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Gesundheitswesen

Faktoren für eine erfolgreiche Spital-Reorganisation

Es ist eng in der Schweizer Spitallandschaft. Die Schweiz verfügt im OECD-Vergleich über eine sehr hohe Spitaldichte. Gleichzeitig sind die meisten Kliniken eher klein. Während in unseren Spitälern im Durchschnitt gut 100 Betten stehen, sind es beispielsweise in den Niederlanden über 400 Betten pro Institution.
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Die seit Anfang 2012 geltende Leistungsabrechnung nach Fallgruppenpauschalen (sogenannte Diagnosis Related Groups – DRG), die freie Spitalwahl für Patienten sowie das Bewerben um die Plätze auf den kantonalen Spitallisten stellen veritable Herausforderungen für viele Spitäler dar. Diese müssen qualitativ sehr gute Leistungen erbringen und gleich­zeitig die Effi­zienz steigern.

Für kleine Spitäler ohne klare Positionierung be­ziehungsweise Spezialisierung ist dies besonders anspruchsvoll, denn es gibt eine klare Korrelation zwischen Fallzahlen und Behandlungsqualität.

Rezept zum Scheitern

Zudem können die kleinen Institutionen – dazu gehören im internationalen Vergleich die meisten Spitäler in der Schweiz – auch weniger von positiven Skaleneffekten profitieren, als dies bei grösseren Häusern der Fall ist. Viele Kliniken sehen sich gezwungen, sich stärker zu spezialisieren, mit anderen Institutionen enger zu kooperieren, zu fusionieren oder sich zu reorganisieren. Doch viele dieser Reorganisationen scheitern.

Spitaldirektoren, die einen effektiven Beitrag zur Reduktion der zu hohen Spitaldichte leisten wollen, sei mit folgenden, in Spitälern nicht selten beobachteten sieben Massnahmen geholfen:

  1. Der Klassiker: Fördern Sie die Missgunst zwischen den Berufsgruppen, insbesondere zwischen Ärzten und Pflegenden.
  2. Legen Sie sich mit Ihren Kaderärzten an. Wenn diese unzufrieden sind und in Scharen das Spital verlassen, sind Ihnen negative Medienberichte und sinkende Fallzahlen gewiss. Sorgen Sie zudem für schlechte Arbeitsbedingungen (für alle Berufsgruppen) und vernachlässigen Sie die Weiterbildung, damit Sie auf dem angespannten Arbeitsmarkt für medizinisches Personal so richtig ins Hintertreffen geraten.
  3. Ignorieren Sie die Wünsche und Bedürfnisse der zuweisenden Ärzte, Angehörigen und Patienten und kommunizieren Sie mit diesen nur wenig.
  4. Bürden Sie dem medizinischen Personal viele administrative und bürokratische Aufgaben auf und reduzieren Sie damit die Zeit, die für die Betreuung der Patienten tatsächlich zur Verfügung steht.
  5. Führen Sie eine komplexe Matrixorganisation ein, in der beispielsweise die Verantwortlichkeiten zwischen Standort- und Fachbereichsleitern möglichst schwammig abgegrenzt sind.
  6. Vermeiden Sie die effektive Nutzung der (teuren) IT-Systeme oder verzichten Sie ganz darauf.
  7. Sie können es sowieso nicht allen recht machen. Definieren Sie deshalb Reformprojekte im kleinen Kreis und lassen Sie sich bei deren Umsetzung auch von internen Widerständen nicht beirren.

Die meisten Spitaldirektoren wollen mit ihren eigenen Institutionen natürlich keinen Beitrag zur Reduktion der Spitaldichte leisten, es sei denn, sie können andere Institutionen übernehmen. Aus den obenstehenden Massnahmen – selbst­verständlich plakativ formuliert und ironisch zu verstehen – lassen sich in der Umkehrung wichtige Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Reorganisation von Spitälern ableiten.

Patient oder Kunde?

Patienten und deren persönliches Umfeld sind eher begrenzt in der Lage, die tatsächliche medizinische Behandlungs-qualität eines Spitals zu beurteilen. Die meisten Menschen entwickeln aber intuitiv ein Gefühl dafür, ob sie nur als Patient oder auch als Kunde behandelt werden.

Da Spitalaufenthalte in der Regel einschneidende Episoden im Leben eines Menschen darstellen, bleiben Erlebnisse in dieser Zeitspanne lange im Gedächtnis haften und werden rege mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten geteilt. Dabei werden positive Erlebnisse vielleicht kurz erwähnt, negative Erlebnisse werden aber lange breitgetreten.

Mit der schweizweit freien Spitalwahl seit 2012 haben die Patienten die Freiheit zu wählen, wo sie sich behandeln lassen. Dabei werden sie von ihrem Hausarzt und dem persönlichen Umfeld beraten. Die Hausärzte haben in der Regel Präferenzen für gewisse Institutionen. Sie wünschen neben der Behandlungsqualität den persönlichen Kontakt zu den Kaderärzten, eine unkomplizierte Zusammenarbeit und rasche Austrittsberichte. Die zuweisenden Ärzte sind die zentralen «Kundenvermittler» eines Spitals und stellen deshalb für ein Spital eine zweite, eigenständige Kundengruppe dar.

