Branchen & Märkte

Case Study: Crowdfunding

Die Crowd – Mehrwert-Generator für KMU

Remo Frei, Geschäftsführer und Designer der Flink GmbH, und Kerstin Wagner, Professorin an der HTW Chur, sprechen über die Möglichkeiten von Crowdfunding für KMU und die Erfahrungen aus einer eigenen Kampagne.
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Herr Frei, Sie haben im Herbst letzten Jahres Ihre Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform «100-days.net» lanciert, um eine neue ökologische Funktionsjacke auf den Markt zu bringen. Die Kampagne wurde schnell ein grosser Erfolg, bereits nach zwei Wochen war das Finanzierungsziel erreicht. Was waren die Beweggründe, über Crowdfunding zu gehen?

Wir waren bereits seit Längerem daran, die im Sportbereich einzigartige «Eco Fair Swiss Made»-Bekleidung zu realisieren. Die ersten Jahre haben wir benötigt, um Design und Schnitte zu entwickeln, Produktions-Know-how zu sammeln und Vertriebsstrukturen aufzubauen. Im vergangenen Jahr haben wir uns dann erstmals darauf konzentriert, mit der Marke nach aussen zu gehen. Da die Aufbau- und Entwicklungsarbeiten bereits einiges an Budget eingefordert hatten, suchten wir nach neuen Wegen, um zum einen die Vorleistungen für die Produktion tragen zu können und zum anderen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erlangen. Da war Crowdfunding das ideale Instrument.

Frau Wagner, Sie haben die Kampagne der Flink-Eigenmarke «Rotauf» mitgeplant und begleitet. Wie ist es «Rotauf» gelungen, dass so schnell viele Menschen ein relativ teures Produkt kaufen, das es zu dem Zeitpunkt noch nicht mal gab?

Als wir zu «Rotauf» gestossen sind, waren bereits einige Jahre in Sachen Design, Entwicklung und Produktion verwandter Produkte vergangen. Um so ein Produkt auf den Weg zu bringen, braucht man allerdings nicht nur ein erfahrenes Entwicklungs- und Designteam, sondern auch einen Macher wie Remo Frei, der es schafft, seine Begeisterung für das Projekt und die Sache rüberzubringen. Wenn dann auch noch die Story stimmt und man die Crowd überzeugen kann, dass man in der Lage ist, das Projekt zu realisieren, steht dem Erfolg nichts mehr im Weg. Für das Projekt wurde als Zielmarke 30 000 Franken gesetzt. Das war die Hürde, um die erste Serienproduktion im Tessin zu starten. Gleichzeitig erschien uns die Summe im Schweizer Markt realisierbar. Dies ist die Herausforderung beim «All or Nothing»-Modell im Crowdfunding: Das Geld wird nur aus-gezahlt, wenn die Zielsumme erreicht wird. Andernfalls fliesst das Geld wieder an die Geldgeber zurück. Dementsprechend sind die Risiken für die Geldgeber und potenziellen Kunden vergleichsweise gering.

Herr Frei, im Januar ist Ihre Kampagne erfolgreich geendet und Sie haben mit der Kampagne anstatt der angefragten 30 000 Schweizer Franken fast 50 000 eingenommen. Was hat es neben dem finanziellen Erfolg gebracht?

Mit dem Crowdfunding haben wir mit der Marke «Rotauf»-Bekleidung einen ersten Schritt in die Öffentlichkeit gemacht. Neben zahlreichen motivierenden und unterstützenden Rückmeldungen von Menschen in der ganzen Schweiz haben wir auch Interesse in den Medien für unser Projekt generiert. Für uns war das ein sehr wichtiger Schritt zur Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Frau Wagner, was sind Erfolgstreiber, dass Kampagnen zum Fliegen kommen?

Eine gute Vorbereitung ist sehr wichtig. Die betrifft jedoch nicht nur die operativen Schritte, sondern auch die strategischen Ziele. Welches Ziel will ich mit der Kampagne erreichen? Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden? Wo erreiche ich diese und wie hole ich sie am besten ab? Dies sind ein paar Beispiele an Fragen, die man sich stellen sollte. Dann fällt die Planung und Umsetzung leichter. Was wir in unserer Forschung sehen: In den ersten Tagen einer Kampagne spielt die Musik. Dort werden die Weichen gestellt, was das Erreichen der Zielsumme und den Erfolg der Kampagne angeht. Erfolgreiche Kampagnen haben durchschnittlich bereits nach zehn Tagen ein Drittel der Zielsumme eingesammelt. Bei «Rotauf» ging es sogar noch schneller: Nach zwei Wochen war bereits die gesamte Summe zusammen.

