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Internationalisierung

KMU investieren zunehmend in Mittel- und Osteuropa

In den letzten Jahren haben Schweizer Unternehmen ihre Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa deutlich ausgebaut. Im Vergleich zu Unternehmen aus Deutschland und Österreich sind Schweizer Unternehmen aber zurückhaltender, was Investitionen in der Region betrifft. Trotz attraktiver Standortbedingungen.
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In der Öffentlichkeit werden Direktinvestitionen im Ausland hauptsächlich mit Grossunternehmen in Verbindung gebracht. Doch auch kleine und mittlere Unternehmen sind von den sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unmittelbar betroffen. Um zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen ihre Wertschöpfungsaktivitäten an den Standorten erbringen, die hierfür die besten Bedingungen bieten.

Die statistischen Daten belegen, dass bereits zahlreiche Schweizer Unternehmen durch Direktinvestitionen den Weg ins Ausland beschritten haben. Zum Jahresende 2012 betrug der schweizerische Direktinvestitionsbestand im Ausland 1070,5 Milliarden Franken und lag damit deutlich höher als das Bruttoinlandprodukt von 591,9 Milliarden Franken. Insgesamt beschäftigten Schweizer Unternehmen im Ausland über 2,9 Millionen Menschen. In der Schweiz waren gleichzeitig 4,1 Millionen Menschen beschäftigt. Zwischen 1993 und 2012 hat sich der weltweite Kapitalbestand knapp verachtfacht, während sich die Anzahl der im Ausland tätigen Mitarbeitenden mehr als verdoppelte.

Seit der Öffnung des «Eisernen Vorhangs» vor 25 Jahren engagieren sich Schweizer Unternehmen zunehmend in Mittel- und Osteuropa. Die Staaten der Region lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: die Länder, die Mitglieder der EU sind, und diejenigen, die der europäischen Staatengemeinschaft nicht angehören.

Zum Jahresende 2012 betrug der Kapitalbestand von Schweizer Unternehmen in den Ländern Mittel- und Osteuropas 47,9 Milliarden Franken, und bei den Schweizer Tochterunternehmen in der Region arbeiteten 292 820 Menschen. Damit entfielen 4,5 Prozent des weltweiten Schweizer Direktinvestitionsbestandes auf die Region, und 10,1 Prozent der weltweit bei Schweizer Unternehmen im Ausland beschäftigten Mitarbeitenden waren dort tätig. Pro investierter Million Franken arbeiteten in Mittel- und Osteuropa 6,1 Personen. Weltweit lag dieser Wert bei 2,7 Mitarbeitenden pro Million Franken. Dies macht deutlich, dass Schweizer Unternehmen überwiegend arbeitsintensive Investitionen in den mittel- und osteuropäischen Ländern tätigen. Eine Analyse der Verteilung der Direktinvestitionen innerhalb der Region untermauert diesen Befund. Diese ergibt, dass Schweizer Unternehmen 31,5 Milliarden Franken in den mittel- und osteuropäischen Staaten der EU-27 investiert haben. Damit liegt der Anteil der EU-27-Länder am in der Region investierten Schweizer Kapital bei zwei Dritteln. Bei den Beschäftigten zeigt sich eine leicht abweichende Verteilung: 173 154 Beschäftigte arbeiten bei einem Schweizer Tochterunternehmen in einem Land der EU-27, in denen die Löhne tendenziell höher sind als in den Nicht-EU-Ländern. Dies entspricht 59 Prozent der in der Region tätigen Mitarbeitenden.

Russische Föderation im Fokus Mit deutlichem Abstand bedeutendstes mittel- und osteuropäisches Zielland Schweizer Direktinvestitionen ausserhalb der EU-27 ist die Russische Föderation. Ende 2012 lag der Bestand der dort getätigten Direktinvestitionen bei 12,5 Milliarden Franken. Dies entspricht 26,2 Prozent der in der Gesamtregion Mittel- und Osteuropa getätigten Investitionen oder 1,2 Prozent des weltweiten Kapitalbestands. Zu diesem Zeitpunkt waren 72 924 Mitarbeitende bei Schweizer Unternehmen in Russland beschäftigt.

Wie die Abbildungen 1 und 2 zeigen, haben sich die Schweizer Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa in den zurückliegenden Jahren sehr dynamisch entwickelt. So wuchs der Kapitalbestand der Schweizer Unternehmen in der Region zwischen 1993 und 2012 um rund das 69-Fache, während sich gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten mehr als verachtfachte. In beiden Fällen überdurchschnittlich dynamisch entwickelten sich die Werte in den Ländern, die nicht der EU-27 angehören. In dieser Gruppe stiegen der schweizerische Kapitalbestand gut um das 130-Fache und der Personalbestand knapp um das 21-Fache.

