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KMU Mittelstandstudie

Wertschöpfungsketten bergen die grössten Herausforderungen

Schweizer KMU sehen hohe Energie- und Rohstoffpreise, Rohstoffverfügbarkeit und Fachkräftemangel als grösste Konjunkturrisiken. Dennoch sind sie grösstenteils weiterhin optimistisch in Bezug auf ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung. Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommt die aktuelle «KMU Mittelstandstudie».
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Bereits zum fünften Mal bildet die «KMU Mittelstandstudie» die jeweils aktuelle Stimmungslage in Schweizer KMU ab. In diesem Jahr fokussierte die Umfrage ­neben anderen aktuellen Herausforderungen die Themen Nachhaltigkeit und nachhaltige Lieferketten. Gemäss der Studie hat sich die Lage für Schweizer Unternehmen auch nach zwei Jahren Covid-Pandemie nicht beruhigt. Die Liste an Herausforderungen, die es zu meistern gilt, ist lang: Ukraine-Krieg, gescheitertes Rahmenabkommen mit der EU, Disruption globaler Wertschöpfungsketten, steigendes Preisniveau, Klimawandel, Fachkräftemangel, technologischer Wandel und Digitalisierung – um nur einige zu nennen.

Optimismus überwiegt

Nichtsdestotrotz scheint die Stimmung beim Schweizer KMU Mittelstand weiterhin gut respektive sogar noch besser zu sein als im letzten Jahr. 73 Prozent der be­fragten KMU beurteilten ihre wirtschaftliche Lage im Befragungszeitraum vom 23. Mai bis 27. Juni als gut bis sehr gut, nur fünf Prozent schlecht bis sehr schlecht (Vorjahr: zwölf Prozent). Zwei Drittel der ­befragten KMU gehen auch weiterhin von einer guten bis sehr guten wirtschaftlichen Lage in den kommenden drei Jahren aus. Das ist zwar eine Verschlechterung gegenüber dem Frühjahr 2021 (damals waren es 76 Prozent), stimmt uns aber dennoch positiv, weil der Anteil der Unternehmen, welcher von einer schlechten bis sehr schlechten Lage ausgeht, mit fünf Prozent stabil geblieben ist (Vorjahr: drei Prozent). 

Die Beurteilung der aktuellen wirtschaftlichen Lage der KMU spiegelt sich in ­ihren Finanzergebnissen wider. Knapp 56 Prozent der Schweizer KMU haben in den vergangenen zwölf Monaten ihren Umsatz weiter steigern können, 17 Prozent zwischen fünf bis zehn Prozent, 19 Prozent sogar über zehn Prozent. ­Damit bestätigt sich der positive Trend des Vorjahres. Bereits im Jahr 2021 haben knapp 50 Prozent der Unternehmen ­steigende Umsätze verbuchen können, nachdem im Jahr 2020 70 Prozent rückläufige Umsätze gemeldet hatten. Für viele KMU waren die Auswirkungen der Covid-19-Krise über die letzten zwei Jahre überschaubar.

Die weiterhin optimistische Stimmung mag auch damit zusammenhängen, dass eine grosse Mehrheit der Schweizer KMU meldet, einigermassen gut bis sehr gut auf Krisen vorbereitet zu sein. Die meisten Schweizer KMU erwarten zudem, im Jahr 2022 mindestens keine Umsatzeinbussen zu erfahren oder weiter zu wachsen, und über 50 Prozent der Umfrageteilnehmer haben noch keine Massnahmen zur Eingrenzung negativer Auswirkungen des Ukraine-Kriegs getrof­fen oder treffen müssen.

In der Zwischenzeit haben sich die Herausforderungen für die Schweizer KMU bezüglich möglicher Lieferkettenprobleme oder Energieknappheit weiter verschärft. Die aktuelle Situation wird in Bezug auf den konjunkturellen Einfluss steigender Energie- und Rohstoffpreise sowie Verfügbarkeit von Rohstoffen, Energie und Fachkräften mit Besorgnis betrachtet. Zudem ist die EU-Frage weiterhin ungeklärt und aussenpolitische Entwicklungen, wie die Situation in der Ukraine, unvorhersehbar.

