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E-Commerce

Wie Amazon den Onlinehandel beherrscht

Hierzulande scheint niemand ein Patentrezept gegen den dominanten E-Commerce-Anbieter mit dem einfachen Schriftzug zu haben. Die Rede ist von Amazon, dem Onlinehändler aus den USA, der allerdings auch in Europa zahlreiche Logistikzentren betreibt und sich sogar in den Hardware-Markt vorwagt mit eigenen Tablets und Smartphones.
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Amazon wird angeführt durch Jeff Bezos, dem Mastermind hinter allen Innovationen, und wird heuer 20 Jahre alt. Amazon will nach eigener Aussage das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt werden. Dabei wagt es sich in Bereiche vor, die wir gar nicht wahrnehmen. Allen voran ins Cloud Computing und neu auch bei der Hardware mit dem einzigen Ziel: eine dominierende Rolle einzunehmen.

Die Amazon-Strategie

Jeff Bezos gründete «amazon.com» am 5. Juli 1994, damals noch in der Absicht, Bücher, Videos und Musik-CDs über das Internet zu versenden. Der Konzern mit Sitz in Seattle erwirtschaftet zwei Drittel seines Umsatzes mit Elektronikgeräten, mit Mode und neu auch mit Lebensmitteln. Amazon war auch einer der Vorreiter bei elektronischen Büchern sowie Musik- und Video-Downloads – eher aus Kostengründen als aus dem Gedanken des Kundennutzens heraus.

So überrascht denn auch nicht die Vision von Jeff Bezos: Amazon soll Marktführer werden und fährt dazu eine aggressive Wachstumsstrategie: Auf der Plattform bietet nicht nur Amazon seine Produkte an, sondern auch kleinere Händler und Unternehmen sind im sogenannten Long Tail als Partner integriert. Seit dem Jahr 2000 können Dritthändler Produkte bei Amazon anbieten und ihre Logistik, La­gerung und den Vertrieb über die Plattform abwickeln. Kann Amazon ein Produkt nicht anbieten, springt ein anderer Händler in die Bresche. Neu sogar auch im 3D-Druck, was Amazon im Juli dieses Jahres für die USA lancierte.

Doch Amazon macht das nicht nur aus Gutmenschendenken: Alles, was auf der Plattform passiert, wird ausgewertet. Und dort, wo steigende Absatzzahlen erkennbar sind, nimmt Amazon auch schon mal schnell neue Produkte in das Portfolio auf. Der Konzern lockt seine Kunden mit attraktiven Konditionen und lancierte unlängst sogar einen Amazon-Prime- Dienst: kostenlose Lieferung «next day» oder «same day». Gleichzeitig investiert er kräftig in seine lokalen Versandzentren und in die Entwicklung neuer Technologien. Die Kehrseite dieser Strategie: Die Gewinnmargen sind tief, und das mit Absicht: 2012 machte Amazon einen Verlust von 39 Millionen US-Dollar. Im Jahr 2013 blieben rund 274 Millionen US-Dollar unter dem Strich – bei einem Nettoumsatz von 74,45 Milliarden US-Dollar im Jahr 2013.

Mehr als nur ein Marktplatz

Nun wird Amazon immer noch als Onlineplattform und Marktplatz wahrgenommen, und das muss zum Beispiel für die Schweiz nicht weiter bedrohlich sein; jedoch in Deutschland alleine unterhält das Unternehmen acht Logistikzentren: bei Augsburg, in Bad Hersfeld, in Leipzig, in Rheinberg, in Werne, in Pforzheim, Brieselang und Koblenz, also nicht unweit unserer Grenzen. In allen Logistikzentren arbeiten gemäss Amazon zirka 7000 Mitarbeitende. In Spitzenzeiten wie dem Weihnachtsgeschäft kommen jedoch mehrere Tausend temporäre Hilfsarbeiter dazu. Rund 120 000 Festangestellte arbeiten weltweit bereits für Amazon – zum Vergleich: Bei der Migros arbeiten rund 87 000, bei Apple rund 80 000, bei Microsoft 130 000 und bei Rewe 430 000 Menschen.

