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Vision Schweiz Teil 2 von 3

Die Basis für eine Vision: Das Diagnoseprofil der Schweiz

Sowohl für ein Land als auch für Firmen ist ein Stärken-Schwächen- und Chancen-Gefahren-Profil hilfreich. Daraus lässt sich mit wenig Aufwand ein Bild für die künftige strategische Ausrichtung ableiten. Dieser Beitrag skizziert eine Diagnose Schweiz.
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Im Rahmen einer «Diagnose Schweiz» mit einem Stärken- und Schwächenprofil beleuchtet dieser Teil der dreiteiligen Serie «Vision Schweiz» folgende Fragestellungen: Wie gut leben wir? Wie gerecht sind die Ressourcen verteilt? Wie effizient sind wir? Was hinterlassen wir unseren Kindern oder den Nachfolgern?


Stärkenprofile

Wirtschaft

Alle Hinweise können mit Fakten unterlegt werden. Die Stärken der Schweiz auf der ökonomischen Ebene sind: Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und die Wirtschaftsstruktur mit einer gros­sen Zahl KMU und multinationalen Gesellschaften. Die Verteilung der Einkommen entspricht beim Gini-Index, dem statistischen Mass, das zur Darstellung von Ungleichvertei­lungen entwickelt wurde, dem Faktor 0,3, was einer ansprechenden Verteilung der Einkommen entspricht. Allerdings ist zu erwähnen, dass die obersten Einkommen überproportional zunehmen. Die Schweiz verfügt über einen starken Finanzplatz mit einem hohen Marktanteil privater Vermögen; der weltweite Marktanteil beträgt rund 25 Prozent. Es gibt eine gut ausgebaute Infrastruktur, die regelmässig geprüft wird. Die Wirtschaft ist global orientiert, mit starken Exportanteilen und einer moderaten Arbeitslosigkeit. Die Schweiz gilt also als Gewinner der Globalisierung.

Gesellschaft

Die Schweiz verfügt über ein gutes Bildungsniveau. Das starke Bildungssystem zeigt sich beim Niveau der Ausbildung und der dualen Berufsausbildung. Spitzenhochschulen und diversifizierte Kompetenzen unterstützen die Innovationskraft. Die Sozialwerke haben eine lange Tradition und basieren auf dem Gesellschaftsvertrag. Die kulturelle Vielfalt wird mit einer gut ausgeprägten Integrationsleistung kombiniert. Die kulturelle Vielfalt mit vier Landessprachen ist einzig­artig. Die humanitäre Tradition und die guten Dienste prägen die Politik. Der Pragmatismus ist für die Willensnation charakteristisch. Der ökonomische Wohlstand ermöglicht ein gutes Leben.

Technologie

Neue Produkte in Nischen und Dienst­leistungen mit technologischer Ausrichtung nehmen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft. Erfolgreiche  Spin-offs werden von Hochschulen im technologischen Bereich gegründet und zur Marktreife gebracht. 

Politik

Der Staatsaufbau von unten nach oben prägt die direkte Demokratie mit Mitentscheidungsmöglichkeiten der Bevölkerung. Der Föderalismus berücksichtigt die regionalen Unterschiede und führt zu einem Ausgleich der Interessen. Die politische Stabilität basiert auf der Machtteilung und der Neutralität.

Umwelt

Die Schweiz braucht drei Mal die Kapazität der Erde, ist gleichzeitig Verschwender und Recycler. Mahlzeiten werden weggeworfen und nicht der Form entsprechende Kartoffeln werden als Tierfutter eingesetzt. Der CO2-Ausstoss stellt das Kernproblem dar.


