Branchen & Märkte

Tourismusindustrie

Die schwierige Kunst, Wohlbefinden zu bieten

Weshalb hat die Schweizer Tourismusindustrie heute zunehmend Mühe, erfolgreich zu sein? Genügen unsere ausnehmend schönen Landschaften, um die Gäste zufriedenzustellen? Tatsache ist, dass sich die Besucher und ihre Bedürfnisse verändert haben – genau wie die Ansprüche der einheimischen Bevölkerung.
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Tourismus ist in der Schweizer Kultur seit dem 18. Jahrhundert eine wichtige Wirtschaftsgrösse. Seither gab es viele erfolgreiche, aber auch schwierige Phasen. Einige altbekannte Sehenswürdigkeiten prägen nach wie vor das touristische Ansehen der Schweiz, andere Stätten von einst grosser Anziehungskraft bleiben heute nahezu unbeachtet.

Überzeugungsarbeit

Zwischen einem Ferienort und dem Gast besteht eine symbiotische Beziehung, die so lange funktioniert, wie jeder den Bedürfnissen des anderen entspricht. Eine Destination muss also investieren, will sie die Ansprüche ihrer Gäste über einen langen Zeitraum erfüllen.

Wie kann sie – abgestimmt auf die einheimische Kultur – so gedeihen, dass sie ihre wirtschaftlichen Ziele erreicht und dennoch ihre natürlichen Ressourcen bewahrt? Welche Gäste braucht sie? Haben sie die Möglichkeit, ihre Freizeit an diesem bestimmten Ort zu verbringen? Wissen sie überhaupt (noch), dass er existiert oder interessieren sie sich längst für andere, attraktivere Ziele?

Die Entwicklungen aufseiten des Gastes und des Gastlandes haben dazu geführt, dass beide neu zu überzeugen sind. Die Schweiz muss wieder verstärkt an ihre Attraktivität und ihren Wert auf dem Tourismusmarkt glauben, und der Gast muss wieder das finden, was er sucht: Eine intakte Landschaft, authentische Anlässe, eine Gastfreundschaft, die keine Wünsche offenlässt, und jenen Hauch «Per-fektionismus», der ihn an die komplexe Funktionsweise einer Schweizer Uhr erinnert. Damit Tourismusanbieter den Trends eines sich immer schneller ändernden Marktes folgen können, benötigen sie ein System fortlaufender Überprüfung und Verbesserung.

Noch mehr als die Landschaft selbst sind es die Bewohner, die aus einem Ort das machen, was er ist und insbesondere das, was ihn vom Rest der Welt unterscheidet. Die Geschichte, die Persönlichkeiten und die Traditionen, die einen bestimmten Ort geprägt haben oder noch immer prägen, bergen enormes touristisches Anziehungspotenzial. Ob es sich dabei um Sagen und Legenden handelt, um Schlachten oder eine Erzählung: Es wird immer Menschen geben, die sich für diese Themen begeistern; man denke etwa an die Wiedertäufer, die auf den Spuren ihrer Vorfahren in den Jura reisen. Von den kulturellen Schätzen eines Ortes touristisch zu «profitieren», bedeutet auch, sie gegenüber den Einheimischen in Wert zu setzen – und diese unterhalten sie dann auch umso lieber.

Nachhaltig entwickeln

Der Tourismus ist ein typisches Beispiel für nachhaltige Entwicklung. Bei den Aktivitäten dieser Branche werden die Landschaft, die verfügbaren Ressourcen, das einheimische Handwerk und die Kultur des Ortes mit einbezogen. Dabei wird eine Wertschöpfungskette generiert, die vom Verkehr über den Warenkonsum, Kauf von Kunsthandwerk bis zur Nutzung lokaler Dienstleistungen reicht. Ist eines der Glieder der Servicekette schwach, führt dies rasch zu einer Schwächung des Angebotes. Es droht dann die Gefahr, dass nicht mehr die gewünschten und passenden Gäste angezogen werden, die Touristenzahlen abnehmen und deshalb die Angebote «verramscht» werden müssen. Dies würde weder von der Bevölkerung gutgeheissen, noch könnte man so die wirtschaftlichen Ziele erreichen.

Damit es nicht so weit kommt, braucht es eine klare Positionierung, sowohl gegenüber den lokalen Akteuren als auch nach aussen. Mit einer Leitlinie, übergreifenden Zielen für den Umgang mit den soziokulturellen, wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen sowie einem langfristig angelegten Aktionsplan lassen sich die Risiken umgehen.

Erfolgsfaktor Service

Eine Bedingung des Erfolgs besteht darin, dass der Tourismusanbieter (oder das Destinationsmanagement) die Entwicklung seiner langfristig geplanten Aktivitäten laufend mit messbaren Indikatoren verfolgt. Natürlich wird er dabei auch mit neuen Gegebenheiten konfrontiert werden; mit Veränderungen, die ihn zwingen, von seinem Weg abzuweichen. Das können konjunkturelle oder juristische Änderungen sein, neue Trends oder Gewohnheiten oder aber veränderte Bedürfnisse und Erwartungen seitens der Betroffenen.