Amazon holt also auf, und es kommt nicht von ungefähr, warum wir diese Unternehmen erwähnt haben: Bei allen Unternehmen mischt Amazon in einem oder mehreren Bereichen mit. Denn Amazon will vor allem drei Dinge beherrschen: das Internet als Marktplatz, die Produkte, welche wir im Internet bestellen können und die Logistik dahinter. Wobei damit nicht der Postversand gemeint ist, sondern die Beschaffung und Distribution, die nahtlos in unseren Alltag einfliesst. Dabei macht das Unternehmen nicht vor physischen Gütern halt: E-Book, Musik, Filme sowie Tablets (Kindle Fire) und Smartphones (Fire Phone) mit entsprechenden Apps gehören ins Portfolio. Amazon will wie Apple und Google in unseren Alltag vordringen, diesen bereichern und erleichtern und dabei mittel- bis langfristig eine dominierende Rolle einnehmen.

Bereits geschehen ist das mit Server- und Storage-Diensten. Denn auch in der Cloud ist Amazon eine mittlerweile dominierende Grossmacht: Ein Drittel aller Internetbenutzer setzt regelmässig Amazon Web Services (AWS) ein, direkt und indirekt. So laufen zum Beispiel Adobe, Airbnb, Dropbox, Netflix, Nokia oder auch hiesige Marktplätze wie PLV Fashion auf den Servern von Amazon. Hat Amazon ein Problem, haben wir mit dem Internet ein Problem, und das geschah dieses Jahr bereits einige Male. Gemessen am Einzelhandelsumsatz ist die Rolle von Amazon (derzeit noch) überschaubar. Etwa ein bis zwei Prozent trägt Amazon zum gesamten Branchenumsatz bei (Quelle: Handelsblatt). Das meiste sind jedoch Lebensmittel, bei welchen Amazon noch nicht so dominant, aber mit Amazon Fresh doch präsent ist (allerdings noch nicht in der Schweiz).

Verluste als Geschäftsmodell

Betrachtet man den Onlinehandel von Unterhaltungselektronik bis zu Büchern, zeichnet sich jedoch ein anderes Bild: Amazon hält hier fast einen Viertel des Marktes. Amazons Strategie hier ist, die zentrale Anlaufstelle für alle Produkte zu werden und dank Innovationen immer einen Schritt vorauszusein. So hat der einstige Amazon-Manager Eugene Wei es kürzlich in seinem Blogeintrag «Amazon and the profitless business model fallacy» zusammengefasst: «Das Kerngeschäft von Amazon wirft bei jeder Transaktion Profit ab. Es fällt nicht auf, weil massiv in die Verkaufsbasis investiert wird.»

Innovieren oder sterben

Das bedeutet nichts anderes, als dass Amazon im Kerngeschäft und auf der Plattform mit jedem Produkt eigentlich profitabel ist. Jeff Bezos investiert aber bewusst in neue Ideen, Innovationen und verbessert seine Logistik, den Kundendienst und die angehängte Plattform, um noch schneller und bes­ser zu werden – Profitwachstum im Promillebereich, aber dank den hohen Um­sätzen die eigentliche Geldmaschine hinter dem Firmenwachstum. Diese hohen Umsätze finden auch statt dank den Unternehmen, die Amazon als Lager-, Logistik- und Verkaufspartner nutzen. Heath Terry, Analyst bei Goldman Sachs, hat letzthin sogar prognostiziert, dass dieses Partnergeschäft für Amazon 2014 einen Umsatz von 3,5 Milliarden US-Dollar generieren wird. Weiter schätzt Terry den Wert dieses Nebengeschäfts auf rund 20 Prozent des Börsenwerts von Amazon. Kleine schlechte Ausbeute. Amazons Kampfansage ist klar: «Take down one industry at a time.»