Herr Frei, wie geht es weiter nach der Kampagne und welche neuen Projekte stehen bereits an?

Nach der erfolgreichen Kampagne sind wir aktuell daran, rund einen halben Kilometer Stoff produzieren zu lassen. Dieser Stoff wird speziell für uns produziert und mit ökologischer Membrane und Imprägnierung ausgerüstet. In den nächsten Wochen werden wir dann noch weitere Muster der Jacken produzieren. Die ersten Muster haben wir im Herbst hindurch ausgiebig getestet und jetzt optimieren wir nochmals für die Serienproduktion. Voraussichtlich werden wir im März mit der Serienproduktion starten.In der Entwicklung arbeiten wir bereits am nächsten Kleidungsstück. Wir planen, unsere Kollektion weiter auszubauen. Wir sind mal mit eher hochpreisiger Drei-Lagen-Bekleidung gestartet und arbeiten uns nun preislich langsam nach unten. Dies ist sicher nicht ganz einfach, da der Preisdruck mit Bekleidung aus Billiglohnländern immer noch steigt. Wir denken, dass das Crowdfunding auch bei der Realisierung dieser nächsten Projekte eine wichtige Rolle spielen wird.

Frau Wagner, warum ist Crowdfunding gerade für KMU interessant?

KMU können über Crowdfunding viele Mehrwerte für ihre Projekte generieren, die ausserhalb der reinen Kapitalbeschaffung liegen. Diese lassen sich in den Bereichen Marketing und Werbung, Onlinekommunikation und Innovationsmanagement realisieren. Projektinitiatoren erhalten Informationen über ihr Produkt und die Bedürfnisse potenzieller Kun-den, die bereits das Produkt vorbestellen können. Das ist dann der Market Proof. Gleichzeitig gehen Initiatoren kaum Risiken ein, da sie noch nicht mit der Bereitstellung in Vorleistung gehen. Zudem können Marketingeffekte in Bezug auf die Bekanntheit, das Image und die Onlinereichweite erzielt werden. Hinzu kommt, dass die Crowd neben dem Geldgeben weitere wichtige Aufgaben übernimmt. Sie gibt direkte und indirekte Rückmeldung an die Projektinitiatoren, indem sie auf bestimmte Projekte reagiert. Die Reaktionen zeigen sich nicht nur an der Höhe der Geldsumme, die gegeben wird. Es zeigt sich auch, ob sie als Befürworter des Projekts das Vorhaben im eigenen Netzwerk weitertragen, darüber sprechen, schreiben, es weiterempfehlen und so die Reichweite des Projekts erhöhen.

Herr Frei, was ist die wichtigste Erfahrung, die Sie aus dem Crowdfunding mitnehmen?

Der Erfolg des Crowdfundings für die Ultralight-Jacke hat uns gezeigt, dass sich viele Konsumenten für nachhaltig und fair produzierte Bekleidung interessieren, und dass sie sich speziell für Produkte interessieren, die im eigenen Land gefertigt werden. Dieses Feedback ist für uns sehr wichtig, um das Projekt konsequent weiterzutreiben. Wir hoffen, dass wir mit der nächsten Aktion noch mehr Leute mit unserem Projekt überzeugen können. Sehr interessant war für uns auch, zu sehen, dass die Schweizer Medien eher schon etwas «Crowdfunding-müde» zu sein scheinen, während das Thema jedoch beim normalen Schweizer bislang nur wenig bekannt ist.

Frau Wagner, für welche Branchen und Bereiche bietet sich Crowdfunding an?

Die Potenziale für KMU sind sehr gross. Wir merken aber auch, dass wir noch intensiv Aufklärungsarbeit leisten müssen. Es geht beim Crowdfunding nicht darum, um Geld zu betteln, sondern eine Vielzahl an Menschen für ein Projektvorhaben zu begeistern, von dem alle etwas haben. Gerade im KMU-Bereich sind die Gegenleistungen oft das neue Produkt oder die Leistung selbst. Geldgeber lassen sich aber auch für eher symbolische Gegenleistungen begeistern wie zum Beispiel eine Führung durch die Produktionsstätte im Tessin, wie bei dem Projekt «Rotauf». Aktuell planen und begleiten wir Kampagnen mit KMU aus dem Handwerk, der Landwirtschaft, dem Lebensmittelbereich und dem Tourismus.

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