Pünktlich zum Beginn des Arbeitsalltags im neuen Jahr ist sie da: die Gewissheit der Völlerei und damit die Gewissensbisse. Schliesslich war Völlerei eine der Todsünden in Sodom und Gomorra. Plötzlich ist auch die Einsicht da, dass die Kalorienzufuhr schon während der Adventszeit fast unmerklich erhöht wurde. Beginnend mit den ersten Guetzli und den Lebkuchen über die Spanischen Nüssli bis hin zu den Fondues und Raclettes gefolgt von gestopften Gänsen, Filet im Teig und dem guten Wein, der jeweils nicht fehlen durfte.
Kein Wunder zwingt die späte Reue viele Menschen ins nächste Fitnesscenter, das geschickt zu nutzen weiss, dass jetzt ist die beste Jahreszeit zur Rekrutierung neuer Kunden ist. Nur zu gerne, will man glauben, dass bis zur Bikinizeit genug Busse getan wurde.
Set-Point-Theorie
Die gute Nachricht ist, dass das individuelle Körpergewicht genetisch festgelegt ist. Das zeigen die Studien zur sogenannten Set-Point-Theorie. Diese besagt, dass der Körper von gesunden Menschen sein Gewicht von selbst reguliert. Demnach steuert der Körper einer Gewichtsveränderung beharrlich entgegen. Wird viel gegessen, wird mehr ausgeschieden. Wer also über die Festtage ein wenig über die Stränge geschlagen hat, braucht sich kein Gewissen zu machen.
Wird allerdings dauerhaft zu viel gegessen, gewöhnt sich der Körper mit der Zeit daran und setzt das Körpergewicht neu an. Das ist die schlechte Nachricht. Wird danach über längere Zeit weniger gegessen, wie bei einer Diät, schaltet der Körper auf eine Art Not-Modus um. Er baut nun seine Reserven mit höherer Effizienz auf, um das Gewicht möglichst halten zu können. Der so optimierte Stoffwechsel wird beim Absetzen der Diät jedes Gramm Fett sogleich verwerten, was den Jo-Jo-Effekt erklärt.
Die Forschung auf diesem Gebiet lässt vermuten, dass man wohl auf das festgelegte Körpergewicht (fast) keinen Einfluss hat. Man muss sich also entweder aufgrund der Mode dauerhaft unterernähren oder sich mit seinem «natürlichen» Gewicht abfinden. Es liegt auf der Hand, dass erst die Menschen, die ihr Gewicht akzeptieren, ganz ohne Schuldgefühle auf die schönen langen Winterabende unter Freunden zurückblicken können.
Geniessen lernen
Für jene, die diesen Punkt erreicht haben - und das sind offenbar nicht wenige -, gibt es eine Steigerung: die Genusstrainings. Ähnlich wie bei den Achtsamkeits-Workshops, wird beim Genusstraining den Teilnehmenden erst einmal viel Zeit abverlangt. Jedem Lebensmittel wird Besonderheit attestiert. Dank des Genusstrainers wird so aus einem gewöhnlichen «Härdöpfel» eine «Bergkartoffel aus dem Albulatal», aus biologischem Anbau und mit eigener Geschichte und Webseite. Natürlich werden diese besonderen Kartoffel anschliessend mit Bedacht und vollster Aufmerksamkeit verkostet.
Geniessen kann man zwar bestimmt auch ohne einen Trainer. Doch man sollte es auch ab und zu ganz bewusst tun. Denn in einer Zeit, wo Herausforderungen, Zeitdruck und hohe Leistungsanforderungen zum Alltag gehören, kann Genussfähigkeit vor den negativen Auswirkungen vieler Stressoren schützen. Ein lustiger Abend in Gesellschaft mit einem feinen Essen und gutem Wein ist schliesslich Balsam für jede Seele. Diesen Genuss sollte man sich gönnen.