Branchen & Märkte

Internationalisierung Teil 1/2

Was mit Chinas Wirtschaft passiert

Auch in der Post-Covid-Zeit hat sich China offenbar noch nicht ganz erholt. Das vormals schnelle Wachstum stockt. In diesem ersten Teil werden die Gründe dafür beschrieben, der zweite Teil wird dann einen Ausblick auf die zu erwartende wirtschaftliche Entwicklung Chinas wagen und zeigen, was das für internationale Unternehmen in der Praxis bedeutet.
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Chinas Erholung nach Covid verläuft langsamer als von den meisten erwartet. Chinas jüngste Wirtschaftsergebnisse und die Erfahrungen der Unternehmen vor Ort liefern Erkenntnisse, die für die neuen Strategien, die internationale Unternehmen in China benötigen, sehr wertvoll sein können. Der Beitrag beschäftigt sich mit folgenden Fragen:

  • Sind Chinas wirtschaftliches Potenzial und seine Geschäftsmöglichkeiten zurückgegangen?
  • Was ist die Wirtschaftsstrategie der ­chinesischen Führung?
  • Wohin wird Chinas Entwicklung das Land im Jahr 2024 und darüber hinaus führen?
  • Welche Chancen ergeben sich daraus für Schweizer Unternehmen und welche Risiken sollten sie einkalkulieren?

Die Wachstumshemmnisse

Eine Reihe von Ereignissen, die während der Covid-19-Jahre stattfanden, haben Chinas wirtschaftliche Situation verändert. Obwohl sie ihren Ursprung in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 haben, sind sie unabhängig von der Pandemie selbst, die zusammen mit den geopolitischen Spannungen des Jahres 2022 nur eine erschwerende Rolle spielte. Dennoch haben die Ereignisse in den drei Pan­demiejahren von 2020 bis 2022 China auf einen Kurs gebracht, der nur sehr schwer umzukehren sein wird.

Die Immobilienkrise

Die Immobilienkrise begann mit der Entscheidung der Zentralregierung, die Immobilienblase zum Platzen zu bringen.
Im August 2020 legten neue Vorschriften fest, wie viel Geld Immobilienentwickler je nach ihrer finanziellen Situation leihen konnten. Dies löste die viel disku­tierten Zahlungsausfälle und Insolvenzen ­vieler chinesischer Immobiliengiganten aus. Obwohl die Wohnungspreise von der lokalen Regierung sorgfältig kontrolliert wurden, um einen Marktcrash und einen starken Rückgang der Immobilienpreise zu vermeiden, sank der Wert der Eigenheime der Bevölkerung stetig. Dies wurde ab dem zweiten Quartal 2023 spürbar und der Rückgang beschleunigte sich 2024.

Diese Entwicklung war unvermeidlich, da sich die Immobilienbranche eindeutig in einer Blase befand. Bereits 2018 wurden 88 Prozent der verkauften Neubauten von Familien gekauft, die bereits ein Haus besassen, und über 90 Prozent der chinesischen Familien besassen ihr Eigenheim.

Ausserdem begann Chinas Gesamtbe­völkerung 2022 zu schrumpfen, und dieser Rückgang beschleunigte sich 2023. Mit einer schrumpfenden Bevölkerung, von der ein überwiegender Teil Eigenheimbesitzer sind, besteht in China kaum Bedarf an mehr Wohnraum. Das Ergebnis ist ein stetiger Rückgang der Neubau­projekte, sodass sich die Immobilienbranche letztendlich auf den Ersatz und die Re­novierung alter Häuser konzen­trieren muss.

Der chinesische Immobiliensektor und seine abhängigen Branchen (zum Beispiel Heimdekoration, Haushaltsgeräte) machten schätzungsweise 25 Prozent oder mehr der chinesischen Wirtschaft aus. Der starke Rückgang der Aktivität dieses wichtigen Sektors hat offensichtlich zu verlorenen Arbeitsplätzen und Geschäftsmöglichkeiten geführt, die sich negativ auf das Wachstum auswirken.

Aber der Rückgang des Haushaltsver­mögens ist sicherlich ein zusätzlicher indirekter Effekt, der die Verbraucher zurückhält. Schätzungen zufolge sind etwa 70 Prozent des Vermögens der chinesischen Bürger in Immobilien konzentriert. Angesichts noch schneller sinkender ­Immobilienpreise auf dem Gebrauchtmarkt hat die chinesische Mittelschicht ihren wichtigsten Vermögensspeicher schrumpfen sehen. Doch ein zweites Ereignis hat das Gefühl sinkender Vermögen chinesischer Familien noch verstärkt.

