Branchen & Märkte

Wirtschaft und Wohnen

Arbeit und Freizeit rücken näher zusammen

In urbanen Quartieren entstehen Wirtschaftszentren einer neuen Art; deren unternehmerischer Erfolg spiegelt sich nicht zuletzt in der Qualität des urbanen Freiraums. Gleichzeitig wachsen Wohn-, Lebens- und Arbeitsort enger zusammen. Dadurch finden Networking und beruflicher Austausch zunehmend auch im täglichen Ablauf statt.
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Schweizer Städte gewinnen seit rund fünfzehn Jahren als Wohnort stark an Attraktivität. Die Ballung von kulturellen Angeboten, diversen Einkaufsmöglichkeiten, öffentlichen Verkehrsmitteln, attraktiven Arbeitsplätzen, gut ausgebauten Infrastrukturen, Gastronomie und Naherholungsmöglichkeiten zieht vermehrt wieder Menschen zum Wohnen im urbanen Umfeld an. Diese Nachfrage geht zugleich einher mit der geforderten Verdichtung des bebauten Raums. Ein­familienhaussiedlungen unterliegen dem Wandel zu Quartieren mit Mehrfamilien, Wohnblöcke / Towers werden diskutiert und schiessen vermehrt in die Höhe. Es tut sich einiges in unserer Stadt- und Siedlungsentwicklung und mehr ist in der nahen Zukunft zu erwarten.

Urban-lokale Kleinunternehmen

Die Bauverdichtung und die Tertiärisierung unserer Wirtschaft, kombiniert mit den elektronischen Kommunikationsmitteln, ermöglicht die Dezentralisierung der Büroarbeit, und somit engeres Verflechten von Wohn-, Lebens- und Arbeitsort. Alltägliche Nutzungen wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeitgestaltung rücken näher zusammen und Wege werden kürzer. Quartiere werden erneut als relevante Einheit für das Leben betrachtet. Es wird vermehrt möglich, sich zu Fuss und per Velo zu bewegen. Mobilität erhält dadurch einen neuen Stellenwert und nimmt weniger Zeit in Anspruch. Das Mehr an Zeit kommt unmittelbar anderem zugute; da entsteht Raum für Wirtschaftszentren einer neuen Art, auf Kleinstebene.

Im Quartier können Kleinunternehmen starke Synergien aufbauen und das «Städtlileben» in einer neuen Form beleben. So zum Beispiel entstehen gut installierte und vernetzte Coworking-Einrichtungen, die es unterschiedlichsten Kleinfirmen ermöglichen, unter dem gleichen Dach zu arbeiten und die Infrastrukturkosten zu teilen; vom «Einfraubüro» über Start-up bis zur Kulturschaffenden. Deren Arbeitskräfte kaufen in der Nähe ein, essen, trinken, nutzen Kindertagesstätten und andere Serviceleistungen. Mitarbeitende aus lokalen KMU vernetzen sich ebenfalls in diesem Umfeld. Die Leute kennen sich, es entstehen informelle, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Begegnungen. Die Nähe, identitätsstiftende Netzwerke und Orte schaffen soziales Vertrauen und ziehen weitere Menschen an. Es kristallisieren sich neue Ideen, Partnerschaften, Synergien auf einer informellen und einfacheren Basis. Networking und beruflicher Austausch findet nicht nur noch in Wirtschaftsverbänden oder Vereinen statt, sondern im täglichen Ablauf. Eine Quartiergemeinschaft mit wirtschaftlicher Komponente entsteht.

Positive Freiräume schaffen

Bei all dem spielt die Gestaltung der öffentlichen Freiräume eine entscheidende Rolle. Es sind die Orte, an denen sich Menschen begegnen, treffen, erholen, bewegen. Ohne diese Orte der Vernetzung und des Austausches sind alle einzelnen Organisationen wie Inseln in einem unbekannten und vielleicht sogar unbehaglichen Meer. Je attraktiver diese Orte sind, desto lieber bleibt man auch mal stehen und konsumiert spontan oder gezielt. Eine hohe Aufenthaltsqualität fördert somit das lokale Geschäft und die Standortattraktivität dieser Orte.

Öffentliche Freiräume schaffen aber noch viel mehr. Sie können entweder Orte der Begegnung und der sozialen Integration oder aber Orte der sichtbaren Ausgrenzung werden. Die verschiedensten Verhaltensweisen, soziale Gegensätze, Kleidungsstile und Aktivitäten mischen sich, oder eben nicht. Dies kann sich innovationsfördernd und identitätsstiftend auf die Entwicklung unserer Gesellschaft auswirken. Städte sind per se Räume, in denen Gegensätze aufeinanderprallen dürfen und sollen. In gut funktionierenden Freiräumen und Quartieren entstehen solche Begegnungen, und somit findet auch Integration und Innovation statt.