Schwächenprofile

Wirtschaft

Nebst wirtschaftlichem Wohlstand gibt es in der Schweiz die hohe private Verschuldung, das hohe Niveau an Konsumkrediten und die sehr hohe Hypothekarverschuldung von rund 1200 Milliarden CHF. Die Wohnmieten sind überteuert, 
in Verbindung mit einem re­kordhohen Wohnungsleerbestand. Die Erwerbslosigkeit liegt bei hohen fünf Prozent. Die Lohnungleichheiten zwischen Frauen und Männern gibt es seit vielen Jahren. Der Anteil an Frühpensionierungen und ausgesteuerten Personen ist hoch. Der Fachkräftemangel ist nach wie vor virulent und die Beschäftigungszunahmen erfolgen in «falschen» Bereichen.  Aktuell wird festgestellt, dass die KMU in den letzten Jahren immer mehr Mühe haben, Forschungsaufwendungen zu finanzieren; es betrifft die Maschinen-, Metall- und Uhrenindustrie sowie die Chemie- und Textilbranche. Offshore-Geschäftstätigkeiten von Treuhändern und Anwälten mit Imageschädigung für den Finanzplatz sind nach wie vor festzustellen. Die Verteilung der Vermögenswerte liegt beim Gini-Index bei 0,8 Punkten, was auf eine stark ungleiche Verteilung schlies­sen lässt. Die Vermögenswerte befinden sich in wenigen Händen. Die Arbeits­pro­du­k­tivität ist seit mehreren Jahren tief und wird mit Fleiss und langen Arbeitszeiten kompensiert.  

Die Bürokratiekosten sind hoch, in Verbindung mit der Regulierungswut. Die Mobilität hat problematische Werte erreicht. Die Zunahme der Gesundheits­kosten dau­ert seit 20 Jahren an. Ein Drittel sind  Behandlungskosten, der Rest sind Arbeitsausfall sowie Renten  für Invalidität und Unfall.

Gesellschaft

Wir arbeiten bis Mitte des Jahres für den Staat. Die Armut, beispielsweise Bezüger von Sozialhilfe, aber auch Bezüger von Prämienverbilligungen, nimmt stetig zu. Die Sozialversicherungs- und Pensionskassenkonzepte haben Reformstau. Die Rentenschmelze beträgt vier Milliarden Schweizer Franken. 

Die Bildungschancen sind ungleich verteilt; es ist ein Geheimnis, weshalb die Maturitätsquoten und die fehlenden Berufsabschlüsse von Kanton zu Kanton so verschieden sind. Das Interesse für Mint-Berufe fehlt und Frauen sind deutlich untervertreten. Es fehlt an technisch-wissenschaftlichem Nachwuchs. Es gibt zu viele Absolventen bei Sozial- und Geisteswissenschaften. Die Bereitschaft, ein eigenes Unternehmen zu gründen, ist unterentwickelt. Im sozialen Bereich gibt es Ängste vor Erneuerungen. Die Bevölkerung pflegt neurotische Saturiertheit im Wohlstand; das Paradies der Unverbindlichkeiten, mit starken Zunahmen von Burnouts. Die Ansprüche und die Leistungsbereitschaft laufen auseinander. Der Spass steht im Zentrum der Prak­tikantengeneration. Die «Diplomitis» ist unübersichtlich und mit der Sucht nach Statussymbolen verbunden. Die Verschreibung von Schmerz- und Schlafmitteln sowie Antidepressiva mit der Folge von Abhängigkeiten nimmt stark zu. Die Arbeitsverhältnisse sind mit abnehmender Sinnstiftung verbunden. Die Überalterung der Gesellschaft nimmt stark zu, ohne hinreichende Kenntnis der Folgen. Die Bedeutung des Sozialvertrags zwischen Jung und Alt nimmt ab und wird mit den Zahlungen der Jungen an die Alten in Verbindung gebracht. 

Technologie

Die Verbreitung digitaler Technologien muss man fördern; denn die Schweiz gilt – in verschiedenen Studien – als «digitales Entwicklungsland». Beim OECD-Ranking liegt die Schweiz bei der Digitalisierung im Mittelfeld. Bei kleinen und mittelgrossen Unternehmen fehlen technologische Strategien.

Politik

Der «rasende Stillstand» der Politik ist durch langsame Entscheidungsprozesse charakterisiert. Es zeigt sich die Unfähigkeit, komplexe Probleme zeitnah zu lösen. Ein Beispiel ist das Rahmenabkommen mit der EU. Der Gesetzgebungspro­­zess ist mit Lobbyinteressen stark durchsetzt; Entwicklungen werden von aussen auferlegt. Es gibt einen starken Reformstau mit Festhalten am Status quo. Im Parlament gibt es 150 Mandate im Gesundheitswesen. 

