Branchen & Märkte

Internationalisierung I

Zwischen Wachstum und Gegenwind

Nach einer Schwächephase konnte China sein Wachstum wieder auf mehr als acht Prozent steigern. Und trotz der Pandemie erreichten die ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2021 ein Allzeithoch. Welche geschäftlichen Perspektiven das chinesische Jahr des Tigers liefert, zeigt dieser Beitrag.
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China wuchs 2021 um 8,1 Prozent nach einem Wachstum von 2,2 Prozent im Jahr 2020. Gleichzeitig schrumpfte der Rest der Weltwirtschaft in diesem ersten Pandemiejahr um etwa 4,1 Prozent. Chinas Entwicklung während der Pandemie hat ein anhaltend hohes Geschäftsinteresse geweckt, sodass die ausländischen Direkt­investitionen im Jahr 2021 trotz ausser­ordentlicher Beschränkungen für inter­nationale Reisen nach China ein Allzeithoch von 179 Milliarden US-Dollar erreichten. Chinas Wachstum betrug im ­vierten Qu­artal 2021 dennoch ungewöhnliche 4 ­Prozent. Mit Blick auf 2022 haben in­terna­tionale Wirtschaftsinstitutionen Chinas Wachstumsaussichten auf rund 5 Prozent herabgestuft, während die US-Wirtschaft voraussichtlich um 4,1 Prozent wachsen wird. In einem herausfordernderen wirtschaftlichen Umfeld wird es für den Geschäftserfolg immer wichtiger, die Hintergründe der kommenden Entwicklung Chinas zu verstehen. 

China bleibt wettbewerbsfähig

In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Löhne der Fertigungsarbeiter in China verdreifacht. Angesichts der Konkurrenz mit anderen Niedriglohnländern wie Indien, Vietnam, Thailand und dem grössten Teil Südostasiens würde man meinen, dass eine solche Kostensteigerung die Exportfähigkeit Chinas verringert hätte.

Erstaunlicherweise wuchsen Chinas Exporte im Jahr 2021 um aussergewöhnliche 29,9 Prozent, nach einem Wachstum von 3,6 Prozent im Jahr 2020. Im Durchschnitt der beiden Pandemiejahre erzielte China eine Exportsteigerung von mehr als 16 Prozent pro Jahr. Und das, während die von der Trump-Regierung im Jahr 2018 verhängten US-Importzölle noch in Kraft sind. 

Tatsächlich hat China seit dem Jahr 2000 weltweit Exportmarktanteile hinzugewonnen. 

Die Pandemie hat Chinas Exporten sicherlich geholfen: Verbraucher auf der ganzen Welt gaben mehr ihres Einkommens für Computer und die Renovierung ihrer Häuser aus, anstatt zu reisen und in Restaurants zu gehen. Dazu kommt, dass sich Chinas Fabriken als immer ef­fizienter erweisen.

Es steht fest, dass ein solches Exportwachstum, das 2021 etwa 20 Prozent des chinesischen BIP-Wachstums ausmachte, langfristig nicht aufrechterhalten werden kann, insbesondere wenn die Pandemie unter Kontrolle gebracht wird.

Spitzenbeschäftigung in Sicht

Chinas Premierminister gab im Mai 2020 bekannt, dass 600 Millionen Chinesen immer noch von 1000 Yuan pro Monat (etwa 140 USD) leben. Die meisten dieser Chinesen leben auf dem Land und werden daher nicht zu den städtischen Haushalten gezählt. Die Migration dieser ländlichen Chinesen, die in den Städten arbeiten, zusätzliches Einkommen verdienen und entsprechend konsumieren, treibt Chinas Wachstum und seine schnell wachsende Mittelschicht an.

In zehn Jahren (von 2016 bis 2025) wird die Zahl der städtischen Haushalte voraussichtlich um 75 Millionen (25 Prozent) zunehmen, während vermögende Menschen im Jahr 2025 um die 75 Prozent der Mittelschicht ausmachen werden. Das sind 150 Millionen neue Haushalte der Mittel- und Oberschicht über zehn Jahre, oder 15 Millionen neue Haushalte mit Kaufkraft jedes Jahr.

Grösster Luxusmarkt

Kein Wunder also, dass Chinas Luxuskonsum im Jahr 2020 um 49 Prozent und im vergangenen Jahr um weitere 36 Prozent gestiegen ist. Damit ist China auf dem besten Weg, im Jahr 2025 zum grössten Luxusmarkt der Welt zu werden, auf den etwa 40 Prozent des weltweiten Luxusumsatzes entfallen (laut McKinsey und Bain). Doch auch dieser Trend geht nicht ewig weiter, da China seinen Bevölkerungs- und Beschäftigungshöhepunkt ­erreicht.

2021 war das Jahr, in dem die Geburtenzahlen in China den niedrigsten Stand in der modernen Geschichte erreichten, vergleichbar mit den grossen Hungers­nöten Anfang der 1960er-Jahre. Ein chinesischer Wissenschaftler warnte davor, dass Chinas Bevölkerung in den nächsten 45 Jahren halbiert werden wird, wenn die Geburtenraten nicht steigen.

Angesichts des negativen Bevölkerungswachstums und der rückläufigen Zuwanderung ländlicher Bürger kommt auch die Zeit, in der die städtische Beschäftigung ihren Höhepunkt erreicht. Daher muss das Wachstum in Zukunft im Wesentlichen aus Produktivitätssteigerungen resultieren: Die gleiche Anzahl erwerbstätiger Chinesen muss mehr Umsatz pro Person erwirtschaften.

