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Finanzpsychologie

Die Psycho-Fallen im Finanzmarkt

Während die klassische Finanztheorie von einem «Homo oeconomicus» ausgeht, sind für die Finanzpsychologie ökonomische Faktoren wie Aktienkurs oder Preisfindung nicht so sehr eine mathematische Angelegenheit, sondern vor allem ein psychologischer und sozialer Vorgang. Welche «Todsünden» daraus im Finanzmarkt entstehen, zeigt dieser Beitrag.
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Am 15. September 2011 wurde Kweku Mawuli Adoboli in London verhaftet. Dem Investmentbanker der UBS wird vorgeworfen, mehr als zwei Milliarden Franken Verlust durch unautorisierte Handelsgeschäfte verursacht zu haben. Ein mutmasslich weiterer tragischer Fall von Finanzbetrug eines Bankers. Wie lässt sich aus psychologischer Sicht die Abfolge der meist riskanten und fatalen Entscheide im Handel mit Finanzprodukten erklären?

Eine gute Erklärung dafür liefert die Prospect-Theorie von Kahneman und Tversky. Die Prospect-Theorie gibt an, wie Gewinne und Verluste wahrgenommen werden. Sie sagt einerseits, dass Menschen in einer Gewinnsituation eher risikoscheu agieren und einen sicheren Gewinn gegenüber einer risikoreicheren Alternative bevorzugen. Droht allerdings ein Verlust, steigt die Risikobereitschaft des Menschen an. Dabei wird versucht, den entstandenen Verlust durch das Eingehen von grösseren Risiken zu kompensieren. Die Theorie nimmt an, dass ein Verlust stärker negativ bewertet wird als ein Gewinn in der gleichen Grössenordnung positiv. Die Bewertung von Verlust und Gewinn wird also asymmetrisch vorgenommen (Kirchler, 2011).

Kweku Adoboli galt als hoffnungsvolles Banker-Talent und wird von Freunden und Bekannten als zuvorkommender und liebenswürdiger Mensch beschrieben. Als Delta-1-Händler waren ihm Handelsgeschäfte, mit eingegrenzten Risiken, erlaubt (NZZ Online, 2011). Seine Geschäfte brachten ihm aber bald grössere Verluste ein, welche er seinem Vorgesetzten hätte melden müssen. Nicht alle Menschen können Fehler gleich gut eingestehen – ihnen fehlt der Mut, oder Schamgefühle hindern sie daran, über einen Fehler selbst zu berichten.

So unterliess es Adoboli, seinen Vorgesetzten zu informieren und ging weitere Risiken ein (der Prospect-Theorie folgend) und versuchte damit, den entstandenen Verlust durch Gewinne wieder zu neutralisieren. Und für ihn begann ein Teufelskreis, denn um die immer grösser werdenden Verluste wieder ausgleichen zu können, musste er immer noch höhere Risiken eingehen. Doch sein Erfolg blieb dabei aus; nach insgesamt 2,3 Milliarden Franken Verlust gab er schlussendlich auf.

Anhand dieses Beispiels konnte ein wesentlicher Aspekt des Verhaltens von Adoboli mittels der Prospect-Theorie erklärt werden. Nebst der Prospect-Theorie gibt es nach Montier psychologische Todsünden am Finanzmarkt (Kirchler, 2011).

Übertriebene Prognosesicherheit

Erinnern Sie sich noch an Nick Leeson? Er verursachte durch riskante Spekulationen den Zusammenbruch der Barings Bank. Nick Leeson nutzte minime Kursdifferenzen zwischen verschiedenen Börsenplätzen aus. Einer seiner Kollegen sicherte diese Geschäfte mit einem entsprechenden Gegengeschäft ab. Damit generierte er einen kleinen stetigen Gewinnstrom. Bald waren ihm diese kleinen Gewinne jedoch zu gering und er verzichtete auf Absicherungsgeschäfte, um diese Kosten einzusparen. Er begann sich zu überschätzen und meinte, er könne die künftigen Kursentwicklungen vorhersehen (Wikipedia.org), dabei glaubte er an seine übertriebene Prognosesicherheit. Diese ist nach Montier die Todsünde Nummer eins. 75 Prozent der Händler denken, dass sie ihren Job besser erledigen als der Durchschnitt ihrer Arbeitskollegen. Sie sind also zu opti­mistisch und überschätzen sich selbst (Kirchler, 2011).

