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Vision Schweiz Teil 1 von 3

Warum die Schweiz eine Vision für die Zukunft braucht

Der Sinn einer Vision für ein Land besteht darin, dass über die Zukunft ein Bild entwickelt wird, an dem sich die politische Führung, die Wirtschaft und die Gesellschaft orientieren können. Die Unternehmen richten sich auf die Zukunft der Märkte und Produkte aus. Was das für die Schweiz bedeutet, zeigt dieser dreiteilige Beitrag.
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Die Schweiz hat für die Entwicklung des Landes keine Vision entwickelt. Der Aufschrei an der Weltausstellung 1992 mit «la Suisse n’existe pas» war gross und hat Unrast ausgelöst. Beispiele für Reformstau sind die Unternehmensbesteuerung, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen und die Finanzierung der Altersvorsorge; man kann von einer Paralyse notwendiger, struktureller Erneuerungen sprechen.

Die Schweiz lebt im ökonomischen Wohlstand, der mit viel Fleiss erarbeitet wurde. Reformen auf verschiedenen Ebenen stehen an und sind schwierig umzusetzen. Dürrenmatt hat dazu gesagt: «Die Schweiz steht früh auf und wacht spät auf.» Wenn die Aussagen «Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit» oder «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben» stimmen, dann ist es Zeit, sich zu überlegen, wohin die Reise gehen, wie eine Vision inhaltlich gestaltet und wie sie vor allem umgesetzt werden soll. 

Fixstern für den Wandel

Die Vision entwirft ein Bild über die langfristige Zukunft und Entwicklungen einer Nation, selbst dann, wenn solche Entwicklungen mit Unsicherheiten verbunden sind. Visionen sind vergleichbar mit Fixsternen, immer am gleichen Ort, gut sichtbar und weit entfernt. Die Vision kann eine Erscheinung oder Offenbarung sein. Wichtig ist, dass die Vision keinen Sinnestäuschungen unterliegt. Basis für die Vision ist deshalb eine klare Analyse des Ist-Zustandes. Vision und Illusion liegen nahe beieinander. Fehlende Visionen lösen aber geistige Verwirrungen und Irritationen aus, die zu starken Polarisierungen und Konflikten in der politischen Ausrichtung führen. Für Unternehmungen ist die Vision ein wich­tiger Teil des Changemanagements. 

Für den Wandel gelten die folgenden Elemente in dieser Reihenfolge:

  • Vision,
  • Fähigkeiten und Kompetenzen,
  • Anreize,
  • Ressourcen,
  • Messungen und 
  • Aktionspläne. 

Fehlende Visionen führen zu Konfusionen, fehlende Fähigkeiten und Kompetenzen zu Ängsten, fehlende Anreize zu graduellem Wandel, fehlende Ressourcen zu Frustrationen, fehlende Messungen zu fehlerhaften Starts des Wandels, und fehlende Aktionspläne verhindern den Wandel.

Sinn und Zweck einer Vision

Der Sinn einer Vision für ein Land besteht darin, über die Zukunft ein Bild zu entwickeln, an welchem sich die politische Führung, die Wirtschaft und die Gesellschaft und auch die Unternehmungen orientieren können. Die Firmen richten sich auf die Zukunft der Märkte und deren Produkte aus.

Die Zweckbestimmungen von Visionen sind, Wege oder auch Szenarien aufzuzeigen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit umgesetzt werden können. Die im Jahr 2018 von Avenir Suisse formulierten Szenarien sind: Die Schweiz mit «selbstbestimmtem Rückzug», «Globale Oase» Schweiz, «Club Schweiz», die Schweiz mit «tragfähigen Partnerschaften», «Europäische Normalität» und «Skandinavischer Weg». 

Die Szenarien müssen auf einer detaillierten Analyse des Ist-Zustands aufbauen und voneinander abgrenzbar sein. Sie sollten «Neuland» beschreiben, was bei dieser Auslegeordnung nicht behauptet werden kann. Im Idealfall bauen die Szenarien auf einer Vision auf, die unterschiedliche, abgrenzbare und innovative Varianten zulässt. 

Gegen den Reformstau 

Schon 1995 ist ein Weissbuch von David de Pury publiziert worden. Der Titel «Mut zum Aufbruch» liess aufhorchen. Der Eindruck war schon damals, dass die Schweiz verkalkt ist und neuen Schwung braucht, eine Reaktion auf die Immobilienkrise. Rezepte aus der damaligen Zeit sind umgesetzt worden, beispielsweise die Schuldenbremse oder das Aufräumen bei den Giesskannen des Staates. 