Die Zügelung der grossen pri­vaten Technologieunternehmen

Im November 2020, kurz nachdem die ­Finanzierung von Immobilienentwicklern unter Kontrolle gebracht worden war, stoppte die chinesische Regierung den Börsengang der Ant Group eine ­Woche vor dem geplanten Termin. Die Ant Group war das Alibaba-Unternehmen, das Finanzdienstleistungen direkt für die Nutzer der Alibaba-Gruppe von ­Internetunternehmen bereitstellte.

Im selben Monat November beriefen die chinesischen Behörden 27 grosse Internetunternehmen zu einem Treffen ein und forderten sie auf, monopolistische Praktiken, unlauteren Wettbewerb und Produktfälschungen zu korrigieren. Es wurden Geldbussen verhängt und Chinas Bestreben, die Praktiken der grossen Technologieunternehmen zu kontrol­lieren, hatte, obwohl wahrscheinlich ­notwendig, sehr negative Auswirkungen auf den chinesischen Aktienmarkt. In den 22 Monaten von seinem Höchststand am 1. Januar 2021 bis Ende Oktober 2022 verlor er über 50 Prozent seines Wertes. Nach einer leichten Erholung lag der Index Ende Juni 2024 wieder auf dem ­Oktober-Niveau. Damit war Chinas Aktienmarkt im gleichen Zeitraum der Markt mit der schlechtesten Performance aller grossen Volkswirtschaften.

Eine grosse Mehrheit der chinesischen Haushalte hat in den Aktienmarkt und in an Aktien gekoppelte Finanzprodukte investiert. Zusammen machen Immobilien und Aktien im Durchschnitt mehr als 80 Prozent des Vermögens chinesischer Privatpersonen aus.

Als chinesische Familien sahen, wie ihr Vermögen stetig schrumpfte, reagierten sie umsichtig und traditionell: Sie sparten und reduzierten ihren Konsum. Dies hat Chinas Wachstumspotenzial weiter verringert und den Arbeitsmarkt, der durch die bis zum Ende des Immobilienbooms verlorenen Arbeitsplätze bereits geschwächt war, zusätzlich unter Druck gesetzt. Mit dem verlangsamten Wachstum gingen auch die Beschäftigungsmöglichkeiten zurück, was das Gefühl der wirtschaftlichen Unsicherheit der Bevölkerung noch verstärkte.

Unterbrechungen der Lieferkette und Risikominderung für ausländische Unternehmen

China kontrollierte die Pandemie, indem es Wuhan abriegelte, seine Grenzen schloss und eine Nulltoleranz gegenüber dem Virus anwandte. Dies ermöglichte es dem Land, die Welt in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 und im Jahr 2021 zu beliefern, als die Pandemie die industrielle Produktionskapazität im Rest der Welt störte. Doch im April 2022 begann sich die viel ansteckendere Omikron-Variante des Virus auszubreiten, was eine zweimonatige Abriegelung Shanghais zur Folge hatte. Aufgrund der Bedeutung der Hafenstadt und der Region des Jangtse-­Deltas störte die Abriegelung die internationalen Lieferketten erheblich. Und sie machte vielen internationalen Unternehmen und der Welt ihre Abhängigkeit von Chinas Produktionskapazitäten bewusst.

Darüber hinaus reagierte China drei Monate nach dem Ende des Lockdowns im August 2022 heftig auf Nancy Pelosis Besuch in Taiwan. Zu dieser Zeit war ­Pelosi nach dem Präsidenten und der ­Vizepräsidentin die dritte Person in der Nachfolge der US-Präsidentschaft.

Nach Russlands beispiellosem und un­erwartetem Angriff auf die Ukraine im ­Februar 2022 und den darauffolgenden Sanktionen musste das Kriegsrisiko in Asien plötzlich Teil der Überlegungen der meisten internationalen Unternehmen werden. Es war nicht mehr weit hergeholt, dass China Handelsbeschränkungen auferlegt werden könnten, wie es bei Russland der Fall war. Die Eindämmung geopolitischer Risiken in Asien wurde Teil der Strategien der multinationalen Unternehmen der Welt.

