Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstanden unsere modernen Städte. Damit einher ging eine Entwicklung von urbanen Produktionsstätten. Grosse ehemalige Industriegebiete und angrenzende Arbeitersiedlungen zeugen von dieser Entwicklung, so zum Beispiel die Binz in Zürich, das Sulzer-Areal in Winterthur oder das Klybeck-Areal in Basel. Mit dem Aufkommen der Dienstleistungsgesellschaft wurde die urbane Produktion zusehends in die Peripherie verdrängt. Dies geschah primär, um die städtischen Wohngebiete vor Immissionen zu schützen und weil die Nutzung der Flächen für Wohnen und Dienstleistungen deutlich mehr Profit versprach.
Lokale Ökonomien im Trend
Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts ermöglichen gesellschaftliche und technologische Veränderungen den Umschwung. Unterstützt wird die Rückkehr der urbanen Produktion durch drei Faktoren: erstens durch die Digitalisierung mit neuen Fertigungsmethoden und Prozessen; zweitens aufgrund der steigenden Nachfrage nach hochwertigen und nachhaltigen Produkten; und drittens, weil in den Städten spezialisierte Arbeitskräfte sowie Netzwerke meist kleiner Firmen vorhanden sind. In den letzten Jahren wurde diese Entwicklung beschleunigt. Die Pandemie und der Ukraine-Krieg brachten Lieferketten-Probleme mit sich und gleichzeitig eine Rückbesinnung auf regionale und nachhaltige Produkte. Der Trend geht klar in Richtung lokale Ökonomien.
Es erstaunt nicht, ist die moderne urbane Produktion auch bei unserem nördlichen Nachbarn ein Thema. In Stuttgart beispielsweise befasst sich die Stadt vor dem Hintergrund ihrer starken industriellen Prägung intensiv mit neuen Produktionsweisen und -bedingungen sowie den räumlichen Konsequenzen. In Berlin wiederum untersucht und fördert eine breit abgestützte Technologiestiftung die urbane Produktion. Und auch die Stadt selbst setzt sich bei der Weiterentwicklung ihres Stadtentwicklungsplans «Industrie und Gewerbe» intensiv mit dem Thema auseinander.
Auch in der neuen Welt ist die urbane Produktion als «urban manufacturing» auf dem Vormarsch. Eindrücklich zeigt dies New York City, wo die Stadt das produzierende Gewerbe und die Industrie seit 2005 unterstützt. In diesem Rahmen entwickelt die Stadt unter anderem den von der Marine erworbenen Brooklyn Navy Yard zu einem 120 Hektaren grossen Hotspot der urbanen Produktion. Ein weiteres Beispiel ist San Francisco. Dort hat es eine von der Stadt unterstützte private Initiative seit 2010 geschafft, mit «SF Made» eine Marke für die vielfältige urbane Produktion in der Pazifikmetropole zu etablieren.
Vielfältige Vorteile
Die urbane Produktion bietet die Chance, Herstellung und Vertrieb regional eingebettet und flexibel zu gestalten und somit die lokale Wirtschaft nachhaltig zu stärken. Neben diesen positiven Einflüssen auf gesellschaftliche Prozesse bietet diese Produktionsform auch vielfältige Vorteile für die beteiligten Unternehmen und Städte. So steigert die urbane Lebensqualität die Nachfrage nach wohnortnahen und attraktiven Arbeitsplätzen, was Unternehmen deutliche Standortvorteile im Kampf um hochqualifizierte Talente bringt.
Dazu kommen Clustereffekte wie beispielsweise niederschwellige Kooperationsmöglichkeiten und Wissens-Spillover, also ein einfacher informeller Austausch von Ideen. Weitere Vorteile: kurze Lieferzeiten und die Nähe zur potenziellen Kundschaft. Darüber hinaus sind auch Energie-Kooperationen – wie zum Beispiel die Nutzung der Abwärme aus Produktionsprozessen für die Beheizung umliegender Gebäude – ein gewichtiges Argument für die Produktion in den Städten.
Auch für die Städte, und im weiteren Sinn Gemeinden, ergeben sich durch die Förderung der urbanen Produktion vielfältige positive Effekte. So werden mindergenutzte Flächen aufgewertet und funktional, sozial und baulich durchmischt, was zur Schaffung attraktiverer Quartiere führt. Die lokale Produktion fördert auch neue Mobilitätskonzepte, denn bei einer guten Umsetzung kommt es zu einer Reduktion des Pendleraufkommens und Unternehmen benötigen weniger Parkplätze, wodurch Flächen wie zum Beispiel Tiefgaragen in der Stadt für andere Nutzungen frei werden. Das steht im Zeichen der Umsetzung des Leitbilds der Stadt der kurzen Wege, was nachweislich zu einer Harmonisierung von Arbeiten, Wohnen, Leben, Gesundheit und Freizeit führt. Die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Stadt wiederum hat eine steigernde Kaufkraft und zusätzliche Unternehmenssteuereinnahmen zur Folge.