Im Jahr 2018 war die Lage nicht problematisch, wenn wir die Wettbewerbskraft – aktuell Rang fünf – oder die Innovationskraft – aktuell Rang eins – betrachten. Avenir Suisse geht jedoch davon aus, dass der Status quo keine Lösung ist, weil die Schweiz zurückfällt. Tatsache ist, dass es Reformstau gibt und die Produktivität sich schlecht entwickelt, verbunden mit einer wachstumsschwachen Zeit von 1990 bis 2017. Aus dieser Perspektive entstehen die erwähnten sechs Szenarios für die Zukunft.

Szenarios und die EU

Zwei der Szenarien gehen von einem EU-Beitritt aus, obwohl in der Schweiz aktuell eine Zustimmung von rund 15 Prozent vorhanden ist. Avenir Suisse rechnet damit, dass sich die Wirtschaft besser entwickeln wird und dass die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Die heutige Situation mit den bilateralen Verträgen wird als Korsett betrachtet. Gibt es Alternativen? Alleingang, Isolation? 

Realitätsorientierter ist das Rahmenabkommen, welches auch den Finanzbereich abdeckt. Auch hier erwartet Avenir Suisse besseres Wachstum, bessere Entwicklung von Löhnen und dem Arbeitsmarkt. Realitätsnah ist das Szenario «Club Schweiz». Wenn das Rahmenabkommen nicht zustande kommt und die Zuwanderung die bilateralen Verträge löschen sollte, dann wäre der «Club Schweiz» nötig. Zuwanderung mit Kontingenten oder die starke Ausrichtung auf Freihandelsabkommen wären im Zentrum. 

Offen ist, was dieses Szenario für das Wachstum und die Beschäftigung bedeutet. Zu berücksichtigen ist, dass sich die EU verändert hat, nicht unbedingt zum Guten. Wachsendes Demokratiedefizit, Staatsschuldenkrise, Migrationspolitik, extreme Wohlstandsdifferenzen innerhalb der EU und andere sind Beispiele. Dazu kommt, dass sich die weltpolitische Lage auch stark verändert hat. 

Die Schweiz im Trilemma

Demgegenüber gibt es die Schweiz, ein «Bottom-up»-Land, statt obrigkeitlich ausgerichtet. Die Schweiz kann auch nicht als «Nationalstaat» beschrieben werden. Für die Eigenständigkeit des Landes gelten direkte Demokratie, Willensnation, Föderalismus, Freiheitlichkeit oder Souveränität. Selbstverständlich müssen diese Meriten auch kritisch hinterfragt werden. Für die Schweiz geht es um das Trilemma, welches den Nationalstaat, die Einbettung in das demokratische Europa und die Globalisierung auf den Ebenen Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Ökologie mit Inhalten aufzeigt. Globalisierung plus Nationalstaat geht auf Kosten der Demokratie, Demokratie plus Nationalstaat geht auf Kosten der Globalisierung und Globalisierung plus Demokratie geht auf Kosten des Nationalstaats. Die Schweizer Vision muss vor allem die Beziehung zwischen Demokratie und Globalisierung im Auge behalten. 

Nationalistische Entwicklungen stören die angesprochene Beziehung und lösen unüberbrückbare Konflikte aus. Gerade weil der Schutz einzelner Staaten mit extremen Handelsbeschränkungen an­gezeigt ist und Gegenmassnahmen mit Schutzzöllen zu einem Handelskrieg führen, muss sich die Schweiz in ihren Handelsbeziehungen verstärkt international auf Freihandelsabkommen ausrichten, damit die Verletzlichkeit der Wirtschaft minimiert werden kann. 

Politisch eignen sich der Neutralitätsstatus und die Kultur der guten Dienste, die Streithähne zur Besinnung zu bringen oder bestehende Konflikte weniger es­kalieren zu lassen. Die Schweiz verfügt durchaus über wirtschaftliches Machtpotenzial, welches nicht unterschätzt werden sollte. Die Frage ist allerdings, ob die Behördenvertreter und die Regierung sich getrauen, aus der Defensive herauszutreten.

Die Unternehmungen sind als offene, produktiv-soziale Systeme charakterisiert. Sie stellen sich den nationalen und internationalen Herausforderungen bezüglich Innovation und Wettbewerb. Die rund 480 000 Schweizer Familienunternehmen sind innovationsreif und stellen das Commitment der Familie mit der Unternehmung ins Zentrum. 

Die Übereinkunft ist zentral für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Die Schweiz deckt mit ihren innovativen Nischenprodukten international wertschöpfungsstarke Industrien ab.

