Wenn es um die Frage geht, was kleine und mittelgrosse Unternehmen dazu befähigt, sich dauerhaft gegen die Konkurrenz der Grosskonzerne zu behaupten, fallen häufig Begriffe wie «schlanker, flexibler, schneller und innovativer». Diese Zuschreibungen kommen nicht von ungefähr. Die Führung ist pragmatisch, die Nervenbahnen sind kurz, die Mitarbeitenden sind engagiert und verkörpern den Unternehmenszweck.
Gerade bei inhabergeführten Unternehmen zahlt sich die Nähe der Chefs zum Betrieb aus, wenn es auf sofortige Entscheidungen ankommt. Hier funktioniert vieles auf Zuruf und dem kurzen Dienstweg, das bei Grossunternehmen erst einen langen Weg durch hierarchische Instanzen nehmen muss.
Wachstum durch Projekte
Wenn ein kleines oder mittelgrosses Unternehmen wächst, muss es darauf achten, diese Vorzüge gegenüber den Riesen in seiner Branche nicht zu verlieren. Denn jedes Wachstum hat einen Preis. Und je grösser ein Unternehmen wird, desto schwerfälliger wird es. Es mutiert vom Motorboot eines wendigen Start-ups über das bewegliche KMU zu einem trägen Ozeanriesen, dessen Dimensionen zwar beeindrucken, der aber kaum noch zu steuern ist.
Alle kleinen und mittelgrossen Unternehmen, die auf Wachstum programmiert sind, stehen irgendwann vor den gleichen Herausforderungen. Die wirtschaftlich bedeutenden Aufträge und die Massnahmen lassen sich mit den modifizierten Bordmitteln der Linienorganisation nicht mehr bewältigen. Sie werden zu eigenständigen Projekten. Die grossen Projektstandards allerdings schrecken ab, weil sie ihren Nutzern ein enormes Regelwerk aufbürden, das für viele Vorhaben überdimensioniert ist. Schnell hat man als Inhaber oder Geschäftsführer das Gefühl, nicht mehr Herr im Haus zu sein, weil die klassische Projektwelt mit ihren starren Plänen ein flexibles Eingreifen, selbst aus wichtigem Grund, sehr schwierig macht.
Besonders Projekte in der Produktentwicklung entpuppen sich als tückisch. In ihnen müssen extrem anspruchsvolle Entwicklungen nicht nur von Fachexperten gemacht werden, deren Individualität schon für sich eine grosse Herausforderung ausmacht. Beteiligt sind neben den Mitgliedern im Projektteam auch andere Kräfte: der Einkauf, der für die Materialien sorgt, die Zulieferer, die Komponenten und Rohstoffe beisteuern und einige andere mehr. All diese Faktoren machen die Produktentwicklung komplex, kostenintensiv und damit riskant. In kaum einem anderen Bereich ist es nötiger, ein Verfahren zur Hand zu haben, das Dinge schnell, günstig und erfolgssicher auf den Weg bringt.
Agile Methoden
Mittlerweile gibt es zwar viele Versuche, das Projektmanagement zu verschlanken, um es besser auf kleinere Organisationen skalierbar zu machen. Dennoch benötigen kleine und mittelgrosse Unternehmen ein intelligenteres Verfahren, das ihren Geschwindigkeitsvorsprung nicht nur sichert, sondern sogar noch weiter ausbaut. Wenn von Natur aus wendige Mittelständler mit Instrumenten arbeiten, die sie eher ausbremsen als beschleunigen, beeinträchtigt das ihre Wettbewerbsfähigkeit. Was läge also näher, als eine Projektmethode zu wählen, welche die Vorzüge einer flexiblen Organisationsform ausdrücklich zur Geltung bringt, weil sie auf den gleichen Prinzipien beruht, die das Unternehmen bereits auszeichnen?
Das agile Projektmanagement ist diese Methode. Ursprünglich in der IT beheimatet, um komplexe Softwareentwicklungen mit den gewünschten Funktionen, in Time und innerhalb des Budgets abzuschliessen, lässt sie sich heute auch auf andere Projekte im Produktionsbereich und im Dienstleistungssektor übertragen. Gerade in Forschung und Produktentwicklung hat «Agile» (englisch) mittlerweile seine Feuerprobe bestanden und bewiesen, dass es eine zukunftsfähige, menschengerechte Erfolgsmethode für alle Unternehmen ist, die sich an komplexen Projekten die Zähne ausbeissen oder ganz darauf verzichten, weil sie deren Risiken eher fürchten, statt entschieden auf ihre Chancen zu setzen.
