Branchen & Märkte

Best Practice: Umgang mit dem Frankenschock

Eine «Rosskur» mitten auf dem Erfolgspfad

Was macht ein neuer CEO, wenn er an seinem ersten Arbeitstag vom «Frankenschock» der SNB überrascht wird? Die Antwort auf diese Frage musste sich Michael Merkle, CEO der Agathon AG, am 15. Januar 2015 selbst geben. Ein Blick auf seine Massnahmen.
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Herr Merkle, Sie sind seit September 2014 Mitbesitzer der Agathon AG und seit dem 15. Januar 2015 deren CEO. Am gleichen Tag hob die SNB den Euro-Mindestkurs auf. Wie haben Sie in die ungemütliche Lage hineingefunden?

Mein Einstand gestaltete sich in der Tat recht stürmisch, denn wir waren zum sofortigen Handeln gezwungen, schnürten ein Massnahmenpaket. Noch am gleichen Tag wurde eine Mitarbeiterkonferenz einberufen, an welcher über die grundsätzlich neue Situation informiert wurde. Alle waren nun im Bild, wohin die Reise geht. Die Mitarbeitenden haben die beschlossenen Massnahmen mit viel Verständnis aufgenommen. Und, entscheidend, sie zeigten sehr viel Einsatz bei der Umsetzung. Es entwickelte sich so etwas wie ein «Sense of Urgency». Das schweisste uns zusammen. Denn Agathon stand gesund und erfolgreich im Markt. Weil wir gemeinsam die nächste Erfolgsstufe erklimmen wollten, bewegte sich unser Massnahmenpaket auf der Handlungsachse «Kostenmanagement» sowie «Investieren in Entwicklung, Portfolio und Marktbearbeitung».

Zusammengefasst: Welche Massnahmen wurden seither umgesetzt?

Investiert hat Agathon in die Entwicklung, in Produktionsprozesse mit gesteigertem Automationsgrad und in Vertrieb sowie Marketing. Wir investierten in alle unsere Entwicklungskapazitäten. Einmal in die Wendeschneideplatten, um hier führend zu sein. Dann aber auch in die Normalien und in die Führungselemente, wo wir ebenfalls einen grossen Namen tragen. Das Produkte-Portfolio wurde gestrafft. Der Sektor Umfangschleifmaschinen zum Schleifen von Wendeschneideplatten erfuhr eine Verstärkung. Die Spitzenlos-Schleifmaschinen werden dagegen nicht mehr angeboten. Der Frankenschock hat diese Bereinigung beschleunigt. Um schlanker und mit weniger Kosten produzieren zu können, wurde die Lean-Produktion eingeführt. Das Lean-Mana­gement kommt flott voran, die Mitarbeitenden erkennen den Nutzen dieser Initiative. Meine Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten waren dienlich, um die Hürden solcher Vorhaben richtig einzuschätzen. Wichtig ist in jedem Fall, Etappenziele zu setzen und Ängste zu nehmen. Massgebend ist nicht nur die Art, wie produziert wird, sondern auch mit welcher Kultur. Auf der Beschaffungsseite haben wir mit Lieferanten Frankenrabatte verhandelt. Und wir haben mit dem Natural Hedging begonnen. Hier wird versucht, das Material in jenen Währungen zu kaufen, in denen das Material auch verkauft wird. Das gelingt jetzt gut. Rund 50 Prozent des Volumens im Einkauf erfolgt in Euro. Das macht uns weniger abhängig von Währungsschwankungen. Wichtig ist dabei: Der Preis der Währung ist nicht nach dem Tageskurs festgeschrieben, sondern es ist ein fixer Europreis. Also heisst das: Ein Teil kostet zum Beispiel 100 Euro, egal, wo der Schweizer Franken steht. Ursprünglich in einem Verkäufermarkt unterwegs, suchen wir jetzt zügig die Nähe zum Kunden.

Wie gelingt Ihnen das?

