Branchen & Märkte

Temporärunternehmen

Rahmenbedingungen möglichst attraktiv halten

Zur Bewältigung von Auslastungsspitzen greifen Schweizer Unternehmen auch auf temporäre Arbeitskräfte zurück. Personalvermittler machen dies möglich. Die Branche mit rund 800 Temporärunternehmen durchläuft derzeit einen tief greifenden Strukturwandel. Massvolle regulatorische Rahmenbedingungen wie auch Innovationen sind gefragt.
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Im Wort temporär steckt nicht umsonst das Wort Tempo. Freitags kurz vor 11 Uhr geht beim Personalvermittler der Anruf ein. Ein marktführendes Logistikunternehmen benötigt umgehend Verstärkung: So schnell wie möglich braucht es vorübergehend 50 bis 70 zusätzliche Personen für die Paketzustellung. Arbeits­beginn? Am Montag früh um sieben Uhr, und zwar voll einsatzfähig, sprich geschult und eingekleidet. Ob Produktion eines Bauzulieferers oder Wagenreinigung eines Transportunternehmens, manchmal müssen Kapazitäten buchstäblich über Nacht hochgefahren werden. Dafür or­ganisieren Personalvermittler nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch alle administrativen Belange (unter anderem Sozialversicherungen, Payrolling usw.), und sie tragen das Unfall- oder Krankheitsrisiko der zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte. 

Handy first

Um in solchen Situationen zuverlässig die benötigten «Heinzelmännchen» aus dem Hut zaubern zu können, müssen professionelle Personalvermittler ihr Metier in jeder Hinsicht im Griff haben und dazu die modernste Technologie beziehungsweise die modernsten Kom­munikationskanäle nutzen. Das heisst: Die lückenlose Digitalisierung der Prozesse schränkt die Möglichkeiten zum zwischenmenschlichen Kontakt nicht ein, sondern fördert und vereinfacht
sie. Denn auf der einen Seite steht der Per­sonalvermittler für das Finetuning des Auftrags in intensivem Austausch mit seinem Kunden. Und auf der anderen tritt er an Interessenten für den temporären Einsatz heran, die im Handumdrehen zu rekrutieren sind. 

Das Motto lautet «Handy first». Das Handy ist zur wohl wichtigsten medialen Informationsquelle von Digital Natives und Digital Immigrants avanciert, selbstverständlich weit über die Stellensuche hinaus. Noch vor dem morgendlichen Kaffee halten sich Boomer, Generationen X und Y auf dem Laufenden. Sei es über Onlinemedien oder Social Media. Zwar sind zur zusätzlichen Visibilität entsprechender Jobangebote nach wie vor auch Plakate sowie Inserate in Printmedien sinnvoll, doch spielt die Musik zunehmend auf elektronischen Kanälen. Wer sich von einem temporären Challenge angesprochen fühlt, übermittelt sein CV heute direkt via Handy. Genauso hat sie oder er die Möglichkeit, den Personal­vermittler sofort telefonisch zu erreichen, um sich weitere Informationen zu beschaffen. Entscheidend ist somit der Kandidatenpool, den es permanent zu alimentieren und zu pflegen gilt. Auf dieser Basis sendet der Personalvermittler dort registrierten Mitgliedern unter anderem gezielt SMS mit passenden Einsatzmöglichkeiten, wie dem einleitend erwähnten Job als Paketzusteller.

Beschleunigte Konsolidierung

Schweizweit sind derzeit etwa 800 Temporärunternehmen aktiv. Gut 400 Per­sonalvermittler gehören dem Verband Swissstaffing an. Die Corona-Pandemie hinterlässt selbstverständlich auch in dieser Branche tiefe Spuren, wobei das Bild je nach Ausrichtung des Anbieters variiert. Wer temporäre Arbeitskräfte primär für Hotellerie, Gastronomie und Events zur Verfügung stellt, ist vom gegenwärtigen Regime des Bundesrates im Kerngeschäft existenziell betroffen, während bei Personalvermittlern, die in erster Linie für den Detailhandel, die Bau-, Gesundheits- oder Pharmaindus­trie tätig sind, weitgehend Courant normal herrscht. Covid-19 beschleunigt eine Konsolidierung, die in diesem stark fragmentierenden Markt bereits zuvor in vollem Gange war.

Wie schon vermerkt, stehen fortwährend Investitionen in die weitere Digitalisierung an. Diese können gut und gern zwei bis fünf Prozent des Jahresumsatzes ausmachen; angesichts von Durchschnittsmargen zwischen fünf und zwölf Prozent kein Pappenstiel. Kleinstunternehmen können diesen Aufwand nur schwer schultern. Hinzu kommt, dass die strikte Durchsetzung der im brancheneigenen GAV verankerten Prinzipien unter an­derem durch die paritätische Kommission wirkt. Wer es mit verbindlichen übergreifenden Abmachungen zu So­zialabgaben, Löhnen oder Arbeitszeiten, Überzeiten und Arbeitsbewilligungen nicht so genau nimmt, verschwindet vom Markt. Durch die Flurbereinigung dürfte die Gesamtzahl aller Personaldienstleister innerhalb der kommenden drei bis fünf Jahre um bis zu fünf bis zehn Prozent zurückgehen.