Ausserdem bietet das agile Denken und Handeln noch eine weitere unschätzbare Perspektive. Da seine Leitplanken nicht in projektspezifischen Regeln, Werkzeugen und Methoden bestehen, sondern durch die universellen Faktoren Zeit und Takt beschrieben werden können, lässt sich die Agilität aus der Projektarbeit ins gesamte Unternehmen und auf alle seine Prozesse übertragen. Ein kleines oder mittelgrosses Unternehmen kann so sehr «agilisiert» werden, dass sich «schlank, schnell, anpassungsfähig und innovativ» vom allgemeinen Vorteil zum entscheidenden Erfolgshebel auswachsen. Das agile Unternehmen ist von einem neuen Geist ergriffen. Es ist bärenstark, aber dennoch flink und flexibel, wenn neue Herausforderungen warten und Wirtschaftskrisen an die Tür klopfen.
Arbeiten wie die Kinder
«Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …», so heisst es in der Bibel, und gemeint ist damit nicht, wieder in Gummistiefeln Bäche zu stauen. «Wie die Kinder zu werden» bedeutet, ohne Vorbehalte neugierig und frei zu sein, sich mit leuchtenden Augen und unbegrenztem Optimismus in neue Abenteuer zu stürzen und die Welt als grosses Wunder zu begreifen. Und es ruft dazu auf, das Leben spielerisch zu meistern und sich keinem starren Plan auszuliefern – ganz egal, welche Herausforderungen auch warten. Wer Kindern beim Spielen zusieht, ist fasziniert vom unglaublichen Flow, in den sie eintauchen können. Sie sind dann so fokussiert, so vertieft in ihre Beschäftigung, dass die Welt um sie herum einfach verschwindet.
Doch obwohl es fast selbstvergessen wirkt – diese spielenden Kinder haben ein Ziel. Manchmal ist es noch gar nicht fest definiert, sondern existiert nur als ungefähre Vorstellung im Kopf, was das Ergebnis werden und können soll. Sie probieren zielgerichtet herum. Sie verwerfen das Erfolglose und entdecken neue Konzepte, sie stecken Rückschläge weg und feiern im Minutentakt neue Erfolge. Aber sie rasten und ruhen nicht, bis sie das ersehnte Ziel erreicht haben.
Schöpferische Leitplanken
Das klingt natürlich nach einem schönen Ideal, ist aber oft die kindliche Realität. Vom gleichen Schöpfergeist wie diese Kinder sind auch junge Forscher und Ingenieure beseelt, bis sie vom formalisierten Wissenschaftsbetrieb gelähmt oder von dominanten Projektstandards domestiziert werden. Wäre es nicht wünschenswert, diese Fesseln des Formalismus und des Denkens in Grenzen zu sprengen, ohne den Fokus zu verlieren? Mit der agilen Methodik wird das möglich. Sie stellt eine im Herzen optimistische, menschenfreundliche sowie gehirngerechte Herangehensweise dar, getragen von einem positiven Menschenbild, das auf ein natürliches Feuer in jedem Einzelnen setzt, das nur genährt und am Brennen gehalten werden muss. Ihre Fehlerkultur setzt nicht auf Verurteilung des Vergangenen, sondern auf Erkenntnisgewinn aus Ursachen und den sofortigen Transfer des Erkannten in den Entwicklungsprozess. In ihr werden Mitarbeiter und Teams nicht auf Schienen gezwungen, sondern können im kreativen Raum zwischen Leitplanken gemeinsam ein Ziel erreichen.
Eine dieser Leitplanken ist die Zeit. Sie wird zum begrenzenden Faktor. Die andere ist der Fokus – Ergebnisse, die im festen Takt erbracht werden, aber ohne die Fussfesseln dominanter Projektmethoden, die das Schöpferische im Regeldickicht ersticken. Das iterative und inkrementelle Vorgehen in vielen kleinen Schritten bei einer disziplinierten Taktung über tägliche Dailys, zweiwöchige Sprints und dem Vorhaben angepasste Etappen (meist 12 Wochen), macht intensive Kommunikation und einen mitreissenden Flow möglich. Es erlaubt ein effektives Controlling und garantiert eine flexible Lenkung – nicht nur von Produktentwicklungsprojekten, sondern von Vorhaben aller Art bis hinauf zur Steuerung eines ganzen Unternehmens.
Was agile Projekte ausmacht
Ein agiles Projekt besteht aus drei grundsätzlichen Elementen, die den zeitlichen Ablauf bestimmen. In einem Daily kommen die Teammitglieder täglich zusammen, um die Ergebnisse des vergangenen Tages vorzustellen, zu bewerten und neue Pläne für den vor ihnen liegenden Tag zu schmieden. Ein Sprint besteht meistens aus zwei Wochen, eine Etappe aus sechs Sprints. Das Projekt selbst wird in eine frei festzulegende Zahl von Etappen geplant.
