Branchen & Märkte

Interregionalisierung

Stolperfallen bei der Expansion auf nationaler Ebene

Die politische Struktur, die verschiedenen Kulturen und die Mehrsprachigkeit der Schweiz stellen für die expansionswilligen Unternehmen oft eine besondere Herausforderung dar und verlangen nach vernetztem Denken und interdisziplinären Lösungen.
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Die recht unterschiedlichen Strukturen innerhalb der Schweiz je nach Region könnten der Grund sein, warum immer noch Unternehmen aus der deutschsprachigen Schweiz Hemmungen haben, in der französischen und/oder italienischen Schweiz operativ zu werden. Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt. Die Konsequenz ist, dass diese Märkte unbearbeitet bleiben und so Wachstumschancen verloren gehen.


Interessant als Pilotmärkte

Sind die Romandie und das Tessin sinnvolle Märkte? Diese Frage muss zuerst intern beantwortet werden. Nicht jede Dienstleistung oder jedes Produkt ist dazu geeignet, in bestimmte Regionen exportiert zu werden. Zudem ist auch abzuklären, ob die Expansionen zum Geschäftsmodell passen und mit den Kapazitäten des Unternehmens vereinbar sind. 

Circa 22,4 Prozent der Einwohner der Schweiz sprechen Französisch und 8,4 Prozent Italienisch. Dies sind verhältnismässig kleine Anteile im Vergleich zu den Einwohnern mit der Muttersprache Deutsch. Diese Märkte können aber strategisch bedeutungsvoll sein, denn sie können zum Teil als Pilotmärkte für die Länder Frankreich und Italien betrachtet werden. Unabhängig davon, wie nah oder fern der Zielmarkt für die gewünschte Expansion ist, können sprachliche, rechtliche und/oder kulturelle Stolperfallen den Markteintritt gefährden oder gar ruinieren. 


Stolperfalle Sprache

Statistisch gesehen kaufen 72 Prozent der Konsumenten lieber, wenn die Infor­mationen in eigener Sprache sind. Der Kunde will nicht nur verstehen, sondern auch angesprochen und verstanden werden. Obwohl diese Regel selbsterklärend klingt, häufen sich die Fälle von Fehlübersetzungen oder gar von Missachtungen der Sprache am Zielmarkt. Es gibt unzählige Beispiele von groben Fehlern bei Produktnamen, insbesondere im Ausland und in der Autobranche, aber auch von Slogans und Claims, die im Zielmarkt eine peinliche Zweideutigkeit haben. 

Eines der unterhaltsamsten Beispiele aus der Schweiz kommt aus dem Detailhandel. Eine «Schweizer Bratbutter» ist im Italienischen und Französischen plötzlich «Burro per arrostire svizzeri» geworden, was wiederum «Butter, um Schweizer zu braten» bedeutet.

Weniger auffällig, aber genauso umsatzgefährdend sind Übersetzungen, die per se nicht falsch sind, aber auch nicht an die sprachlichen Besonderheiten des Zielmarkts angepasst sind und daher die örtliche Terminologie nicht berücksichtigen. Dies passierte einer weltbekannten Getränkemarke, als sie einen «neuen» Eistee auf dem internationalen Markt lanciert hatte. Leider wurde nicht darauf geachtet, dass der Name in der Schweiz eine peinliche Ähnlichkeit mit einer vulgären Bezeichnung der weiblichen Geschlechtsteile hat. Er musste geändert werden, was Unkosten von mehr als einer Million Franken mit sich gebracht hat.  Es ist allerdings auch nicht auszuschliessen, dass dieser Fauxpas absichtlich war und als PR-Gag oder als Buzz-Marketing für einen sehr gesättigten Markt benutzt worden ist. 

Eine mangelhafte Lokalisierung kann nicht nur zu Missverständnissen führen. Die fehlende Qualität der mehrsprachigen Kommunikation kann zu Misstrauen gegenüber der Marke oder dem Produkt führen. Eine fehlende Lokalisierung der Übersetzungen kann unter Umständen auch rechtliche Folgen mit sich bringen. Juristische Begriffe können sich von Land zu Land auch in der gleichen Sprache sehr unterscheiden und sollten daher sorgfältig überprüft beziehungsweise angepasst werden. 

Daher ist es immer wichtig, dass die Texte nicht nur übersetzt, sondern auch im lokalen Zielmarkt lokalisiert werden. Nur auf diese Weise kann die gewünschte Qualität gewährleistet sein, Missverständnisse vermieden und das Zielpublikum richtig angesprochen werden. 

Stolperfalle Recht

Das Binnenmarktrecht ist überwiegend in dem Binnenmarktgesetz (BGBM) verankert, welches besagt, dass Personen mit Niederlassung oder Sitz in der Schweiz für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz freien und gleichberechtigten Zugang zum Markt haben (Art. 1 BGBM). Die föderalistische Natur unseres Rechtssystems ermöglicht allerdings den Kantonen eine gewisse Rechtsfreiheit. Gemäss Artikel 3 der Bundesverfassung können sie alle Rechte ausüben, die nicht dem Bund übertragen sind. Konkret bedeutet es, dass was in einem Kanton gilt, muss nicht unbedingt auch in anderen Kantonen gelten. 

