1995 wurden 4 Prozent der weltweit hergestellten Güter in China produziert. Heute sind es 20 Prozent. China ist zu einem bedeutenden Produktionsstandort in globalen Wertschöpfungsketten geworden (Lund 2019). Auch Schweizer Unternehmen fertigen in China. Angefangen mit Schindler, das 1980 mit der Produktion von Aufzügen in China begann, haben Unternehmen wie OC Oerlikon, Nestlé und Kuk Electronic Fertigungen nach China verlagert.
Gestiegene Löhne in China
Hergestellt werden heute nicht nur kostengünstige Produkte in China. Das Land hat durch die Investitionen von westlichen Unternehmen viel Know-how erworben und ist in der Lage, zunehmend anspruchsvolle Komponenten wie hoch entwickelte Mikrochips herzustellen. Dadurch sind die Löhne am chinesischen Arbeitsmarkt gestiegen. Sie gelten heute im Vergleich zu anderen Schwellenländern wie Vietnam oder Bangladesch als relativ hoch.
Dies verstärkt die Notwendigkeit, Produktionsprozesse und den Einsatz von Ressourcen in China effizient zu gestalten. Operations Management wird zu einem bedeutenden Thema für Unternehmen, die in China produzieren. Viele setzen dabei auf die Prinzipien des Lean Management.
Lean Management für Effizienz
Das Ziel von Lean Management ist die effiziente Gestaltung von Wertschöpfungsprozessen. Entstanden aus der Untersuchung von Produktionsmethoden in der Automobilindustrie, basiert es stark auf japanischen Werten wie Muda (der Eliminierung sinnloser Tätigkeiten), Kaizen (der kontinuierlichen Selbstverbesserung), Tanaka (dem Streben nach Perfektion) oder Genchi Genbutsu (dem kritischen Hinterfragen). Es entwickelt Prinzipien zur Schaffung von Werten ohne Verschwendung von Ressourcen wie die Definition des Produktes aus der Sicht des Kunden, die Identifikation der wertschöpfenden Aktivitäten, die Optimierung des Produktionsflusses, die Produktion auf Bestellung und die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse (Womack 1990).
Das Konzept Lean Management wird heute weltweit angewendet, unabhängig von den kulturellen Wurzeln, auf denen es beruht. Lean Management ist aus der japanischen Kultur entstanden, die sich durch eine langfristige zeitliche Orientierung, eine starke Unsicherheitsvermeidung, eine kollektivistische Ausrichtung auf die Gemeinschaft, eine Orientierung am Wohl des Menschen, eine hohe Machtdistanz und einen starken Leistungsanspruch auszeichnet. Die chinesische Kultur weicht davon vor allem bezüglich der zeitlichen, gesellschaftlichen und leistungsmässigen Orientierung ab.
Studien wie «Globe» zeigen für China einen starken Individualismus, eine kurzfristige zeitliche Ausrichtung und relativ tiefe Werte für die Leistungsorientierung (House 2004). Damit stellt sich die Frage, ob Lean Management in China anwendbar ist und zur gewünschten Effizienzsteigerung von Produktionsprozessen führen kann.
Das Fallbeispiel
Diese Frage wurde im Rahmen einer Studienarbeit an der Fachhochschule Graubünden mittels einer hypothesengeleiteten qualitativen Fallstudie untersucht. Untersuchungsobjekt war ein Schweizer Produktionsdienstleister mit Produktionsstandort in Schanghai. Das Unternehmen beschäftigt 60 Mitarbeitende in China und der Schweiz. Es produziert Maschinen, Geräte und Teile für Schweizer Kunden und optimiert seine Produktionsprozesse mittels Lean Management. Die Studie hat analysiert, mit welchen Widerständen das Unternehmen bei der Initialisierung, Implementierung und Integration von Lean-Management-Prinzipien konfrontiert wurde und wie diese Widerstände überwunden wurden. Resultiert sind Empfehlungen zum Einsatz von Lean-Management-Methoden im chinesischen Markt (Wenger 2020).
Die Initialisierung von Lean Management im Produktionsbetrieb in Schanghai war begleitet von Widerständen gegen die damit verbundenen zusätzlichen Arbeiten. Vor allem Mitarbeitende der Administration wehrten sich gegen Anweisungen von europäischen Vorgesetzten. Mitarbeitende aus der Produktion fühlten sich weniger betroffen von den Massnahmen zur Effizienzsteigerung. Anweisungen von chinesischen Vorgesetzten wurden eher befolgt, was durch die in China relativ hohe kulturelle Machtdistanz begründet sein kann.
Das Unternehmen hat versucht, die auftretenden Widerstände zu überwinden durch klare Anweisungen, die die Notwendigkeit der effizienzsteigernden Massnahmen deutlich machten. Es hat den Mitarbeitenden den Sinn der Massnahmen erläutert und sie in Workshops einbezogen, in denen sie ihre Überlegungen und Vorbehalte einbringen konnten.
Widerstände entstanden auch durch die Unsicherheiten, die die Veränderungen im Unternehmen für die Mitarbeitenden mit sich brachten, was durch die in China vorherrschende starke Unsicherheitsvermeidung erklärt werden kann. Das Unternehmen versuchte, diesen Unsicherheiten durch eine transparente Planung zu begegnen, die den betroffenen Mitarbeitern aufzeigte, welche Massnahmen wann eingeführt wurden.