Jedes Element besitzt eine eigene Grobplanung, was in der entsprechenden Zeit vermutlich erreicht werden kann. Diese Planung ist kein goldenes Kalb und von einem Geist der Flexibilität getragen. Das aus klassischen Projekten bekannte Beharren auf längst zweifelhaft gewordenen Planungen gehört der Vergangenheit an. Wenn dienstags ein Problem auftritt, fällt es mittwochs auf – und nicht erst Tage oder Wochen später, wenn jede Korrektur bereits teuer und langwierig geworden ist.
Natürlich erfolgt die Einführung dieser Vorgehensweise auch agil in Form eines iterativen beziehungsweise eines inkrementellen Veränderungsprozesses, aber konkret an einem Projekt, oftmals im Bereich Forschung und Entwicklung. Die idealen Voraussetzungen, die sich in der Praxis bewährt haben, sehen folgendermassen aus:
Für Projekt und Team:
- Ein Pilotprojekt im Fokus des Managements.
- Ein cross-funktionales Team mit allen notwendigen Fähigkeiten.
- Die Kernteammitglieder arbeiten (fast) ausschliesslich an diesem Projekt.
- Alle Teammitglieder kennen die Grundlagen des agilen Handlungsrahmens («Agile Team Workshop», Schulung).
- Das Team hält sich diszipliniert an den Handlungsrahmen.
Im Hinblick auf Rollen und Methode:
- Die Rollen müssen besetzt sein (mindestens Produkt Owner und Team).
- Ein interner «Agile Coach» ist nach dem ersten Sprint definiert.
- Ein «Agile Change Agent», der Treiber des innerbetrieblichen Rollout, ist etabliert.
Für das Management:
- Das Projektziel ist klar definiert.
- Das Management unterstützt bei der Beseitigung von Hindernissen und demonstriert so sein Commitment.
- Alle Abteilungsleiter, deren Mitarbeiter agil arbeiten, müssen am «Agile Workshop» teilgenommen und den Ansatz verstanden haben.
- Der Projektverantwortliche kann sich mit dem agilen Projektmanagement identifizieren.
Für Infrastruktur und Umfeld:
- Ein exklusiver Team-Raum (ein gemeinsames Büro oder mindestens ein gemeinsamer Meetingraum) ist vorhanden.
- Ein «Agile Board» (Grösse zirka 2 × 5 Meter) zur Visualisierung steht zur Verfügung.
- Das Team befindet sich an einem Standort.
- Die Bereitschaft für Veränderung auf allen Ebenen ist vorhanden.
Dies sind wie gesagt Bedingungen, die sich in Unternehmen als günstig erwiesen haben, die Agile» bereits erfolgreich eingeführt haben. Kleine und mittelgrosse Unternehmen, die ihre ersten Schritte in diese Richtung unternehmen, müssen Know-how und Implementierung in aller Regel extern einkaufen – sei es, dass sie einen fürs agile Arbeiten qualifizierten und zertifizierten Mitarbeiter einstellen oder dass Sie einen Berater ins Haus holen, der sie fit für die neuen Konzepte macht. Im Erfolgssinn empfiehlt es sich, mit einem realen anspruchsvollen Projekt zu beginnen, um die agile Methodik exemplarisch für alle folgenden Vorhaben zu implementieren. Dieses «Lernen am lebenden Objekt» ist didaktisch weitaus versprechender, als die innovative Systematik vom theoretischen Reissbrett aus einzuführen. In der Praxis ist es häufig so, dass Unternehmen mit grossen Projekten starten, die mit klassischen Projektmethoden in die Krise geraten sind.
Schlussbemerkung
Die extrem kurze Taktung, in der Ergebnisse geliefert werden, macht das agile Vorgehen extrem motivierend. Jeden Tag ist ein neues Erfolgserlebnis für alle möglich. Der Rückschlag von gestern wird zum Quantensprung von morgen. Siloarbeit mit schleichender Entfremdung vom Projektziel gehört der Vergangenheit an, und umfassende Kommunikation tritt an die Stelle eines schweigenden Nebeneinanders, bei dem die linke Hand nicht weiss, was die rechte tut. Die Projektlaufzeiten verkürzen sich, die Kosten sinken und die Fehlerquote verbessert sich. Mit seiner hohen Dynamik und seinen begeisternden sozialen Komponenten infiziert der agile Spirit das gesamte Unternehmen. Und so macht es dieser Spirit auf Dauer zukunftsfähig.