Immobilienboom geht zu Ende

Ausserdem machen die Immobilienbranche und ihre verwandten Sektoren (wie Bauwesen, Innenausstattung, Haushaltsgeräte) 25 Prozent des chinesischen BIP aus. Verkäufe und Preise sind jedes Jahr gestiegen, aber der Sektor befand sich eindeutig in einer Blase: 91 Prozent der Chinesen besitzen ihr Eigenheim (doppelt so viele wie die Schweizer) und nur 12 Prozent der neuen Käufer von Eigenheimen sind Erstkäufer.

Verständlicherweise haben die Behörden Massnahmen gegen die Blase ergriffen – man beachte etwa den Slogan «Häuser sind zum Wohnen da, nicht zum Spekulieren». Die «Zeitlupenkrise» des Immobilienentwicklers Evergrande ist die direkte Folge dieser Situation. Und obwohl es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass die Liquiditätsprobleme der chinesischen Immobilienentwickler zu einer Finanzkrise in China werden, ist dennoch klar, dass der Immobiliensektor nicht mehr zum Wachstum beitragen kann.

Die «Doppelzirkulation»

Im Mai 2020 kündigte die chinesische ­Regierung ihre neue Strategie der «Doppelzirkulation» an. Einfach ausgedrückt, ­beabsichtigt China, Schlüsseltechnologien zu lokalisieren, um seine Abhängigkeit von Technologieimporten zu verringern und die lokale Produktion und den lokalen Verbrauch anzukurbeln.

Wenn Chinesen ein iPhone kaufen, das in China hergestellt, aber zuerst an Apple exportiert und dann nach China weiterverkauft wird, werden mehr als 50 Prozent des Mehrwerts im Ausland gesammelt. Wenn Chinesen ein Huawei-Telefon kaufen, tragen die in China generierten zusätzlichen Einnahmen stattdessen zum lokalen BIP bei.

Darüber hinaus importierte China im vergangenen Jahr Halbleiter im Wert von etwa 400 Milliarden USD, mehr als Ölimporte, was die Abhängigkeit Chinas von importierten Technologien unterstreicht.

Infolgedessen hat China ein riesiges Programm gestartet, um Innovationen und die Entwicklung lokaler Technologien zu fördern. Es wurden zwar kein konkreter Plan und keine Zahlen angekündigt, aber die betreffenden Beträge gehen sicherlich in die Billionen von USD.

Die zu unterstützenden Branchen und Technologien wurden spezifiziert; dies sind unter anderen 5-G-Netzwerkanwendungen, Entwicklung von Biotechnologie und Impfstoffen, Industrierobotik, neue Materialien für Grossflugzeuge und Chipherstellung, Technologie für neue Energien, smarte Fahrzeuge und digitale Geschäftsmodelle.

Chancen für lokale Geschäfte

Die Lokalisierung von Technologie klingt für Unternehmen, die Technologieprodukte exportieren, nicht positiv. Um jedoch qualitativ hochwertige Hightech-Produkte herzustellen, muss man zunächst die Produktionsausrüstung und die fähigkeiten aufrüsten. Daher wird es weiterhin eine sehr starke Nachfrage nach Produktionsanlagen geben, die in fortgeschritteneren Ländern hergestellt werden, insbesondere in Europa.

Und für Unternehmen, die technische Güter herstellen, wird es Druck geben, sie in China zu produzieren, anstatt sie nach China zu importieren. Dennoch ergeben sich für internationale Unternehmen, die in China produzieren, grosse Chancen für die lokale Geschäftsentwicklung. Tatsächlich hat die Erfahrung der Vergangenheit gezeigt, dass internationale Unternehmen, die ihre Produktion in China lokalisiert ­haben, ihren Marktanteil gehalten haben.

Die Autoindustrie, die seit 1985 gezwungen war, sich durch chinesisch-auslän­dische Joint Ventures zu lokalisieren, ist ein gutes Beispiel dafür: Trotz starker ­Lokalisierungsanforderungen waren ausländisches Know-how, neue Technologien und Management für den lokalen ­Erfolg notwendig.

Diesen Trend unterstreicht auch der Markt für die Elektromobilität: Tesla hält trotz der Tatsache, dass China der Entwicklung von Elektroautos seit 2009 ­Priorität eingeräumt hat, 25 Prozent des chinesischen Marktes, den grössten Anteil aller Autohersteller (400 lokale Unternehmen teilen sich die restlichen 75 Prozent).

Ausserdem wird die Reduzierung der Technologieimporte bei gleichzeitiger Ausweitung der Exporte Chinas Handelsüberschuss verschärfen und einen sehr starken Druck auf die Aufwertung des Yuan ausüben, was wiederum den Exporteuren Schwierigkeiten bereiten wird.

Infolgedessen fördert China auch den ­Import von Konsumgütern nach China und schafft international mehr Möglichkeiten für diese Branche.

Alles in allem sind grosse Veränderungen im Gange, aber auf dem Markt gibt es ­immer noch viele Möglichkeiten, einige bestehende und einige neue. Das Jahr des Tigers ist traditionell ein schwieriges Jahr, aber internationale Unternehmen können sich dafür entscheiden, die Chancen wahrzunehmen und mit dem Tiger zu brüllen.

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