In den 40 Jahren der Öffnung und Entwicklung Chinas mussten ausländische Unternehmen nur Chinas und die internationale Wirtschaft berücksichtigen, um ihre Strategien zu definieren. Aber innerhalb weniger Monate waren nun unerwartet die Risiken ihrer chinesischen Lieferketten, die der Lockdown in Shanghai einige Monate zuvor in ein drastisches Licht gerückt hatte, in den Mittelpunkt geraten.

Es versteht sich von selbst, dass die mögliche Wahl eines protektionistischen US-Präsidenten, der versprochen hat, 60 Prozent Zölle auf alle chinesischen Waren in den USA zu erheben, dieses Risiko in den Köpfen der Unternehmensführer wachgehalten hat, wie eine globale Umfrage unter CEOs vom Juni 2024 zeigt. Infolgedessen begannen internationale Unternehmen noch vor Ende 2022, ihre Lieferketten aus China zu verlagern. Die Zulieferer dieser multinationalen Unternehmen waren die ersten, die die Auswirkungen der neuen Risikominderungsatmosphäre zu spüren bekamen.

Ein bekanntes Beispiel ist Foxconn, der grösste Auftragshersteller für Apple-Produkte mit Sitz in Taiwan. Das Unternehmen ist seit 2011 der grösste private Arbeitgeber in China und bietet einer Million Chinesen Arbeitsplätze. Bis 2020 stellte er praktisch alle Apple-Produkte in China her. Im Geschäftsjahr 2023 produzierte Foxconn 14 Prozent der welt­weiten iPhones in Indien, doppelt so viel wie im Geschäftsjahr 2022 (7 Prozent).

Die Unternehmen, die ihre Produktion aus China verlagern, sind immer noch zu einem grossen Teil auf in China hergestellte Komponenten angewiesen. Wenn Zulieferer jedoch ihre Produktion ausserhalb Chinas aufbauen, suchen sie auch nach kostengünstigeren Produktions­standorten. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass diese Komponenten auch Schritt für Schritt in Thailand, Vietnam, Indien, Mexiko oder an anderen neuen Produktionsstandorten lokalisiert werden. Genauso wie es in China geschah, als es zum bevorzugten Produktionsland wurde.

Der internationale Handel ist ein wich­tiger Teil der chinesischen Wirtschaft: Er macht etwa 20 Prozent der chinesischen Beschäftigung aus, was heute wahrscheinlich mehr ist als die Immobilienbranche. Wenn man bedenkt, dass in China ansässige Unternehmen mit ausländischer Beteiligung im Jahr 2022 für 31,5 Prozent der chinesischen Exporte und 35 Prozent der chinesischen Importe verantwortlich waren, sind sowohl der internationale Handel als auch ausländische Direktinvestitionen von entscheidender Bedeutung für die chinesische Wirtschaft.

Es ist daher keine Überraschung, dass die chinesische Regierung enorme Anstrengungen unternimmt, um ihre globalen Wirtschaftsbeziehungen wiederaufzubauen. Dennoch wird der laufende ­internationale Prozess der Risikominimierung unvermeidlich weiterhin Druck auf die chinesische Wirtschaft ausüben. 

Darüber hinaus wird er sich negativ auf hochwertige Arbeitsplätze in China auswirken und weiter zur Unzufriedenheit der chinesischen Verbraucher beitragen. Es ist eine Tatsache, dass die internationalen Unternehmen, die ihre Lieferketten in China risikoärmer gestalten, aus den am weitesten entwickelten Volkswirtschaften stammen, die wiederum auch die höher qualifizierten und besser bezahlten Arbeitsplätze bieten.

Chinas Wachstumsstrategien

Die Strategie des doppelten Kreislaufs

Angesichts einer stagnierenden Bevöl­kerung gibt es Grenzen für das Wachstum, das durch eine grössere Zahl von Verbrauchern erzeugt wird. Da in den Städten immer noch neue Arbeitsplätze geschaffen werden, findet die Migration vom Land in die Stadt weiterhin statt. Sie wird jedoch durch die schrumpfende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und die Zahl der Arbeitsplätze, die China jedes Jahr schaffen kann, begrenzt.