Habsucht

Eine weitere Todsünde, die Nick Leeson antrieb, war seine Habsucht. So motivierten ihn zu Beginn seiner Tätigkeit kleine Gewinne, die ihn aber bald nicht mehr befriedigten. Er wollte mehr und es musste immer schneller gehen. Die Geschwindigkeit, wie er Handelsgeschäfte tätigte, grenzte immer mehr an Hyperaktivität. Montier bezeichnet diese Habsucht als eine Sünde der Hyperaktivität (Kirchler, 2011). Börsenhändler oder auch -händlerinnen glauben, es sei notwendig, für ihre Entscheide alle möglichen Informationen zu verwenden. Diese vielen Informationen steigern dann zwar ihr Selbstvertrauen; da die kognitiven Fähigkeiten des Menschen aber beschränkt sind, kann diese Informationsflut kognitiv nicht verarbeitet werden. Diese vielen Informationen erzeugen dann ein eher unrealistisches Selbstvertrauen, beruhend auf der Illusion, alle möglichen Informationen verarbeiten zu wollen. Montier bezeichnet diese Illusion als «Völlerei». Damit bezeichnet er die Sünde von Anhäufung von Informationen und die darauf beruhende Illusion von Wissen (Kirchler, 2011).

Gier

Nick Leeson wollte immer noch mehr Geld gewinnen (oder noch mehr zocken), obwohl auch bei ihm schon beträchtliche Verluste auf einem fiktiven Konto aufgelaufen waren. Was löst nun eine solche Gier nach Geld aus? Dazu kennt die Neurowissenschaft eine Antwort. Gemäss Studien an der Justus-Liebig-Universität Giessen erregt alleine die Aussicht auf einen finanziellen Gewinn den reflexiven Teil des Gehirns stark und dieser fokussiert seine Aufmerksamkeit gezielt auf das mögliche gute Geschäft. Interessanterweise ist dieser Nervenkitzel der «Vorfreude» auf einen möglichen Gewinn viel grösser, als wenn ein tatsächlicher Gewinn eingefahren wird (Zweig, 2007). Ganz nach dem Motto «Vorfreude ist die schönste Freude».

Fazit

Psychologische Erklärungen für das Verhalten von Bankern oder auch Bankerinnen sind zwar wertvoll, rechtfertigen aber dieses Verhalten keinesfalls. Die neoklassische Wirtschaftstheorie, die besagt, dass der Mensch rational handelt und seinen Nutzen maximiert (Moser, 2007), geht vom «Homo oeconomicus» aus.

Leider sind die Finanzmärkte alles andere als rational. Alle an diesem Markt Beteiligten sind psychologisch handelnde Individuen, die zwar versucht sind, möglichst rational und nutzenmaximiert zu handeln, aber implizit doch aus einer inneren Gefühlslage entscheiden. Damit treffen gegensätzliche Weltanschauungen bzw. Handelsweisen aufeinander, die nicht kompatibel sind. Die «Rationalisten» des Typus «Homo oeconomicus» möchten rational und auf Fakten basierende Entscheide fällen und halten nichts von impliziten, gefühlsorientierten Entscheiden. Sie tun aber oft genau dies, weil sie den menschlichen psychologischen Verhaltensweisen folgen und unterliegen deshalb einem Irrtum.

Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre wohl, dass sich die Akteure in der Finanzbranche, angefangen bei den Hauptverantwortlichen, vermehrt der psychologischen Handelsmuster des Menschen annehmen – dies ist wohl ein schwieriger Schritt, vertreten doch die heutigen Entscheidungsträger/-innen in der Finanzindustrie vor allem die neoklassische Wirtschaftstheorie und sind deshalb gegenüber psychologischen Faktoren eher verschlossen.

Eine weitere Schwierigkeit könnte gemäss einer Studie des Forschungsinstitutes Comres darin liegen, dass für 64 Prozent der befragten Banker/-innen in London Geld das wichtigste Motiv für ihre Berufswahl ist (Tages-Anzeiger Online, 2011). Dass dann die so stark monetär motivierten Mitarbeitenden bei ihren Handelsgeschäften aufs Ganze gehen,

Wie könnte nun ein Ausweg aus diesem Dilemma aussehen? Shareholder und Kunden sollten wieder vermehrt realistische Erwartungen an die Renditen von Finanzprodukten stellen. Damit erhalten die Verantwortlichen der Finanzinstitute wieder mehr Handlungsspielraum und der massive Druck auf ihre Organisation entschärft sich. Das Leitbild kann revidiert werden, ethische Aspekte können höher gewichtet werden und der verantwortungsvolle Umgang mit Kundengeldern soll neues, langfristiges Vertrauen in die Finanzinstitute schaffen. Schlussendlich kann dann bei der Personalselektion vermehrt auf die Erfüllung von Kriterien wie Integrität, Vertrauen und Gewissenhaftigkeit fokussiert werden.

Das tönt alles sehr einfach, eine praktische Umsetzung ist aber aus der Sicht des Autors nach wie vor illusorisch. «

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