Die strategische Falle von Verbesserungsinitiativen

Die meisten Führungskräfte setzen auf zahlreiche operative Verbesserungsprogramme, um die wirtschaftliche Situation ihres Unternehmens zu verbessern. Dazu gehören unter anderem Prozessverbesserungen, Qualitätsini­tiativen, Verbesserung der Zusammenarbeit und dergleichen mehr. Das Problem: die schrittweise Verbesserung bestehender Abläufe und Produkte ist zwar notwendig, reicht aber bei Weitem nicht aus, um wirtschaftlichen Erfolg auf Dauer sicherzustellen. Im Gegenteil: Viele Manager sind so fokussiert auf die Gegenwart und deren Verbesserung, dass sie darüber kaum noch Zeit haben, die Zukunft zu gestalten. Schlimmer noch: Ein zu starker Fokus auf Verbesserungsprogramme kann die Unternehmenskultur so stark beeinflussen, dass die Mitarbeiter – Führungskräfte und Geschäftsleitung eingeschlossen – für wirklich wichtige strategische Weichenstellungen geradezu blind werden.

Der vorliegende Artikel erläutert die These, dass es für dauerhaften Erfolg oft eine radikale Neufokussierung braucht, weg von der Verbesserung der Gegenwart, hin zur Gestaltung der Zukunft. Führungskräfte, die diesem Leitgedanken folgen, erhalten Hilfestellung und Ideen, wie sie die Richtungsänderung einleiten und erfolgreich gestalten können.

Es gibt zahlreiche Bücher und Studien zu den Kriterien langfristig erfolgreicher Organisationen. Die Listen mögen sich in den Details unterscheiden, je nach Schwerpunkt der Untersuchungen. Trotzdem haben sie ein Erfolgsmerkmal immer gemein: Die besten Organisationen haben Führungskräfte, die sich sehr klar sind über den Sinn und Zweck ihres Unternehmens und die strategische Ausrichtung. Sie sind auch extrem gut darin, diese wichtigen Grundpfeiler so einfach darzustellen, dass die Mitarbeiter mehr werden als nur «Mit-Arbeiter», sondern überzeugte, manchmal geradezu begeisterte Unterstützer der Unternehmensmission und Strategie.

Zur Klarstellung ist es wichtig zu erwähnen, dass dies keineswegs blinde Gefolgschaft oder die Marketing-gerechte Vereinfachung von Botschaften meint. Im Gegenteil, damit jedes Mitglied einer Organisation der Strategie gerne(!) folgt, muss diese schlüssig, glaubwürdig und attraktiv für jeden Einzelnen sein. Im Gegensatz zur (oft unbewussten) Überzeugung nicht weniger Manager sind die Mitarbeiter eines Unternehmens keine beliebig manipulierbare Masse, sondern handeln erstaunlich schlüssig im eigenen Interesse.

Was heisst das nun für erfolgreiche Unternehmen? Unter dem Strich kann man sagen, dass die besten Organisationen mehr Gedanken auf die Zukunft und weniger auf die Gegenwart verwenden. Dadurch schaffen sie Klarheit, Konsistenz und Fokus für ihre künftige Positionierung. Hierfür reichen oft schon kleine, aber entscheidende Anpassungen wie z. B.

› Zehn Prozent mehr Zeit in Leadership Team Meetings: wird über das ideale Szenario der Zukunft und den Weg dorthin geredet, anstatt über Details der letzten Qualitätsinitiative, selbst wenn diese auf hübschen Folien aufbereitet sind.

› Zehn Prozent mehr Zeit interner Arbeitsgruppen: wird über Ideen für künftige Kundengruppen diskutiert, anstatt über die Optimierung der letzten Angebote.

› Zehn Prozent des Mitarbeiter-Bonus: wird für den Beitrag zur Gestaltung der Zukunft, anstatt für aktuelle Performance gezahlt.

Die Beispiele liessen sich nahezu beliebig fortsetzen. Entscheidend ist, dass Erfolg meist keine revolutionär neuen Ansätze erfordert, sondern konsequent etwas mehr an der Zukunft und (fast wichtiger) etwas weniger an der Gegenwart zu arbeiten.

Eine wirkungsvolle Strategie bündelt alle Aktivitäten und Kräfte einer Organisation zur Erreichung der strategischen Ziele und Erfüllung der Vision. Eine gute Strategie fördert vor allem eines: Fokussierung. Das ist, warum Unternehmen wie Apple so erfolgreich sind, und andere, die sich verzetteln, eben nicht. Deren Kräfte gehen nämlich in diversen Programmen verloren, ohne dass irgendwo wirklich Pflöcke eingeschlagen werden.

Damit man fokussieren kann, müssen zunächst einmal die Ziele klar sein. Und wenn mehr als drei Personen beteiligt sind (was in den meisten Unternehmen der Fall ist), dann ist auch eine schlüssige und motivierende Vision unabdingbar. Das ist nichts anderes als sich darauf festzulegen, wann man was in welchem Gebiet erreicht haben will. Genau darin liegt für die meisten Führungskräfte die grösste Schwierigkeit überhaupt: in der Festlegung auf eine grosse Stossrichtung und auf wenige überzeugende und herausfordernde strategische Ziele. Denn Fokussierung auf wenige Dinge heisst vor allem eines: Die Entscheidung darüber, was man künftig eben nicht machen will. Und genau deshalb, weil viele Manager diese Entscheidung nicht machen oder nicht durchsetzen, laufen viele Verbesserungsinitiativen ins Leere.

Abbildung 1 stellt den Zusammenhang zwischen Strategie und Verbesserungsinitiativen dar. Man stelle sich die Vision und die strategischen Ziele als Idealzustand dar, den es zu erreichen gilt. Auf der anderen Seite haben wir den heutigen Zustand. Die Verbindung zwischen beiden ist die Strategie, umgesetzt durch strategische Initiativen.

Organisationen, die sich auf wenige strategische Themen fokussieren, leiten nun aus diesen Zielen diejenigen Initiativen ab, die sie am schnellsten und sichersten zur Vision führen. Sie planen retrograd: «Was muss ich tun, um die Strategie umzusetzen?», anstatt «Was kann ich tun, um den heutigen Zustand zu verbessern?» Der Effekt: Die Kräfte werden auf genau diejenigen Aktivitäten gebündelt, die am erfolgsversprechendsten sind, eben genau weil sie strategisch festgelegt wurden.

Die Realität in vielen Unternehmen sieht komplett anders aus (siehe Abbildung 2). Eine Vision und strategische Ziele existieren manchmal gar nicht, oft nur auf dem Papier, oft nicht schlüssig, sehr oft nicht kommuniziert und verstanden. Stattdessen werden viele Ressourcen in die Verbesserung der derzeitigen Situation gesteckt, in der Hoffnung (oder im festen Glauben), das Unternehmen dadurch erfolgreich im Wettbewerbsumfeld zu positionieren, und sei es auch nur durch Kosteneinsparungen. Das ist das Gegenteil von strategischem Fokus. Was ist das Problem? Jede Organisation verfügt nur über begrenzte Mittel. Diejenigen, die diese Mittel gebündelt einsetzen, ausgerichtet auf wenige Ziele, erlangen einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber den «kontinuierlichen Verbesserern».

Um eines klarzustellen: Es ist absolut erforderlich und sinnvoll, den gegenwärtigen Zustand zu verbessern. Nur sollte das in denjenigen Gebieten gemacht werden, die mit der strategischen Ausrichtung übereinstimmen. Wie erreicht man nun als Führungskraft die Übereinstimmung zwischen Strategie und Verbesserungsprogrammen?