Schlecht funktionierende Freiräume kann aber auch heissen: Nutzungs- und Interessenskonflikte, Sicherheitsverlust, Vandalismus, Unwohlsein, Ghettoisierung, starre Gestaltung, wenig Möglichkeiten zur Aneignung von Eigentum, hohe Unterhaltskosten, um nur einige Punkte zu nennen. Dabei will der öffentliche Freiraum immer vielfältiger und intensiver genutzt werden. Es gilt also, diese urbanen Räume so zu gestalten, dass weder Identität noch Freiräume verloren gehen, sondern – wo immer möglich – neue entstehen. Freiräume sind die Visitenkarte eines Quartiers, ja sogar einer Stadt und es soll entsprechend darauf geachtet werden.

Nutzerorientierte Gestaltung

Damit die nötige Diversität gewährleistet ist, keine sozialen Trennungen entstehen, und damit auch die Konfliktpotenziale vermieden werden, müssen die Freiräume verschiedene Funktionen gewährleisten: Mobilitätswege, Rückzugsorte, Flanierbereiche, Übergangszone zwischen öffentlichem und privatem Bereich, Austausch-, Aktivitäts- oder sogar Veranstaltungsorte. Der Freiraum soll übersichtlich und lesbar genug sein (was kann / darf ich hier machen), damit sich die Leute zurechtfinden. Es sollen mehrere Funktionen möglich sein, aber zwischeneinander strukturiert.

Damit dies möglich ist, braucht es eine möglichst nutzerorientierte Gestaltung der urbanen Freiräume. Diese fängt bereits im nahen Wohnumfeld an, gleich bei den Gebäudeeingängen, und geht bis zu grösseren öffentlichen Plätzen und Stras­sen. Dafür ist die Zusammenarbeit zwischen Unterhalt, Sicherheit, Sozialem und Gewerbe, zwischen Einwohner, Liegenschaftsverwaltungen und externen Benutzern zentral. Städte getrauen sich oft nur, sich mit dem breiten öffentlichen Bereich auseinanderzusetzen, aber es ist erfolgsrelevant, dass auch Impulse aus dem lokalen Gewerbe kommen. Und zwar nicht nur punktuell, im Sinne einer Interessengemeinschaft, die sich gegen eine kleine Änderung oder für kosmetische Massnahmen einsetzt, sondern im Sinne eines am ganzen Quartierleben interessierten Partners.

Planung und Bewirtschaftung

Die Gestaltung des direkten Wohnumfeldes lässt sich am besten mit einem gut moderierten partizipativen Prozess planen und umsetzen. Kinder sind hier oft unsere Vorbilder, denn sie selber wissen genau, was ihnen gefallen würde, identifizieren sich damit und tragen dazu Sorge. Doch auch die bisweilen weit auseinandergehenden Ansprüche der Erwachsenen aller Alterskategorien können mit einem partizipativen Ansatz gut integriert werden.

Ganz ähnlich spielt es sich im öffentlichen Raum ab. Auch da müssen viele Interessensgruppen und deren Ansprüche in den Planungsprozess einbezogen werden. Gemeinsam sollen Fragen diskutiert werden wie: Welche Funktion hat der öffentliche Freiraum und wie soll er genutzt werden? Wie entwickelt sich der Ort und wie kann die Entwicklung gelenkt werden? Welche Identität hat der Ort und wie kann sie bewahrt werden? Diese und auch weitere Fragen müssen jeweils sehr ortsspezifisch betrachtet werden und führen dann zu stark individuellen Lösungen. Der Austausch von Erfahrungen ist dabei sehr wertvoll.

Es gilt dabei der Grundsatz, nur so viel wie nötig zu gestalten und den Rest der spontanen Aneignung zu überlassen. Dadurch wird einem Raum auch das nötige Entwicklungspotenzial gewährt. Natürlich bedingt dies von Beginn weg offene Liegenschaftsverwaltungen, motivierte Gemeindeangestellte, fachkundige Landschaftsarchitekten, proaktive Gewerbeangehörige und nicht zuletzt innovative Investoren.

Und es braucht eine formelle oder informelle Organisation der Akteure, die sich mit den unterschiedlichen Aneignungen des Freiraumes proaktiv und ständig auseinandersetzt. Nur so kann sich der Freiraum als wesentlicher Sauerstoffträger von lebendigen, lokalen Wirtschaftsclustern einer neuen Art entfalten.

Porträt