Diese Situation kann für Unternehmen, die in andere Regionen expandieren möchten, zu zusätzlichen Hindernissen führen. Der bekannteste Fall ist die so­genannte LIA aus dem Tessin. Die LIA (Legge sulle imprese artigianali – Gesetz über die Gewerbebetriebe) sah vor, dass Handwerker, welche im Tessin Aufträge ausführen möchten, sich in ein Register eintragen müssen. Es wurden sogar Sanktionen ausgesprochen. Eine Beschwerde der Wettbewerbskommission (Weko) hat inzwischen dazu geführt, dass dieses Gesetz nach einem Entscheid des Tessiner Verwaltungsgerichts aufgehoben wurde, weil es gegen das Binnenmarktrecht verstossen hat. Auch ein grosser Detaillist ist bereits über das Tessiner Rechtssystem gestolpert. Im Frühsommer 2017 kam die erste CBD-Zigarette auf den Markt, welche schnell landesweit zu kaufen war. Der betroffene Detaillist hatte ebenfalls in sämtlichen Kantonen die begehrten Zigaretten ins Angebot genommen, auch im Tessin. Leider hatte er sich aus Fahrlässigkeit nicht mit den lokal geltenden Rechtsbestimmungen auseinandergesetzt, was dazu geführt hat, dass die CBD-Zigaretten beschlagnahmt wurden und vorläufig unmittelbar aus dem Tessiner Markt genommen werden mussten, bis die Rechtslage abgeklärt war. Das jüngste Beispiel einer rechtlichen Stolperfalle kommt aus Genf. Ein weltweit tätiger Fahrdienstvermittler prüft die Lancierung eines neuen Lieferservices. Das Projekt scheint aber zu scheitern: denn in Genf gilt für die Lieferung von Waren ein Gesamtarbeitsvertrag. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass nicht nur die kantonale Gesetzgebung ein Hindernis darstellen kann, sondern auch Vertragswerke wie Gesamtarbeitsverträge. 

Diese Fälle zeigen eindeutig, dass eine Prüfung der kantonalen Rahmenbedingung im rechtlichen Sinn wie auch örtlich geltende Vertragswerke und Reglemente bei einer Interregionalisierung sinnvoll sind. 


Stolperfalle Kultur

Einer der Reichtümer der Schweiz ist ihre Vielfalt an Kulturen. Jede Region ist anders ausgeprägt und so auch kulturell unterschiedlich. Wir haben Gemeinsam­keiten, aber auch deutliche regionale Differenzen. Entscheidend für eine erfolgreiche Vermarktung ist nicht nur, die Sprache des Zielpublikums zu be­herrschen und das Rechtssystem zu kennen, sondern auch die Anpassung an die örtlichen sozialen, politischen und kul­turellen Gegebenheiten.  Im Jahr 2017 hat ein Schweizer Telekom­anbieter ein neues Abonnement lanciert. Als Testimonial für die nationale Werbekampagne wurde eine bekannte und skurrile Persönlichkeit aus dem Fernsehen engagiert. Leider wurde aber nicht berücksichtigt, dass diese Person im Tessin und in der Romandie komplett unbekannt war. So hat die Werbekampagne in den zwei Märkten das Ziel verfehlt. 

Ein ähnlicher Fauxpas ist ebenfalls einer Fast-Food-Kette passiert. Sie haben für einen neuen Burger einen Fernsehkoch engagiert. Er sollte durch seinen Namen die Hochwertigkeit des neuen Gerichtes unterstreichen. Leider ist auch in diesem Falle Ähnliches passiert: Weder die potenziellen Kunden im Tessin noch in der Romandie kennen den Koch und daher war die Assoziation mit dem Gourmet-Burger unerkannt geblieben. Die fehlende Beachtung der kulturellen Be­sonderheiten hat vor circa 40 Jahren bereits ein schwe­disches Möbelhaus zu spüren bekommen. Der Plan war, den japanischen Markt während des Wirtschaftswachstums der Siebzigerjahre zu erobern und mehrere Filialen zu eröffnen. Leider wurde daraus vorläufig nichts, denn das Möbelhaus musste sich aus dem japanischen Markt bald wieder zurückziehen. Der Grund klingt heute logisch: Die Wohngewohnheiten in Japan sind anders als in Europa. Schon damals hat fast keine Wohnung über eine ausreichende Raumhöhe für einen Kleiderschrank oder die Fläche für ein Bett mit weitem Gestell verfügt. Die Erkenntnisse aus dieser Erfahrung wurden aber sinnvoll genutzt: Das Möbelhaus hat gelernt, die Wünsche und Bedürfnisse der lokalen Kunden gezielt anzusprechen und sein Angebot entsprechend anzupassen. Seit 2006 ist es wieder erfolgreich in Japan vertreten sowie in 40 anderen Ländern. 

Wie die erwähnten Beispiele gezeigt haben, kann eine interregionale Expansion nur funktionieren, wenn sämtliche Faktoren berücksichtigt werden und miteinander abgestimmt sind. Die Interregio­nalisierung ist eine Chance für viele Unternehmen, neue Märkte zu gewinnen und zu wachsen. Wenn dies aber nicht sorgfältig angegangen wird und ein Gesamtbild fehlt, kann passieren, dass die Interregionalisierung zum Reinfall wird. Dies kann bedeuten, nicht nur kurzfristig Geld zu verlieren, sondern auch langfristig dem Image des Unternehmens zu schaden, vielleicht sogar dauerhaft.

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