Die Analyse mit Zeitverlauf zeigt, dass Schweizer Unternehmen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 / 2009 ihr Engagement in der Region nochmals deutlich ausgebaut haben. Zwischen 2008 und 2012 hat sich der Schweizer Direktinvestitionsbestand in Mittel- und Osteuropa nahezu verdoppelt. Dagegen ist die Anzahl der Mitarbeitenden nur moderat um knapp zehn Prozent gestiegen. Leicht überdurchschnittlich war auch in diesem Zeitraum weiterhin die Entwicklung in den Ländern, die nicht der EU-27 angehören. Besonders dynamisch haben sich die Investitionen in der Russischen Föderation entwickelt. Diese stiegen um 134 Prozent.

Niedrige Arbeitskosten

Diese Zahlen belegen, dass die anhaltende Überbewertung des Schweizer Franken zahlreiche Schweizer Unternehmen dazu bewogen hat, Geschäftsaktivitäten nach Mittel- und Osteuropa zu verlagern. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, denken auch immer mehr Schweizer KMU darüber nach, ihre Wertschöpfungsaktivitäten an Standorte zu verlagern, die hierfür attraktive Bedingungen bieten. Dies scheint in den Ländern des ehemaligen Ostblocks gegeben. Die Arbeitskosten sind traditionell vergleichsweise niedrig. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, betrugen diese 2012 in der Industrie in Bulgarien lediglich 6,2 Prozent und in Rumänien 8,1 Prozent des Schweizer Durchschnitts. Hinzu kommt, dass infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise der Preis- und Lohnanstieg, der in den Jahren zuvor zu beobachten war, deutlich gebremst wurde. Gemeinsam mit der Aufwertung des Schweizer Franken trug diese Entwicklung zu einem zum Teil erheblichen Rückgang der Arbeitskosten in diesen Ländern im Vergleich zur Schweiz bei. Lagen die durchschnittlichen industriellen Arbeitskosten in Slowenien 2008 noch bei 35,7 Prozent des Schweizer Durchschnitts, sank dieser Wert bis 2012 auf 30,3 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Polen. Dort gingen die relativen Arbeitskosten von 19,8 Prozent auf 14,3 Prozent des Schweizer Durchschnittsniveaus zurück. Weitere Faktoren, die Schweizer Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa begünstigen, sind die geografische Nähe der Region zur Schweiz und der Pool an gut ausgebildeten Mitarbeitenden.

Eine Direktinvestition im Ausland ist für KMU jedoch auch mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Aufgrund unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher und kultureller Gegebenheiten müssen sich die Unternehmen in einem Umfeld zurechtfinden, das sie aus ihrem angestammten Schweizer Kontext nicht gewohnt sind. Diese Unterschiede sind auch ein Grund dafür, dass sich Schweizer Unternehmen noch immer vergleichsweise zurückhaltend in Mittel- und Osteuropa engagieren.

Auch wenn sich die Schweizer Direktinvestitionen in den zurückliegenden Jahren sehr dynamisch entwickelt haben, zeigt der Vergleich mit Deutschland und Österreich, dass die Region für Schweizer Unternehmen weiterhin eine eher untergeordnete Rolle spielt. Gemäss der Zahlen der Deutschen Bundesbank beträgt der Kapitalbestand von deutschen Unternehmen in Mittel- und Osteuropa 121,6 Milliarden Euro (10,1 Prozent) und bei den deutschen Tochterunternehmen in der Region arbeiten mehr als 1,5 Millionen Menschen (23,4 Prozent).

Noch stärker ausgeprägt ist die Fokussierung der österreichischen Investitionsaktivitäten auf Mittel- und Osteuropa. Laut Angaben der Österreichischen Nationalbank haben österreichische Unternehmen 67,3 Millionen Euro in den mittel- und osteuropäischen Ländern investiert und beschäftigen 511 741 Mitarbeitende. Dies entspricht 42,5 Prozent des weltweiten Kapitalbestands und rund zwei Drittel der weltweiten Mitarbeitenden österreichischer Unternehmen im Ausland.

Aufgrund der aktuellen Krise in der Ukraine rücken die Länder des ehemaligen Ostblocks wieder verstärkt ins geo- und wirtschaftspolitische Blickfeld. Aufgrund ihrer zum Teil engen wirtschaftlichen Verflechtung mit Russland sind die Länder besonders von den ökonomischen Auswirkungen der westlichen Sanktionen und russischen Gegensanktionen betroffen. Die angespannte Lage im Osten Europas führt bei Investoren zu Verun­sicherung und lässt sie Investitionsentscheidungen überdenken. Seit Monaten verzeichnet Russland hohe Kapitalabflüsse. Auch wenn die Schweiz die in­ternationale Sanktionspolitik nicht automatisch nachvollzieht, sind Schweizer Investoren aufgrund der angespannten politischen und wirtschaftlichen Lage im Osten Europas zunehmend verunsichert. Sollte die derzeitige Situation noch länger andauern oder sich verschärfen, ist zu erwarten, dass sich die Investitionsaktivitäten der Schweizer Unternehmen in der gesamten Region abschwächen.

Der vorliegende Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors, welcher in der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» Nr. 10 / 2014 erschienen ist.

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