China beschäftigte im Jahr 2023 740 Millionen Menschen und erwartet, im Jahr 2024 zwölf Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Nimmt man vereinfacht an, dass diese neu eingestellten Bürger das Durchschnittsgehalt Chinas verdienen, würde dies die erwerbstätige Bevölkerung um 1,6 Prozent erhöhen und potenziell ein entsprechendes Wachstum des BIP generieren. Damit das Wachstum höher ausfällt, muss China auch das Durchschnittseinkommen aller erhöhen (und die Er­höhung muss höher sein als die Inflation, um wirkliches Wachstum zu generieren).

Um höhere Margen zu erzielen und Gehaltserhöhungen zu finanzieren, müssen Unternehmen in China bessere Produkte und Dienstleistungen verkaufen und höhere Preise und Margen verlangen oder ihre Produkte und Dienstleistungen zum gleichen Preis verkaufen, aber ef­fizienter und zu geringeren Kosten pro­duzieren.

Die Absicht und Politik der chinesischen Führung besteht darin, diese zusätzliche Marge und Effizienz durch die Entwicklung von Technologie und Innovation zu erzielen. Tatsächlich ermöglicht Inno­vation und insbesondere technologische Innovation sowohl die Herstellung bes­serer Produkte und Dienstleistungen als auch deren effizientere Herstellung. Dieser Fokus auf Innovation hat aus Sicht der chinesischen Führung einen weiteren Vorteil: Er erhöht die Eigenständigkeit, was wiederum als notwendiges Element angesehen wird, um Chinas Abhängigkeit von Technologieimporten zu verringern und seine Sicherheit zu erhöhen.

Unter Berücksichtigung der Bedeutung des chinesischen Aussenhandels und der Investitionen beabsichtigt die chinesische Führung, diese Ziele zu erreichen und gleichzeitig ihre internationalen Wirtschaftsbeziehungen aufrechtzuerhalten, sowohl wegen der wertvollen Beschäf­tigungsmöglichkeiten, die der chinesischen Bevölkerung dadurch geboten werden, als auch weil internationale Zu­sammenarbeit schnellere technologische Verbesserungen ermöglicht.

Das kürzlich zu Ende gegangene Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei (das «dritte Plenum»), das zweimal pro Dekade stattfindet und sich traditionell auf wirtschaftliche Fragen konzentriert, betonte dieses Konzept
der Wirtschaftsstrategie des «doppelten Kreislaufs» erneut: Lokalisierung der inländischen Produktion und des inlän­dischen Verkaufs sowie Steigerung der Importe und Exporte. Das dritte Plenum betonte auch den Fokus auf Innovation: «Bildung, Wissenschaft und Technologie sowie Talente fungieren als grundlegende und strategische Untermauerung der chinesischen Modernisierung.»

Um ihre Ziele zu erreichen, bietet die chinesische Regierung bestimmten Branchen – die Entwicklung und Produktion von Halbleitern ist ein bekanntes Beispiel – sowie F&E-Aktivitäten im Allgemeinen erhebliche Subventionen und Anreize. Es ist bemerkenswert, dass auch in China ansässige, hundertprozentig ausländische Unternehmen diese Subventionen erhalten können.

Gegen die Vertrauensfalle der chinesischen Verbraucher

Das dritte Plenum ging jedoch nicht stark auf die abnehmende Kauflust der chi­nesischen Verbraucher ein, obwohl das Vertrauen der Verbraucher beispiellos niedrig ist. Seit April 2022 liegt der Vertrauensindex (offiziell veröffentlicht vom Nationalen Statistikamt) bei einem Wert von etwa 86, mit Ausnahme der Erholung Anfang 2023, als China alle Massnahmen zur Pandemiebekämpfung aufhob. Der niedrigste Wert des Index seit seiner Aufzeichnung im Jahr 1990 liegt bei 97. Die Zahl 100 ist ein neutrales Vertrauens­gefühl der Verbraucher im Durchschnitt.

Dem dritten Plenum folgte die Ankün­digung eines Regierungsprogramms zur Subventionierung des Ersatzes alter und energieineffizienter Autos und Haushaltsgeräte durch nachhaltigere, um die CO₂-Emissionen zu reduzieren und den Inlandsverbrauch zu fördern. Ökonomen sind jedoch allgemein der Ansicht, dass dies nicht ausreicht, um die Abwärtsspirale umzukehren, die durch den Vertrauensverlust der Verbraucher ausgelöst wurde, der durch ihre geringeren wirtschaftlichen Möglichkeiten in einem Umfeld mit langsamerem Wachstum noch verstärkt wird.