Vermögensverwalter Nr. 1

Allerding muss festgestellt werden, dass immer mehr KMU die Investitionen in Forschung und Entwicklung nicht mehr finanzieren können. Als Nummer eins in der Verwaltung von Vermögenswerten, mit einem Marktanteil von rund 25 Prozent weltweit, ist die Schweiz ein Finanzplatz mit globaler Bedeutung und sehr guten Voraussetzungen, die Wirtschaft mit Krediten für notwendige Innovationen zu versorgen. Neue Finanzierungsformen wie «Crowdlending» für Start-ups oder «Crowdinvestment» im Immobilienbereich können dabei unterstützen, Investitionen zu tätigen, wenn die Banken sich abseits stellen. 

Visionen und KMU

Visionen auf der Unternehmensebene sind eher selten. Sie formulieren auf der Ebene der Mikroökonomie Bilder der Zukunft. Die Familienfirmen sind besonders gefordert, weil die Familie, deren Mitglieder, die Eigentümer und das Management gleichzeitig gefordert sind. Die Familienfirmen erhalten eine klarere Vorstellung zur Bewältigung der Zukunft. Die Ausrichtung auf die Produkte, die Märkte national und international stehen im Zentrum. 

Es ist festzustellen, dass immer mehr Familienunternehmen sich auch interna­tional ausrichten und dadurch auch auf der globalen Gestaltungsebene gefordert sind. Die Einbindung der Kunden und Lieferanten sowie der Hochschulen und Forschungsinstitutionen erhält eine höhere Bedeutung. 

Die Untersuchung der Universität Bern hat deutlich gemacht, dass der Einbezug externer Forschungsinstitute Entwicklungspotenzial hat. Kunden und Lieferanten sind schon gut einbezogen. Das wird bei der Innovationsrichtung auf die unternehmerischen Prozesse sichtbar; die Produkteinnovationen haben geringere Bedeutung. Weiter sind die technologischen Herausforderungen, durch die Digitalisierung und die Mitarbeiterorientierung, von grosser Bedeutung. Bei der Digitalisierung hat die Schweiz grundsätzlichen Handlungsbedarf. Der Mit­arbeitereinbezug wird häufig über das Ideenmanagement gestaltet.

Vorteile für Unternehmungen

  • Unterstützung der langfristigen Planung der Unternehmensentwicklung.
  • Verstärkung der Markt- und Kunden­orientierung.
  • Formierung der Unternehmensstrategie über alle Prozesse; Kernprozesse, unterstützende Prozesse und zentrale Funktionen.
  • Basis für die strategischen Ziele und Massnahmen, also ein klarer Weg, auf den bei Entscheidungen immer Bezug genommen werden kann.
  • Ermöglichung eines effizienten Ressourceneinsatzes, weil Prioritäten gesetzt werden und damit die Planung erleichtert wird.
  • Die Entscheidungen des Managements werden für die Mitarbeitenden glaubwürdiger und nachvollziehbarer.
  • Spiegelung der Unternehmenswerte mit der Unterstützung der Ziele für die Zukunftsgestaltung.

Mögliche Fehlentwicklungen

  • Die Vision, wo es um die langfristige Entwicklung geht, wird mit der Mission, Beschreibung des Zwecks und Auftrags, verwechselt.
  •  Die Vision wird als Motivationsinstrument eingesetzt.
  • Werte des Unternehmens sind nicht in der Vision eingebaut.
  • Die Vision ist eine Illusion, also nicht erreichbar.
  • Fehlende Kunden- und Marktorientierung.
  • Fehlen langfristiger Entwicklungen.
  • Aufzeigen falscher Ausrichtungen der Vision.
  • Zu hoher Komplexitätsgrad.
  • Fehlende Leitplanken, sodass man leicht vom Weg abkommen kann.
  • Fehlende, griffige Aussagen.

Zusammengefasst für KMU

  • Unternehmerische Visionen sind ein Bild für die langfristige Zukunft und die Weiterentwicklung der Firma.
  • Die Basis einer Vision ist ein Stärken-Schwächen-, Gefahren- und Chancenprofil.
  • Der Wandel und die Strategie der Firma erhalten durch die Vision eine klare Ausrichtung.
  • Die Ausrichtung auf die Märkte und Produkte gelingt mit der Vision besser.
  • Die Vision gibt dem Unternehmen einen Kompass in einer komplexen, vernetzten und globalisierten Welt.
  • Die Vision der Firma ist in der Wettbewerbsausrichtung und in die Innovationskompetenz eingebettet.
  • Die Vision gibt für die beteiligten Mitarbeiter, Firmeninhaber, Familienmitglieder oder Stakeholders Sicherheit.
  • Die Vision gibt für unternehmerische Entscheidungen einen klaren Orientierungsrahmen.
  • In der Vision spiegeln sich die Unternehmenswerte und das Commitment der Eigner.
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