Lieferketten im Fokus

Preisentwicklung, Disruption globaler Wertschöpfungsketten und geopolitische Entwicklungen werden demnach zusammen mit technologischer Entwicklung und damit verbundenen (Cyber-)Risiken als wichtigste Faktoren gesehen, welche die eigene wirtschaftliche Lage am entscheidendsten beeinflussen. Lieferketten rücken damit verstärkt in den Fokus und die Bedeutung nachhaltiger Lieferketten ist für den Schweizer KMU Mittelstand nicht nur bedeutend, sondern über die Jahre wichtiger geworden. 

Schweizer KMU unterstreichen die Be­deutung stabiler, sicherer und kosteneffi­zienter Lieferketten, priorisieren aber gleichermassen hohe Mitarbeitersicherheit und -gesundheit sowie Produktqualität, -sicherheit und -information bei der Wahl von Lieferketten und Partnern. Zudem investieren sie gezielt in die Verbesserung der Energieeffizienz entlang der Wertschöpfungskette und in deren Dekarbonisierung, zum einen, um Versorgungsengpässe und Kosteninflation entgegenzuwirken, und zum anderen, weil der Kunden- und der ­öffentliche Druck sich erhöht haben.

Sorge um Preisentwicklung

Zwei Drittel der Unternehmen sind von steigenden Preisen für Rohmaterialien und -komponenten betroffen, 44 Prozent beklagen Unterbrechungen von Liefer­ketten und weitere 41 Prozent einen erschwerten Zugang zu Rohstoffen und Vorprodukten. Der Ukraine-Krieg hat die schon angespannte Lage internationaler Lieferketten akzentuiert. Unternehmen sind hiervon nicht nur betroffen, wenn sie in Asien oder beispielsweise Osteuropa geschäftlich tätig sind, auch Tätigkeiten im grenznahen Ausland bedeutet keinesfalls Liefersicherheit oder Zugang zu günstigen Rohstoffen und Komponenten. 

42 Prozent der Unternehmen sahen sich im Befragungszeitraum dennoch nicht gezwungen, konkrete Massnahmen zu ergreifen, während sich 36 Prozent auf die Suche nach neuen oder zusätzlichen Lieferanten gemacht haben und 32 Prozent der teilnehmenden KMU Rohstoffe und Vorprodukte auf Vorrat beschaffen, um Liefereng­pässen entgegenzuwirken. Die Preisentwicklung ist dann konsequenterweise auch der Faktor, dem der Schweizer KMU Mittelstand die höchste Bedeutung beimisst, die eigene wirtschaftliche Lage ­negativ zu beeinflussen.

Abhängigkeiten

Damit verbunden haben die Disruption globaler Wertschöpfungs- und somit auch Zuliefererketten sowie der Zugang zu natürlichen Ressourcen nochmals deutlich an Bedeutung gewonnen. Hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie Verfügbarkeit von Rohstoffen und Fach­kräften werden als zentrale Konjunkturrisiken erachtet. Das überrascht nicht. Über alle Branchen hinweg und auch in der Politik ist das Thema Energiesicherheit derzeitig eines der dominierenden Diskussionsthemen. 

Die Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen und das gleichzeitige Vorantreiben der Energiewende weg von Nuklearenergie und fossilen Energie­trägern führen bereits heute zu Engpässen und hohen Preisen. Die Schweiz deckte 2021 rund 15 Prozent ihres Energiebedarfs mit Gas, 50 Prozent davon stammte aus Russland (Quelle: gazenergie.ch). Nicht alle Faktoren sind jedoch direkt oder indirekt an momentane Krisenherde gebunden. Themen wie die Beherrschung von technologischen Trends sowie Cy­ber- beziehungsweise Datensicherheit rangierten in den letzten drei Jahren immer in den Top 3. Der Schweizer KMU Mittelstand ist gefordert, technologischen Entwicklungen zu folgen und sich oft gegenüber kleineren, agilen, gut finanzierten Start-ups zu behaupten. Letztere dringen in ­immer mehr Branchen vor und ­fordern etablierte Spielregeln heraus.