Umwelt

Die Schweiz hat eine Zunahme der Umweltbelastung mit einem zu hohen ökologischen Fussabdruck. Die Uno-Agenda 2030 zeigt in der Umweltbelastung für die Schweiz deutlichen Nachholbedarf auf. Der Erfüllungsgrad der 17 formulierten Ziele liegt bei rund 60 Prozent. Wir behandeln die Natur als «Einkommen», nicht als «Kapital»; die zerstörerischen Folgen sind sichtbar. Die Verschwendung von Lebensmitteln ist ein Beispiel. Die Raum- und Siedlungsplanung ist mit architektonischem Einheitsbrei und engmaschigen Bau- und Wohnzonen ver­bunden. Die Baustandorte sind von der Erschliessung durch den ÖV stark ent­­­koppelt. Es gibt ein Ungleichgewicht zwischen Privatverkehr – fast 50 Prozent der Neu­wagen sind Allradfahrzeuge, die Kosten des Privatverkehrs betragen rund zehn Milliarden CHF – und ÖV. Die Stau­stunden und der Agglomerationsverkehr nehmen, wie die Siedlungsflächen, zu. 

Chancen und Gefahren

Der Wohlstand kann erhalten werden, wenn es gelingt, die Stärken mit Chancen zu verbinden und die Schwächen mit den Gefahren zu minimieren. Die Schweiz rangiert bei internationalen Rankings immer wieder auf Spitzenplätzen. Wesentlich sind dabei die Wachstumsthemen wie Infrastruktur, Bildung, Innovation, Forschung und Gesundheit. Entscheidend ist die Politik als Treiber der Entwicklung zu sehen und die Fähigkeit zu haben, die Digitalisierung zu nutzen. Investitionen in Milliardenhöhe sind dafür nötig. Wir können in Wohlstand weiterleben, wenn der Saturiertheit, Ahnungslosigkeit und den Ansprüchen nicht Hy­sterien folgen, sondern stattdessen die Leistungsfähigkeit ins Zentrum rückt. Bescheidenheit muss dem Leben auf Pump Platz machen. Statussymbole treten in den Hintergrund und sind durch Authentizität zu ersetzen. Gesellschaftliche Seilschaften und Filz sind abzuschaffen. Es muss Raum für Kompetenz geben, unabhängig von der gesellschaftlichen Herkunft. Bei der Verteilung von Ressourcen geht es vor allem um die Gleichstellung, beispielsweise bei den Löhnen. Da gibt es Optimierungspotenzial. Die Vermögen sind sehr ungleich verteilt, was mit der Besteuerung zu tun hat. Die Einkommen der Top-Verdiener wachsen sehr stark. Eine Erhebung bei 26 kotierten Firmen zeigt, dass die Bestverdienenden im Schnitt 49-mal mehr verdienen als jene an der untersten Skala. Übrigens gehört die Schweiz zu jenen Nationen, die die Top-Manager am besten salarieren. «Die Schweiz steht früh auf und wacht spät auf», dieses Zitat von Friedrich Dürrenmatt trifft den Kern. Zu beobachten ist dieser Zustand bei der Ar­beits­produk­tivität; es genügt nicht, nur fleissig zu sein. Die neuen Technologien und die Digi­tali­sie­rung können, bei konsequenter Nutzung, zum Ausgleich beitragen. Da gibt es aber Nachholbedarf. Der bestehende Reform­stau ist mit Angst verbunden, die nötigen strukturellen Anpas­sungen vorzunehmen; eine Bedrohung des Wohlstandes.


Visionen für Firmen

Für Firmen gilt, dass sie sich an den Märkten und Produkten der Zukunft orientieren. Eine Diagnose des Ist-Zustands leitet den Prozess der Visionsentwicklung ein. Die Orientierung an den Stärken, Schwächen, Chancen und Gefahren ist auch für Firmen wichtig. Es gibt aber auch andere, zahlreiche Möglichkeiten, das System der Firma im Ist-Zustand zu beschreiben. 