Hürden auf dem Weg zurück
Für die Städte sind besagte Steuereinnahmen ein wichtiges Argument für die Förderung der urbanen Produktion, für Unternehmen mit tiefen Margen wiederum stellen diese eine teils hohe Hürde für die Rückkehr in die Stadt dar. In der Peripherie kommen viele KMU und lokale Produktionsstätten selbstredend in den Genuss von attraktiven Steuervorteilen. Kommt dazu, dass die dort angesiedelten Gewerbezonen in vielen Fällen von einem direkten Anschluss an die regionalen und nationalen Transportwege, insbesondere das Strassennetz, profitieren. In diesem Zusammenhang sind die Städte gefordert, ihre Mobilitätskonzepte zu erneuern und rasch umzusetzen, so dass die Wege für das Gewerbe im urbanen Raum kürzer werden. Auch was die Standortförderung in Form einer zeitgemässen und progressiven Besteuerung von KMU betrifft, bedarf es neuer Ideen und Initiativen der lokalen Behörden und Politik.
Made in Zürich
In Zürich wurden bereits vor einiger Zeit Flächen für die urbane Produktion planerisch gesichert und ein entsprechender Strategie-Schwerpunkt gesetzt. Das hat zur Folge, dass moderne urbane Produktionszentren sowohl durch städtische wie auch private Initiativen gefördert werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gewerbehaus «Noerd», das von Senn 2011 in Zürich Nord entwickelt wurde. Unter dem Dach haben sich 25 Mieter aus der Produktion zusammengefunden. Ankermieter sind die Firmen Freitag, der bekannte Hersteller für Taschen und Accessoires aus gebrauchten Materialien, und die Raum-Design-Agentur Aroma.
Ein weiteres, aktuelles Beispiel für eine öffentlich wie auch privat abgestützte Plattform für das produzierende Gewerbe ist die «Made in Zürich Initiative». Ziel des Vereins, der von Exponenten von «Freitag», von Senn und der Stadt Zürich ins Leben gerufen wurde, ist die Förderung der Entwicklung und Ansiedlung von «urbanen Produktivistinnen» jeglicher Grösse und Couleur in der Stadt Zürich. Mit der offiziellen Herkunftsbezeichnung «Made in Zürich» und vielfältigen Aktivitäten wie zum Beispiel dem Tag der urbanen Produktion oder Factory Tours sollen eine bessere Sichtbarkeit und ein höherer Stellenwert des produzierenden Gewerbes erreicht werden.
Auch das Gewerbehaus «Mach» von Senn, das ab 2023 auf dem Koch-Areal in Zürich Albisrieden entstehen wird, zielt in diese Richtung. Mit rund 15 000 Quadratmetern Fläche bietet es dem produzierenden Gewerbe einen vielfältig nutzbaren und flexiblen Standort. Dank überhohen Räumen, hohen Nutzlasten und viel Gestaltungsspielraum lässt sich das «Mach» auf unterschiedlichste Bedürfnisse ausrichten. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Unternehmen analog oder digital produziert, die doppelte Raumhöhe oder eine Galerie benötigt. Um eine ganzheitliche Steigerung der urbanen Lebensqualität zu ermöglichen, beinhaltet das Gewerbehaus auch quartier- und publikumsnahe Angebote. Mit diesen vielfältigen Eigenschaften steht das «Mach» exemplarisch für die urbane Produktion der Zukunft.
Think globally, produce locally
Damit sich die urbane Produktion in absehbarer Frist in einem grösseren Umfang etablieren kann, bedarf es weiterer privater und öffentlicher Initiativen wie die genannten Beispiele. Der Trend in der Schweiz und anderswo geht eindeutig in Richtung flexibler und nachhaltiger Lieferketten sowie lokaler Ökonomien. Um diesen Prozess zu beschleunigen – was angesichts der aktuellen globalen «Polykrise» mehr als angezeigt ist – braucht es die Unterstützung auf möglichst vielen Ebenen. Das betrifft die Stadtbehörden sowie die lokale und nationale Politik. Aber auch die Wirtschaft mit ihren verschiedenen Plattformen und Verbänden muss möglichst am selben Strick ziehen. Denn eines ist am Ende des Tages klar: Wir alle – also die Bevölkerung, die Unternehmen und auch die Städte – profitieren von der Rückkehr der urbanen Produktion und sind auf deren rasche Verbreitung angewiesen, damit unsere Städte von morgen attraktiv und vielfältig bleiben.