Mit dem 2007 lancierten E-Book Reader Amazon Kindle wird der Buchmarkt attackiert. So sind die Einstiegskosten für den Kindle verhältnismässig tief, dafür ist die Bedienung umso einfacher, und eine Unmenge an Büchern steht den Nutzern zur Verfügung. 2011 folgte der Kindle Fire – das erste Tablet von Amazon. Mit dem diesjährig präsentierten Gerät Amazon Dash lassen sich Einkaufslisten aufs Gerät sprechen oder Barcodes einscannen. Und das vor Kurzem präsentierte Amazon Fire Phone geht sogar noch einen Schritt weiter: Mit einem eigens kreierten Button am Smartphone lassen sich Produkte scannen, mit der Amazon-Datenbank abgleichen und gleich bestellen. Nahtlose Integration nennt Amazon das und baut damit auf der Strategiemaxime auf, dass es das Ökosystem samt seiner Innovationen ist, das ausschlaggebend ist, und nicht das einzelne Produkt. Denn auch wenn das Fire Phone technologisch nicht an ein ähnliches Produkt herankommt, so ist es dennoch innovativ und bestechend bei der Nutzung.

Hier zeigt es sich auch, wo Amazon wirklich stark ist: bei seinen Innovationen und Erfindungen. Das muss Amazon auch, es hat schliesslich keine Verkaufsflächen oder gar ein globales Marketing – im Vergleich ist das Marketingbudget sogar fast lächerlich. Dennoch: Seit 1994 haben Amazon und seine Tochterfirma Amazon Tech­nologies über 1263 Patente angemeldet. Darunter sind nicht immer weltbewegende Erfindungen wie das Amazon Fire Phone, sondern Verbesserungen in den relevanten Bereichen. Wie zum Beispiel «US-Patent Nr. 8.261.983 generated customized packaging», erteilt Ende 2012, welches den Bestellprozess darstellt, bei dem die Software ausrechnet, wie gross die Ver­packung sein muss und welche Verpackungsart am besten dazu passt. Das Ziel ist, keine Luft zu versenden und dafür bezahlen zu müssen. Das geht sogar soweit, dass die Software bei besonders geformten Produkten die perfekte Verpackung sogar ausrechnet und herstellt.

Die Konsequenz

Es wurde oben erwähnt, dass Amazon eine marktbeherrschende Stellung einnehmen möchte und dabei auf einen integrierten Plattformgedanken setzt. Die Summe des Nutzens aller Dienstleistungen und Produkte ist dabei höher als das einzelne Produkt. Jedoch ist die grund­legende Frage nicht die, ob Amazon eine marktbeherrschende Stellung erreichen kann, sondern was allenfalls die entsprechenden Konsequenzen für die mit Amazon verbundenen Unternehmen, Produkte und Kanäle sind. Das reicht von Elektronikgeräten über Bücher und Kleidung bis zu Lebensmitteln. Und vor allem kann es beide Seiten betreffen, Händler wie Konsumenten.

Händler könnten dazu gezwungen werden, bessere Einkaufskonditionen ein­zuräumen, und Kunden könnten unter steigenden Preisen leiden, sollte eine dominierende Stellung eingenommen worden sein. Bis dahin werden noch einige Händler und Plattformen eingehen. Es ist noch ein langer Weg, und er wird seinen seinen Tribut fordern.

Natürlich ist die Strategie, Marktanteile bedingungslos zu erwerben, ein endliches Modell, und Amazon kann nur über einen begrenzten Zeitraum hinweg Geld ver­lieren, da die Aktionäre irgendwann auch einen Ertrag verlangen. Und eine Gefahr birgt auch, dass eine Preisführerschaft sich in ein Preismo­nopol umwandeln kann, wenn der Mitbewerb nicht mehr existiert und man sukzessive die Preise im eigenen Haus wieder anhebt.

Das muss nicht offensichtlich geschehen: Wenn sich das Preisgefüge einer ganzen Branche suk­zessi­ve anhebt, fällt das betroffenen Verbrauchern nicht sofort auf. Jedoch attackiert Amazon an mehreren Fronten: Von der Logistik und dem Service können sich hiesige Händler noch etwas abschneiden – oder zusehen, wie Branche für Branche eingenommen wird.

So gesehen ist es zu einfach zu sagen, dass Amazon einfach nur böser Bube im Onlinehandel ist. Denn eigentlich passt Amazons doppeldeutiger Claim auf seinen versendeten Paketen dann doch besser: Amazon – and you're done.

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