Eine Möglichkeit zeigt die Abbildung. Eine weitere Möglichkeit ist die Beantwortung der folgenden Schlüsselfragen:

  • Strategie: Welches ist die Leitvorstellung zum Geschäft und zum Wettbewerb und welches sind die wichtigsten Elemente zur Umsetzung?
  • Erfolgskritische ​Aufgaben: Welche spezifischen Aufgaben und Prozesse müssen beherrscht werden, um die Strategie zum Leben zu erwecken?
  • Organisation: Welches ist die zweckmässige Führungsorganisation und die erforderliche Führungssystematik?
  • Unternehmenskultur: Welche Werte, Normen, Einstellungen und Hal­tungen müssen zum Leben erweckt werden?
  • Mitarbeiter: Welches sind die Schlüsselfähigkeiten und die erforderliche Leistungsbereitschaft?
  • Leadership: Welches ist die ideale Zusammensetzung des obersten Ma­nagements? Welche Führungsaufgaben, Kommunikation und Führungs­signale sind für die Strategieumsetzung und die Glaubwürdigkeit der Führung entscheidend?

Es empfiehlt sich, in diesem Zusammenhang einen Konsistenz-Check zu folgenden Aspekten durchzuführen:

  • Strategie: Vision und Leitbild, strategische Umsetzung, Businessplan, Jahres- und Leistungsplanung, Controlling und Reporting, Leistungsbeurteilung
  • Erfolgskritische Aufgaben: Markt­analyse, Sortiments- und Produkt­entwicklung, Marktbearbeitung, Verkauf, Service, Personalmarketing und Planung
  • Organisation: Business Units, Managementservice, Führungsinformation, HR-Konzept
  • Unternehmenskultur: Fähigkeit und Wille zu Spitzenleistungen, unternehmerisches Denken/Handeln, lernende Organisation, Vertrauen und Information/Kommunikation
  • Mitarbeiter: Alters- und Geschlechter­struktur, Fluktuation und Kurzabsenzen, Bereitschaft für Sondereinsätze, Schlüsselkompetenzen
  • Leadership: Vorbild, gelebte Vision, unternehmerische Kompetenz, einheitliche Führungssignale, Teamverhalten, Einfluss und Wirkung vor Ort

Diese Aspekte werden auf deren Wirkung und Konsistenz überprüft. 


Zusammenfassung

Zur Entwicklung von Visionen für ganze Län­der und Firmen sind Stärken-Schwächen- und Chancen-Gefahren-Profile notwendig. Die Frage danach, wie gut wir leben ist auf der sozioökonomischen Ebene zu beantworten, sodass qualitative Aspekte Platz finden. Eine weitere Frage ist: Wie gerecht sind die Ressourcen eigentlich verteilt? Hier geht es vor allem um die Gleichheit und Gerechtigkeit der Verteilung vorhandener Ressourcen, Vermögen und Einkommen. Die Frage nach unserer Effizienz stellt vor allem die Arbeitsproduktivität ins Zentrum. Schliesslich beantwortet sie die Frage, was wir unseren Kindern hin­terlassen, nämlich vor allem den Umgang mit der Umwelt.  Zentral für die weitere Entwicklung ist die Überlegung, dass die Natur das Kapital und nicht Einkommen ist. Chancen für die Schweiz ergeben sich vor allem über die Innovationskraft, die Wettbewerbsfähigkeit und die Bildung. Gefahren liegen vor allem im Finanzbereich mit ungehemmten Offshore-Konstruktionen als Schattensteuerparadies und die Reform­unfähigkeit auf der politischen Ebene. Für Unternehmen braucht es für die Visionsentwicklung eine klare Diagnose, die einem Prozessmodell entspricht, und die Überprüfung der Konsistenz und Wirksamkeit auf den Ebenen Strategie, Aufgaben, Organisation, Unternehmenskultur, Mitarbeiter und Leadership.

Porträt