Branchen & Märkte

Medizinaltechnik

Erfinder in einer innovationsintensiven Branche

Intelligente Medizinaltechnik steigert die Lebensqualität der Patienten bei tieferen Behandlungskosten. Wie das funktioniert, zeigt die Erfindung von Philipp Kirchhoff. Der Basler Chirurg und Jungunternehmer hat ein Implantat entwickelt, das künstliche Darmausgänge stabilisiert.
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Die Schweizer Medizinaltechnikbranche wächst: Die Bruttowertschöpfung hat sich in den letzten Jahren auf gut 12 Milliarden Franken mehr als verdoppelt. Sie ist wettbewerbsfähig: Über 90 Prozent der Inlandproduktion gehen in den Export. Sie schafft Arbeitsplätze: Die Zahl der direkt oder mittelbar Beschäftigten liegt bei rund 100 000.

Implantate, neue Diagnostika oder minimalinvasive Operationstechniken sind aber nicht nur für den Wirtschaftsstandort Schweiz ein Gewinn, sondern auch für Ärzte, Spitäler, Kranke und Pflegbedürftige; denn sie steigern die Lebensqualität der Patienten und reduzieren die Therapie- und Nachsorgekosten.

Getrieben wird die Branche von innovativen Ingenieuren, Naturwissenschaftlern oder auch Ärzten wie dem Basler Chirurgen Philipp Kirchhoff. Das Spezial­gebiet des 37-Jährigen ist die Weich­­teil- oder Viszeralchirurgie, speziell die Behandlung von Darmtumoren. Nicht wenige seiner Patienten erhalten nach der Operation einen künstlichen Darmausgang, ein sogenanntes Stoma in der Bauchwand.

An sich ein Routinevorgang. Doch bei rund einem Drittel aller Stomapatienten bildet sich in den ersten drei Jahren nach der Operation eine Hernie. Dabei treten Weichteile durch das Stoma aus und bilden eine Art Hautsack. Das sieht nicht gut aus, kann Schmerzen verursachen und führt im schlimmsten Fall zu Darmverschlüssen. «In solchen Fällen», erklärt Philipp Kirchhoff, «wird eine Notoperation fällig».

Therapeutische Techniken, die einer Bauchhernie vorbeugen, gibt es. Zur Stabilisierung der Bauchdecke können Netze aus biologisch inerten Materialien implantiert werden. Nur haben sich diese Methoden in der Praxis nicht durchgesetzt. Zum einen, weil der Chirurg das Infektionsrisiko fürchtet, zum anderen weil sie mehrstündige Tumoroperationen noch einmal verlängern.

«Es war an einem Darmkrebskongress am Kantonsspital St. Gallen», erinnert sich Kirchhoff. Er hörte unter anderem einen Vortrag über Stomahernien. Das Thema liess ihn nicht mehr los und auf der Heimfahrt nach Basel dann der Geistesblitz: Wie wäre es, wenn man das Stoma mit einem implantierten Ring stabilisieren würde? Kaum zu Hause, macht er sich an die Arbeit: Die ersten Designskizzen des neuartigen Stoma-Ringes datieren aus jener Nacht.

Da Kirchhoff Angestellter des Universitätsspitals ist, gehört das Geistige Eigentum an der Erfindung der Universität. Er kontaktiert deshalb die Unitectra, die Wissens- und Technologietransferstelle der drei Universitäten Bern, Zürich und Basel. Dort beurteilte man seine Idee als förderungswürdig und vermittelte dem Chirurgen eine begleitete Patentrecherche am Institut für Geistiges Eigentum (IGE) in Bern.

Patentrecht ist zentral

In einer innovationsintensiven Branche wie der Medizinaltechnik sind Patentabklärungen zentral. Sie zeigen auf, ob man mit einer Erfindung wirklich Neuland betreten hat. Das Stoma-Implantat bestand den Test. Im Oktober 2011 beantragte Kirchhoff ein Europäisches Patent. Die Kosten von 4500 Franken für den Patentanwalt und die Anmeldung trägt die Universität Basel.

Gleichzeitig leitete Kirchhoff die ersten Schritte als Unternehmer ein. Er beteiligte sich an diversen Gründerwettbewerben, die ihm zusammen knapp 80 000 Franken einbrachten. Ausserdem bewarb er sich in der Kategorie «Erfinder» um den Swiss Technology Award. Eine Jury unter dem Vorsitz des früheren Sulzer-Chefs Fritz Fahrni beurteilte das Projekt und verlieh ihm im November 2012 den wichtigsten Schweizer Technologiepreis.

Vielversprechend entwickelten sich auch die Industriekontakte. Kirchhoff hatte schon vor der Patentierung Kontakte zu einem Medtech-Unternehmen aus Denver, Colorado, geknüpft. Ein Non Disclosure Agreement (NDA) schützte ihn vor Ideenklau und man kam überein, das innovative Implantat gemeinsam zur Serienreife zu bringen.

Seit dem Sommer 2012 liegt nun ein funktionsfähiger Prototyp vor. Der Ring hat neu eine sogenannte Lippe, welche die Verankerung im Bauchmuskel der Patienten erleichtert. Produziert wird er aus der biokompatiblen Polyester-Faser Dacron, deren Eignung für Langzeitimplantate erwiesen ist. Die Erlaubnis für die CE-Kennzeichnung der Stoma-Ringe und damit für den Vertrieb im EWR/EU-Raum inklusive der Schweiz wird in Kürze erwartet.

Jetzt startet Kirchhoff eine kleine Umfrage unter seinen Berufskollegen an Schweizer Spitälern. Das Resultat: vier von fünf Viszeralchirurgen erachten das neuartige Implantat für nützlich und sinnvoll. Dies vor allem, weil für die Einbettung kaum Gewebe mobilisiert werden muss. Ein Meilenstein für das Projekt.

Die kommerzielle Verwertung der Erfindung rückt näher. Kirchhoff handelt mit der Rechteinhaberin – der Universität Basel − eine weltweit gültige Exklusivlizenz aus und nimmt fristgerecht eine internationale Patentanmeldung gemäss Patent Cooperation Treaty (PCT) vor.

Per Anfang 2013 überführte er seine Aktivitäten in die neu gegründete Koring GmbH. Ab Frühling wird ein Mitarbeiter den Schweizer Markt aufbauen. Kirchhoff selber weilt zurzeit in England. Er absolviert bis Ende Jahr eine chirurgische Weiterbildung an der University of Cambrigde. In dieser Zeit wird eine kleine Pilotstudie in Basel durchgeführt. Eine grös­sere Studie mit 60 bis 80 Patienten ist in Planung.

Wie es mit dem Projekt weitergeht, hängt von den Verkäufen im laufenden Jahr ab. Sollte die Innovation an den Schweizer Spitälern grossflächig zum Einsatz kommen, will Kirchhoff mit seinem Unternehmen ins europäische Ausland expandieren. Die ersten Kontakte zu Business Angels und Risikokapitalgebern mit Medtech-Erfahrung sind geknüpft. «Seit dem Gewinn des Swiss Technology Awards», so der Jungunternehmer, «erreichen mich immer wieder Anfragen von interessierten Geldgebern.»

Helfen dürfte ihm bei der Kapitalsuche, dass weltweit jedes Jahr rund 300 000 künstliche Darmausgänge gelegt werden. Schon ein Marktanteil von drei Prozent würde zu einem Umsatz im mittleren Millionenbereich führen. «

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