Personal effizient einsetzen

Eine Eigenart des Spitalwesens ist die Or­gani­sation des Unternehmens nach Berufsgruppen. Obwohl Ärzte und Pflegende tagtäglich sehr intensiv zusam­menarbeiten, sind sie meist je einer eigenen Organisationseinheit zugeordnet.

In diesem Zusammenhang wird oft der Vergleich zu zwei eigenständigen Silos ge­zogen, welche die beiden Organisationseinheiten symbolisieren. Richtig problematisch wird es aber, wenn die direkten Verbindungswege zwischen diesen beiden freistehenden Silos ganz fehlen. In kaum einer anderen Branche käme ein Manager auf die Idee, Mitarbeitergruppen organisatorisch so stark zu trennen, welche jeden Tag derart eng und Hand in Hand zusammenarbeiten müssen, um eine optimale Leistung – im vorliegenden Kontext: eine optimale Behandlungsqualität – erbringen zu können.

Im Spitalwesen ist aber genau dies schon seit langer Zeit Tradition. Die Folge sind ein hoher Koordinations- und Abstimmungsaufwand. Gleichzeitig unterscheiden sich die Arbeitswelten der beiden Personengruppen trotz der engen Zusammenarbeit markant. Zudem lassen sich Ärzte in den meisten Fällen nicht gerne von Pflegenden führen und auch das Umgekehrte ist der Fall. Eine komplette organisatorische Verschmelzung der Berufsstände scheint also illusorisch, aber mit konkreten Massnahmen muss für eine bessere Zusammenarbeit gesorgt werden. Das primäre Organisationsprinzip sollte nicht der Berufsstand, sondern die durchgängigen Prozesse im Unternehmen darstellen.

Trotz Personalnotstand im Gesundheitswesen leisten es sich viele Institutionen, teure und rare Fachkräfte für Tätigkeiten einzusetzen, für die sie gar nicht ausgebildet und zudem schlichtweg zu teuer sind. Ärzte und Pflegende sollten möglichst viel Zeit für ihre Patienten haben und von administrativen Aufgaben weitgehend entlastet werden. Jene Spital-direk­toren, die das berücksichtigen, werden nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Behandlungsqualität leisten, sondern auch positive Effekte auf die Effizienz des Spitals und die Mitarbeiter­zufriedenheit wahrnehmen.

Schlüsselpersonen integrieren

Konfuzius wies viele hundert Jahre vor Christus schon darauf hin: «Das Leben ist einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen.» Gerade grössere Institutionen mit mehreren Standorten sind oft Musterbeispiele für organisato­rische Komplexität. Zugegeben, die Leitung solcher grosser Institutionen ist komplex. Aber der Versuch, Komplexität mit noch komplexeren Management-Systemen in den Griff zu kriegen, führt zu noch mehr Komplexität und damit ins Chaos. Matrixorganisationen sind per se komplex und stellen hohe Anforderungen an die Mitarbeitenden.

Die Wahl und Anwendung von einfachen und klaren Organisationsprinzipien erhöht hingegen die Führbarkeit einer Organisation und führt zu klaren Verhältnissen. Die Komplexitäts-Reduktion muss in der Regel mit mutigen Entscheiden erkauft werden, als Belohnung winken aber glasklare Verantwortlichkeiten, reduzierte Komplexität, mehr Effizienz, zufriedenere Mitarbeitende und eine verbesserte Qualität.

Das Wichtigste zum Schluss: Vielen gescheiterten Reorganisationen und Reformen wird die unzureichende Involvierung der internen Schlüsselpersonen zum Verhängnis. Wenn sich das obere und mittlere Kader mit Reformen nicht identifziert und diese nicht mitträgt, sind diese in den meisten Fällen zum Scheitern verurteilt oder werden zumindest nur halbherzig umgesetzt. In solchen Situationen lässt sich nur ein Bruchteil des möglichen Verbesserungspotenzials realisieren. Gerade Kaderärzte, die es von ihrer täglichen Arbeit her gewohnt sind, in hoher Kadenz wichtige Entscheide zu fällen, erheben in den meisten Fällen den Anspruch, auch bei Reorganisationen und anderen Reformen mitzureden.

Es lohnt sich, diese Schlüsselpersonen in der Lösungserarbeitung proaktiv miteinzubeziehen und anzuhören. Auch wenn das Pflegekader das Mitspracherecht nicht immer gleich lautstark reklamiert, müssen auch diese zentralen Leistungsträger – die ja jeweils die grösste Personalgruppe eines Spitals repräsentieren – zwingend angemessen einbezogen werden.

Wenn Spitaldirektoren keinen (unfreiwilligen) Beitrag zur Reduktion der Spitaldichte leisten wollen, tun sie gut daran, die eingangs erwähnten sieben Massnahmen als abschreckende Beispiele zu betrachten und zu vermeiden. Die Behandlung von Patienten als Kunden, der adäquate Einbezug der zuweisenden Ärzte als zentrale «Kundenvermittler», die Überwindung funktionaler Silos, die kompetenzbasierte Aufgabenteilung sowie eine Organisation mit geringer Komplexität sind hingegen Schlüsselelemente, damit ihr Spital optimal für die heutigen Anforderungen gerüstet ist. Dies gelingt am besten, wenn Betroffene bewusst zu Beteiligten gemacht werden und eine Reorgani­sation aktiv unterstützen.