2. Innovationen geraten zum Zufall
Nahezu alle Unternehmen und Unternehmensbereiche berichten uns, sie verfügten über einen durchgängigen Innovationsprozess. Es zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass dieser Innovationsprozess oft nicht nur lückenhaft ist, sondern dass sich Unternehmen zu oft etwas vormachen, denn: Von einem Prozess zu sprechen, der ein strukturiertes Herangehen unterstellt, wenn aber nur sehr rudimentäre Vorstellungen davon existieren, wie ein solcher Prozess aussieht, ist Schönfärberei. Wie aber sollen Innovationen entstehen – man wende jetzt bitte nicht ein, Innovationen würden häufig zufällig entstehen –, wenn es keine strukturierte Herangehensweise gibt, wenn sich nicht jeder Unternehmensbereich mit Innovationen auseinandersetzt, ganz unabhängig davon, ob es sich um eine kunden- oder produktbezogene Innovation oder eine interne Leistungsinnovation handelt? Auch der Einwand, man hätte in diversen Qualitätsmanagementsystemen einen Innovationsprozess verankert, zieht nicht, denn hier werden zu selten die ersten Schritte, nämlich das Generieren einer Innovation, abgebildet. Wenn wir davon ausgehen, dass Wachstum nicht aus «mehr des Gleichen», sondern aus Innovationen entsteht, ist hier eine erhebliche Wachstumsbremse enthalten.
3. Belohnungs- und Messsysteme stehen den Absichten im Weg
Auskunftsfreudig werden Gesprächspartner immer dann, wenn es um Zahlen, Daten, Fakten geht, denn fast kein Unternehmen gibt sich die Blösse des Nicht-Messens. Die Frage ist, was genau gemessen wird. Zu häufig sind in den Prozessen Messgrössen unterlegt, die zwar den Input, nicht aber den Output messen. Die Maschinen- oder Personenauslastung zum Beispiel ist ein völlig ungeeignetes Messinstrument, wenn es darum geht, Wachstum zu erzeugen, denn was nützt die beste Auslastung, wenn nicht an den richtigen Dingen gearbeitet wird? Was nützt es, wenn der Produktionsleiter sagen kann, er habe einen ordentlichen Durchsatz erzielt und die Stückkosten gesenkt, wenn es klüger gewesen wäre, die Produktion für einen wichtigen Auftrag zu unterbrechen? Was nützt es, wenn die Logistik sich damit brüstet, die Kosten gering gehalten zu haben, wenn einige Sonderfahrten einen guten Kunden bei der Stange gehalten hätten oder wenn der Vertrieb mit nur wenig höheren Logistikkosten einen Top-Kunden mit hoher Rentabilität hätte akquirieren können?
Dutzende weiterer belegter Ursachen für interne Wachstumsbremsen könnten hier folgen, doch ist der Platz an dieser Stelle begrenzt. Man erlaube mir noch eines anzumerken – und vielleicht ist dies der wichtigste Punkt: Die Unternehmensführung steht sich mitunter selbst im Weg. Wenn wir unsere Handlungsempfehlung vorlegen, ist dies stets von hoher Akzeptanz geprägt. Teilweise empfehlen wir Bekanntes, teilweise Neues, stets aber ist erkennbar, dass es sich tatsächlich um die drängendsten Themen handelt, derer sich das Unternehmen annehmen muss. Nicht selten finden Unternehmensführungen dann aber Gründe, sich nicht um diese, sondern um andere Themen zu kümmern. Die Hauptgründe? Interne Politik, zu viele andere (weniger wichtige!) Projekte und die Scheu vor der Ungewissheit. Der bisherige Gipfel war eine E-Mail eines Mitglieds der Unternehmensführung an mich: «... auch wenn Ihr Thema interessant ist, werden wir … dies nicht weiter verfolgen.» Es war nicht «mein Thema», sondern der akzeptierte Kernaspekt mangelnden Wachstums des Unternehmens, es war nicht «interessant», sondern – auch nach Erkenntnis der Unternehmensführung – vital für das Unternehmen. Und es nicht anzugehen, wird dieses Unternehmen in zwei Jahren in raues Fahrwasser führen.
Diejenigen Unternehmen, die sich ihrer erkannten Kernthemen hingegen ungeachtet unternehmenspolitischer Rahmenbedingungen und möglicher konkurrierender Aktivitäten konsequent annehmen, werden auf die Überholspur gehen. Möge der geneigte Leser ein solches Unternehmen führen.
Professor Dr. Guido Quelle ist geschäftsführender Gesellschafter der Mandat Managementberatung. www.mandat.de, guido.quelle [at] mandat.de