Die nötigen Anpassungen vorzunehmen, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren, erfordert viel Geschick. Tatsächlich entwickeln sich eine touristische Infrastruktur, ein in einer Region verankertes Produkt oder eine Landschaft viel langsamer als die Trends der Branche. Es geht auch nicht darum, die eigene Linie bei jedem Wetterumschwung auf den Kopf zu stellen, sondern Bedürfnisse gut vorauszusehen und auch Investitionen im Voraus zu berechnen. Er muss sich Veränderungen stellen, will er seine Aktivität aufrechterhalten – den Rahmenbedingungen aktiv begegnen.

Ein Produkt oder eine Dienstleistung kann in jedem Detail durchdacht und scheinbar perfekt sein – und trotzdem nicht funktionieren. Oft fehlt etwas, das nicht viel kostet, aber viel einbringt: die Dienstleistungsorientierung. Wie viel davon es wo braucht, ist schwierig abzuschätzen und hängt stark von den jeweiligen Gästen und ihren Erwartungen ab. Doch Servicekultur ist zweifellos einer der Schlüssel zum Erfolg.

Anders als bei standardisierten Gütern ist die Qualität touristischer Angebote nicht technischer Natur. Sie ist so subtil, dass sich meistens weder der Gast noch der Anbieter ihrer vollkommen bewusst sind. Die gewissen Nuancen aber sind es, dank denen sich ein Gast wohlfühlt. Es kann sich dabei um ein Lächeln handeln, einen Extraservice, ein frisch gelüftetes Zimmer, einen optimal eingerichteten Raum oder einen Duft. Was auch immer es ist: Es sollte weder zu viel noch zu wenig sein.

Um als Anbieter zu überprüfen, ob das gewisse entscheidende Etwas vorhanden ist, sollte er seine ganze Servicekette regelmässig von seinen Mitarbeitern und anderen geeigneten Personen testen lassen. So kann er sicherstellen, dass die Erwartungen bestmöglich erfüllt und zugleich die Beteiligten stärker sensibilisiert werden. Letztlich aber entscheidet der Gast über den Erfolg des Angebotes. Wenn die Dienstleistungen seinen Qualitätsanforderungen entsprechen und ihm das gewünschte Wohlbefinden bieten, ist er ihr bester Botschafter.

Chancen

Rund um den Globus ist in wirtschaftlich gut entwickelten Ländern ein Trend hin zu einem gesünderen, nachhaltigeren, verantwortlicheren Leben feststellbar – und die Schweiz hat ein enormes Potenzial, Freizeitaktivitäten zu bieten, die zurück zum Wesentlichen führen.

In jedes Glied der Dienstleistungskette lassen sich nachhaltige und vorbildliche Elemente einbauen: Langsamverkehr; ökologische Bauweise; umweltverträgliche Putzmittel; eine lokale und saisonale Küche; der Verkauf von lokalen Handwerks­produkten – statt Gadgets «made in China» –; Informationen zum Engagement des jeweiligen Anbieters, der Gemeinde oder der Region; Erlebnisse, die das Entdecken von Natur und Traditionen ermöglichen; ein besonderer Kontakt zwischen Gästen und Einheimischen – authentisch und freiwillig; der Ein­bezug von verschiedenen Bevöl­kerungs­gruppen wie beispielsweise Kinder, Personen mit eingeschränkter Mobilität, ältere Menschen, und so weiter.

Diese Elemente, die geradezu offensichtlich zum Alltag eines Tourismusanbieters und der Bewohner einer potenziell touristischen Region gehören, sollten keinesfalls vernachlässigt werden. Werden sie gut ausgeschöpft, können sie stark zur Entwicklung eines neuen Bewusstseins der Nachhaltigkeit und zu gefühltem Wohlbefinden beitragen.

Gezielte Kommunikation

Letztlich muss sich jeder Zielort, un­geachtet seiner Ausrichtung, auf seine Kultur und Landschaft abgestimmt entwickeln, um so den Erhalt seiner Wertschöpfungskette sicherzustellen. Bietet eine Destination ihrem Zielpublikum ein «korrektes» Preis-Leistungs-Verhältnis, das auch den eigenen finanziellen Zielen entspricht, und gelingt es, diese Trümpfe gezielt zu kommunizieren, überzeugt das die einheimische Bevölkerung und die Gäste gleichermassen und stellt zudem sicher, dass beide zueinander passen und Gewinner sind.

Der einzelne Anbieter wiederum muss von dem, was er macht, überzeugt sein. Er benötigt Kreativität, um Träume anbieten zu können; zugleich sollte er ein guter Manager sein und sich den Herausforderungen stellen können, die nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in landschaftlicher und klimatischer Hinsicht auf ihn zukommen. Durch ein grosses Netzwerk wird ihm dies sicher einfacher gelingen.

Porträt