zu arbeiten, sie wünschen die konkrete Ansage und Vorgabe, «wo es langgeht». Manchmal haben diese Mitarbeiter gute Gründe für ihre ablehnende Haltung, denn die Digitalisierung schafft nicht nur, sondern vernichtet und gefährdet auch Arbeitsplätze. Die Menschen, die es treffen könnte, haben Angst und bekämpfen die Veränderung. Auf der anderen Seite fällt es so mancher Führungskraft schwer, Organisationsstrukturen, in denen Hie­rarchien keine oder eine untergeordnete Rolle spielen, zu akzeptieren. Denn dies setzt voraus, Macht abzugeben. Georg Schreyögg wirft den Verantwortlichen in den Unternehmen vor, in ihrer Begeisterung für mehr Flexibilität und Digitalisierung vor solchen Fragen allzu häufig die Augen zu verschliessen.

Was ist zu tun? Aus Sicht der Autoren ist es zum einen unerlässlich, sich von der Illusion zu verabschieden, die Digitalisierung werde von allen Führungskräften und Mitarbeitern als Glücksfall empfunden. Diese Erkenntnis öffnet den Raum für Überlegungen, wie mit diesen Menschen umgegangen werden sollte, um sie doch noch zum Mitmachen zu animieren. Andererseits sollte der Widerstand der Führungskräfte und Mitarbeiter als Chance begriffen werden. Es ist zu prüfen, inwiefern die Bedenken der Menschen gerechtfertigt sind. Geschäftsleitung und Management sollten genau hinschauen, ob vielleicht in der Kritik der Bedenkenträger Verbesserungs- und Optimierungspotenziale stecken, und dies zum Anlass nehmen, den Veränderungsprozess zu überarbeiten. Der grosse Vorteil: Die Führungskräfte und Mitarbeiter fühlen sich in ihren Bedenken ernst genommen und auch ihre Interessen berücksichtigt.

Führungsgrundsätze

Der Abschied von etablierten Lösungen fällt den Unternehmen meist nicht leicht. Darum ist es hilfreich, sich bei der Umsetzung der notwendigen Veränderungsprozesse neutrale Unterstützung ins Unternehmen zu holen. So ist es möglich, auch die berühmt-berüchtigten «blinden Flecken» auszuleuchten und alle Prozesse und Strukturen konstruktiv und kritisch zu hinterfragen und neue Denk- sowie Handlungsoptionen einzuführen. Die Überlegungen führen zu Führungsgrundsätzen, die der Komplexität von Veränderungsprozessen angemessen sind und dabei helfen, Mitarbeiter durch den Change und unsichere Zeiten zu führen:

  • Prinzip 1: Klammere dich nicht immer nur an Regeln, sei stets flexibel und beweglich.
  • Prinzip 2: Plane nicht, zumindest nicht exzessiv, taste dich Schritt für Schritt voran.
  • Prinzip 3: Bleibe nah dran an deinen Mitarbeitern, kommuniziere tagtäglich mit ihnen.
  • Prinzip 4: Verabschiede dich davon, dass es eine allein selig machende Lösung gibt.
  • Prinzip 5: Vermeide das Entweder-oder-Denken, denke und handle in Sowohl-als-auch-Kategorien.
  • Prinzip 6: Bedenke, dass es in der komplexen Vuca-Welt keine einfachen Lösungen gibt.
  • Prinzip 7: Akzeptiere, dass bei Veränderungsprozessen nicht alle Mitarbeiter begeistert mitziehen.
  • Prinzip 8: Sorge für Reserven und schaffe Raum für den kommunikativen Austausch.
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