Die Massnahmen: ein neuer Marketingauftritt und eine neue Vertriebsorganisation mit aktiver Präsenz vor Ort. Aufgebaut wurde eine neue Marktstruktur in Europa und in den USA, in Indien und in China. Dort besteht in Shanghai eine eigene Niederlassung mit Chinesen. Chinesen kaufen von Chinesen, das hat sich bewährt. Wichtig für die Zusammenarbeit ist allerdings der ständige gegenseitige kulturelle Austausch. Der Standort Connecticut in den USA wird ebenfalls mit Leuten vor Ort betrieben – von einer Crew mit Amerikanern und Schweizern, die schon lange in den USA leben. Die Bearbeitung von Europa erfolgt durch die Equipe aus Bellach.

Wo sehen Sie Agathon heute im Markt positioniert?

Beginnen wir mit dem Sortiment. Auf der «Grind Tech 2016» konnte ein komplett neues Produkte-Portfolio vorgestellt werden, nachdem aus der bestehenden hochkomplexen Agathon-Maschine drei neue Typen unterschiedlichen Anspruchsniveaus entwickelt worden waren. Die kleinste Stufe eignet sich für einfaches Umfangschleifen, die mittlere für Umfangschleifen mit Fasen und die oberste Stufe für hochkomplexe Geometrien. Damit wurde das Portfolio nach unten erweitert und gleichzeitig die anspruchsvollste Maschine neu entwickelt. Das kommt im Markt sehr gut an. Und die Entwicklungsarbeit wird weitergetrieben mit der Integration der Möglichkeiten aus der Industrie 4.0. Schon heute ist es möglich, aus unsern Anlagen 300 Daten für die Weiterverarbeitung zu gewinnen. Bereits bestehende Applikationen wie Teilefluss, Qualität, Service auf der Basis von «Predictive Maintenance» werden perfektioniert. An der «Emo» im September 2017 in Hannover trat Agathon mit weiteren Neuerungen in puncto Produktivität der Maschinen auf.

Wie definiert Agathon ihren Qualitätsanspruch?

Qualität ist unser Credo. Und wir liefern sie – nicht nur bei den Maschinen, sondern auch bei den Normalien. Dazu verpflichten uns die SQS-Zertifizierungen nach ISO 9001, ISO 14001 und OHSAS 18001 sowie unser Bekenntnis, den Kunden mit Technologien der neusten Generation Wettbewerbsvorteile verschaffen zu wollen. Kurz: Wir verkaufen über die Qualität, über die Produktivität und über die Werthaltigkeit der Maschinen und Normalien. Qualität heisst bei Agathon einerseits höchste Genauigkeit im Toleranzbereich von einem Tausendstelmillimeter, und zwar kontinuierlich gleichbleibend. Andererseits aber auch intuitive und einfache Bedienbarkeit sowie ein weltweiter Service, mit Reaktionszeiten, die den Vorstellungen der Kunden entsprechen. Überdies: Agathon-Maschinen sind rückwärtskompatibel. Wer eine bestehende Maschine durch eine der neusten Generation ersetzt, profitiert davon, dass die neue Maschine die Programme der alten Maschine «versteht» und dass auch die Werkzeuge der alten Maschinen auf den neuen eingesetzt werden können. Bei den Normalien zielt das Leistungsversprechen auf die Präzision, die lange Standfestigkeit, die hohen Zyklen und die schnelle Verfügbarkeit im Lieferservice.

Und wie ermitteln Sie dabei den Kundenbedarf?

Wir verkaufen nicht einfach Technologie. Im Gegenteil: Die Entwicklungsarbeit bei den Produkten setzt zuerst im Markt an. Mit dem Ansatz «Design Thinking» verfolgen wir das Marktgeschehen. Denn wir wollen zuerst den Kunden verstehen und erst danach ein Produkt bauen, das seine Bedürfnisse lösungsgerecht abdeckt. Auf dieser Basis hat sich Agathon die Technologieführerschaft in ihrem Segment erarbeitet. Im Sektor der Maschinen stehen wir im Wettbewerb zu Anbietern aus Deutschland, Japan und China. International spricht man in erster Linie über unsere Maschinen. Aber in der Schweiz sind die Normalien unser grösster Markt. Die Kunden stammen aus der Präzisionsindustrie, etwa der Uhrenindustrie, Elektronik, Medizintechnik, dem Maschinenbau, der Automotive-Zulieferindustrie und der Kunststoff-Spritzgussproduktion.

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