Nachhaltigkeit wichtiger

Die Umfrage zeigt deutlich, dass Nach­haltigkeit in der Breite angekommen und für den Schweizer KMU Mittelstand wichtig ist. 39 Prozent der befragten KMU be­urteilen die Bedeutung als hoch, weitere 45 Prozent als mittel und die Hälfte sieht darin eine Chance, nur wenige eine Herausforderung (17 Prozent). Für eine Mehrheit der Schweizer KMU ist Nachhaltigkeit kein theoretisches ­Konstrukt. Umso erstaunlicher sind die Re­sultate: Drei Viertel der Unterneh­men ­haben bereits oder setzen derzeitig Nachhaltigkeitsinitiativen in die Praxis um. Die befragten Unternehmen ver­deutlichen die Wichtigkeit von Nach­haltigkeit und nachhaltigen Lieferketten dadurch, dass diese bereits heute integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie sind und die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie meist direkt in der Ver­antwortung des CEO liegt (60 ­Prozent). Niedrigere Hierarchieebenen, beispielsweise stra­tegische Organisationseinheiten (14 Prozent) oder Produktions- und Einkaufsleiter (8 Prozent), spielen eine eher ­untergeordnete Rolle. Gründe, wieso Unternehmen zukunfts­gerichtet in die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten investieren, sind teilweise aktuelle, krisenbedingte Herausforderungen, jedoch nicht ausschliesslich. Die meisten Schweizer KMU geben als wichtigsten Treiber für Inves­titionen Eigeninitiative an (76 Prozent). An zweiter Stelle der ­gewichtigsten Gründe rangiert die aktuelle Preisentwicklung von Rohstoffen, Energie und anderen Inputfaktoren. 

Die Investition in nachhaltige Lieferketten soll sich für viele KMU nicht nur ökonomisch lohnen, indem stabilere und sichere Lieferketten mehr Gewinn und Umsatz generieren. Viel mehr geben Schweizer KMU (jeweils zu 70 bis 80 Prozent) eine Verbesserung des Aussenbildes, eine Erhöhung der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sowie die Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb als wichtigste Erfolgsbeiträge nachhaltiger Wertschöpfungsketten an. 26 Prozent der Unternehmen sind überzeugt, dass nach­haltige Lieferketten einen hohen bis sehr hohen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens leisten, 39 Prozent sind der Meinung, dass der Beitrag mindestens spürbar ist.

Sicherheit vor Ökologie

Obwohl die Aussenwirkung eine wichtige Rolle spielt: Auf die Frage, welche Faktoren konkret die wichtigsten bei der Ausgestaltung von Lieferketten sind, priori­sieren Schweizer KMU mit jeweils über 90 Prozent Liefersicherheit und Kosteneffizienz über Umwelt- und Sozialverträglichkeit (beide um 70 Prozent). Unterschiede sind jedoch festzustellen, wenn man sich Antworten nach Grösse der befragten Unternehmen anschaut. Kleinere Unternehmen tendieren im Schnitt eher dazu, Sozial- und Umweltverträglichkeit mehr Bedeutung ein­zuräumen, grosse KMU sind deutlich stärker kostenorientiert und auf Liefersicherheit bedacht. Die Fähigkeit, Produkte und Dienst­leis­tungen zeitgerecht und schnell zur Ver­fügung zu stellen, ist in vielen Branchen zu einem zentralen Kaufkriterium ge­worden. Fast gleich­bedeutend sind Mitarbeitersicherheit und -gesundheit ­sowie Produktqua­lität, -sicherheit und ­-information. Die Wettbewerbsfähigkeit ist für Hochpreisländer wie die Schweiz stark von der Fä­higkeit ­abhängig, hochqualitative Produkte zu produzieren. Nachhaltigkeit verlangt aber heute mehr. Produkte müssen sicher sein und ihr Weg vom Rohmaterial zum fertigen, ausgelieferten Produkt im Idealfall lückenlos nachverfolgbar.