Vorzüge doppelter Swissness

Mit einem Gegenwert von 9,4 Milliarden Franken laufen immerhin 1,35 Prozent der landesweiten Wirtschaftsleistung über Personalvermittler. Die Angebotsvielfalt kommt dabei den Kunden zugute; den Löwenanteil machen KMU aus, die sich aufgrund ihrer Geschäfts­tätigkeit und ihrer regionalen Verankerung ihre bevorzugten oder exklusiven Partner aussuchen können. Nationale und internationale XXL-Unternehmen von ABB, Nestlé und Novartis über Migros oder Coop bis zu Post und SBB greifen indessen meist auf die Dienste der «Big Players» zurück. 

Unter den fünf umsatzstärksten Perso­nalvermittlern findet sich mit der Inte­riman Group als Nummer drei (Global Personal Partner ist Teil der Interiman Group) ein einziger Anbieter, der mit Blick auf Eigentümer und operative Führung eine reine Schweizer DNA besitzt. Bei den kleineren Anbietern ist diese doppelte Swissness naheliegenderweise weit verbreitet. Sie bietet auf jeden Fall Vorzüge. Zu nennen sind unter anderem der un­mittelbare Zugang zu den strategischen Entscheidungsträgern sowie deren Vertrautheit beziehungsweise Verbundenheit mit der hiesigen Gesellschaft. Das umfasst eben weit mehr als abstrakte Kenntnisse zur Funktionsweise beziehungsweise Regulierung des Arbeitsmarktes.

Rahmenbedingungen 

Der Schweizer Wirtschaft steht nach Corona ein Rennen à la Paris-Dakar bevor. Viele Unternehmen werden beschwerliches, holperiges, mitunter unwegsames Gelände zu überwinden haben. Ohne gefüllten Tank kommt man da auch mit einem robusten, gut gewarteten, mit der letzten Technik ausgerüsteten Fahrzeug nicht über die Distanz. So schafft das gegenwärtige Massnahmenpaket des Bundesrates die Voraussetzungen, um einstweilen gekonnt «am Berg anzufahren» und wieder Tempo zu gewinnen. Damit ist es jedoch nicht getan. Nur eine offene Schweiz ist ein Garant für bleibenden Wohlstand. Es braucht weiterhin offene Türen für jene Fach- und Arbeitskräfte, die ins Land kommen möchten, um einen Beitrag zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gedeihen zu leisten. Angesichts der demografischen Entwicklung mit der wuchtigen Pensionierungswelle der Babyboomer wird die Schweizer Wirtschaft zur Aufrechterhaltung der Kapazität auf externe Verstärkung angewiesen sein.

Ein Wort noch zu regulatorischen Dauerbrennern wie den Lohnnebenkosten. Angesichts der aktuellen Lage lautet das Gebot der Stunde noch klarer: Ihr Umfang muss unbedingt finanzierbar sein. Dieses Postulat richtet sich zum einen an die Adresse der Gewerkschaften. Krankentaggeld schon ab dem ersten Tag, ausgebauter Vaterschaftsurlaub oder Begehrlichkeiten, wonach Ungelernte den gleichen Lohn wie Gelernte erhalten sollen – derlei ist konsequent der Riegel zu schieben, ebenso der Gleichstellung beim Kündigungsschutz analog zu Festangestellten und der Überzeitbezahlung.

Doch abgesehen von den Gewerkschaften steht auch eine Versicherung wie die Suva in der Pflicht. Die Rückstellungen sind bei ihr so hoch, dass sie während sieben Jahren auf jegliche Prämieneinnahmen verzichten könnte. Diese gewaltigen Reserven konnten auch deshalb aufgebaut werden, weil Arbeitsschutz und Unfallprävention über die vergangenen mehr als zwei Jahrzehnte im Primär- und Sekundärsektor substanzielle Fortschritte gemacht haben, sodass das Unfallrisiko vielerorts praktisch das gleiche Niveau wie im Dienstleistungssektor erreicht hat. Der Ruf nach substanziell günstigeren Prämien ist somit berechtigt und darf nicht weiter ungehört verhallen. Dafür setzen sich mittlerweile parteiübergreifend auch diverse National- und Ständerräte ein. Es geht dabei um viel. Ob Arbeitskräfte über Personaldienstleister ver­mittelt werden oder direkt von Industrieunternehmen angestellt werden; der vertraglich fixierte Arbeitgeber berappt derzeit Suva-Prämien in ähnlicher (3,8 % vs. 5,5 %) Grös­senordnung wie die AHV-Beiträge.

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