Hohe Überkapazitäten 

Chinesische Verbraucher sind definitiv sparsamer als in den Jahren vor der Pandemie. Das Wachstum der inländischen Einzelhandelsumsätze in den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 erreichte 3,7 Prozent, was nur etwa der Hälfte des Wertes in den Jahren vor der Pan­demie entspricht. Aber das bedeutet nicht, dass die Chinesen kein Geld haben. Ganz im Gegenteil: Die Haushalte haben während der Pandemie gespart, wie es die Verbraucher in anderen Regionen der Welt taten, aber im Gegensatz zum Rest der Welt haben die Chinesen auch nach der Pandemie weiter gespart.

Tatsächlich haben die Chinesen ihre Sparquote sogar erhöht. Sie sparen jetzt mehr als 35 Prozent ihres Einkommens, während die Deutschen zum Vergleich ­etwas über zehn Prozent sparen (und die Amerikaner knapp drei Prozent). Da die Börse unsicher ist, verwenden die Chi­nesen ihre Ersparnisse hauptsächlich zur Tilgung ihrer Hypotheken und zu Festgeldanlagen bei ihren Banken.

Die Banken müssen dieses Geld dann verleihen und Zinsen von ihren Kunden erhalten, denn wenn sie das nicht täten, könnten die Banken ihren chinesischen Einlegern keine Einlagenzinsen zahlen.

Vor 2020 wurden diese Bankeinlagen ­teilweise direkt oder indirekt (über Finanzprodukte) an Immobilienentwickler verliehen, die Landnutzungsrechte kauften, Wohnungen bauten und diese an Privatpersonen verkauften. Diese Tätigkeit brachte den lokalen Regierungen wichtige Einnahmen, da sie die Eigen­tümer des Landes sind. Schätzungen zufolge machen Landverkäufe ein Drittel der Einnahmen der lokalen Regierungen aus.

Jetzt, da die Baubeginne nur noch etwa ein Drittel des Höchststandes (2019 und 2020) betragen, müssen diese Einsparungen in neue Anlageziele fliessen. Um die fehlenden Grundstücksverkäufe an Immobilienentwickler zu kompensieren, fördern die lokalen Regierungen aggressiv Investitionen in Industrie- und Fertigungsbetriebe, die durch Einkommens- und Mehrwertsteuern ebenfalls Einnahmen generieren.

Das Ergebnis ist ein unkontrollierter Investitionsboom in Sektoren, die als sehr vielversprechend gelten, wie Elektrofahrzeuge, Batterieherstellung und andere grüne Technologien. Um das Beispiel Elektrofahrzeuge zu nehmen: Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels gab es in China über 100 Hersteller von Elektrofahrzeugen (und 500 waren im Jahr 2019 aktiv). Die wenig überraschende Folge dieses Ansturms zur Förderung der Elektrofahrzeugherstellung ist eine starke Unterauslastung der chinesischen Automobilproduktionskapazitäten, von denen im ersten Quartal 2024 35 Prozent ungenutzt waren.

Die Solarpanelindustrie ist ein weiteres Beispiel. Chinas erwartete Produktionskapazität im Jahr 2024 liegt bei 900 GW. Gleichzeitig wird erwartet, dass die weltweite Nachfrage rund 400 GW erreichen wird. Mit anderen Worten: China hat die Kapazität, die doppelte Gesamtmenge an Solarmodulen zu produzieren, die die Welt im Jahr 2024 benötigen wird.

Diese Überkapazität ist erwartungsgemäss über Chinas Grenzen hinausgeschwappt und hat protektionistische Reaktionen anderer Länder hervorgerufen. Die USA sind vorangegangen, indem sie (unter anderem) 100 Prozent Einfuhrzölle auf chinesische Elektrofahrzeuge ­erhoben haben. Die EU zieht nach, wenn auch mit niedrigeren vorgeschlagenen Zöllen. Es laufen Verhandlungen mit China, um zu sehen, ob eine Einigung gefunden werden kann.

Diese Reaktion ist jedoch nicht auf ent­wickelte Volkswirtschaften beschränkt. Unter anderem kündigte Indonesien am 2. Juli 2024 bis zu 200 Prozent Zölle auf bestimmte kostengünstige chinesische Importe an. Brasilien hat Quoten für eine Reihe von Stahlprodukten eingeführt und erhöht auch die Einfuhrzölle auf Elektrofahrzeuge, die 35 Prozent erreichen werden.

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