Gerade im Gesundheitsbereich ist das aber aus Datenschutzgründen heikel. Wie vereinbaren Sie AI mit den Datenschutzvorschriften?
Steiger: Man sollte die Leute belohnen, die für medizinische Forschungen ihre Daten zur Verfügung stellen, zum Beispiel durch niedrigere Krankenkassenprämien und auf keinen Fall noch bestrafen, indem man diese erhöht oder die betreffenden Personen gar aus der Versicherung ausschliesst.
Fitze: Datenschutz ist wichtig, dadurch entsteht Rechtssicherheit. Die wichtigen Fragen sind: Wie handle ich, wenn ich Daten besitze? Weiss ich, was mit den Daten passiert? Wir müssen uns darüber klar sein, dass man heute gläsern und transparent ist, zum Beispiel bei sozialen Medien. Wenn man mit AI Daten auswertet, hat man die Chance zu mehr Objektivität. Nehmen wir das Beispiel Stellenbewerbung. Der Personalleiter selektioniert gemäss seinen Massstäben und seinem Gutdünken. Wenn man den Prozess in Algorithmen umsetzt, kommt es auf die Kriterien an, die man diesen zugrunde legt. AI ist eine Chance für uns, solche Prozesse fairer zu gestalten.
Steiger: Die AI zwingt Menschen, über moralische und ethische Normen nachzudenken, darüber, was richtig und falsch ist. Das ist gesund für die Gesellschaft. Wir sind durch die AI weniger einer Einzelperson ausgeliefert, die über uns entscheidet und das auch nach Sym- oder Antipathie, sondern können objektivere Massstäbe setzen. Beispiele: Ein Ingenieurbüro stellte Videoaufnahmen her für den HR-Auswahlprozess. Dieses Prozedere schied die Frauen in der ersten Runde aus, da bei den Videoaufnahmen nie eine Frau zu sehen war. Daraus können wir lernen, den Set-up so zu wählen, dass er auch Frauen akzeptieren kann. Mittels Texterkennung gibt es die Möglichkeit für Anwälte, die richtigen Gerichtsverhandlungen für einen bestimmten Fall auszusuchen, vom Algorithmus ein Resultat zu bekommen und dieses dann nach gesundem Menschenverstand auszuwerten. So spart man viel Zeit.
Wie wirkt sich die KI auf die Arbeitsplätze aus?
Steiger: Da gibt es viele Möglichkeiten. Wir haben zum Beispiel eine soziale Fürsorgepflicht gegenüber Menschen mit Behinderungen. Kognitive Technologien ermöglichen solchen Menschen den Einstieg in die Arbeitswelt, fördern ihren Wiedereinstieg und bieten ihnen die Möglichkeit, ihren Arbeitsplatz zu behalten oder einen neuen zu finden. Es gibt zum Beispiel ein spezielles Armband für Menschen mit Parkinson, das ihnen erlaubt, ruhig zu schreiben oder zu zeichnen. Das kann etwa einem Grafiker erlauben, seinen Beruf weiter ausüben zu können. Dank solchen Technologien könnte man auch bei der IV viel Geld sparen.
Wie beurteilen Sie den Reifegrad der KMU in Bezug auf künstliche Intelligenz?
Fitze: Wir verfügen schon über gute industrielle Anwendungen der AI, jetzt ist die richtige Zeit, um auf den Zug aufzuspringen. Die Geschwindigkeit in anderen Ländern wird erhöht, und unsere KMU können die Chance packen. Zum Beispiel können die Verbände die KMU in dem Bereich fördern. Wichtig ist die Weiterbildung, man muss herausfinden, was sinnvolle erste Schritte sein können.
Welche Tipps würden Sie den KMU geben, um sich auf die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz vorzubereiten?
Steiger: Bei solchen Fragen macht die Technologie nur 10 Prozent aus und bei 90 Prozent geht es um die Menschen. Sehr wichtig ist die Aufklärung, was heute möglich ist. Heute haben viele Leute Angst vor neuen Entwicklungen, die aber oft auf Eindrücken basieren, die man durch die Medien bekommt, zum Beispiel den Eindruck, dass Roboter den Job wegnehmen. Für vieles werden Algorithmen benutzt, zum Beispiel wenn man etwas bestellt und dann die Information bekommt, welche Produkte auch noch in Frage kämen. Es braucht in den Unternehmen Aufklärung durch die Geschäftsleitung oder den Verwaltungsrat darüber, was möglich ist, welche Schritte unternommen werden und welche Chancen für die Mitarbeitenden bestehen. Der Einsatz neuer Technologien hat oft auch positive Auswirkungen. Man muss sich auch darüber informieren, was die Angestellten gern und weniger gern machen.
Fitze: Das ist wie beim Glas, das man als halb voll oder halb leer betrachten kann. Wir sind dafür, diese Entwicklungen positiv und als Chance zu sehen. Ganz wichtig: Die KMU können den ersten Schritt tun, bevor es andere machen. Man kann zum Beispiel mit Hochschulen praktische Partnerschaften eingehen. Ich rate den KMU, nicht in erster Linie hohe Effizienz anzustreben, sondern in verbesserte, zum Beispiel selbstlernende Produkte zu investieren, die einen Mehrwert generieren. Zum Beispiel Werkzeuge, diese kann man so konstruieren, dass sie die Arbeit erleichtern, indem sie Informationen verarbeiten. Oder man kann die Logistik verbessern.
Frau Steiger, Sie gehören zu den «Top 10 Women Influencer in AI». Hat diese Auszeichnung für Ihre Kundinnen und Ihre Mitarbeiterinnen eine besondere Bedeutung?
Steiger: Ich bin Mutter von zwei Teenagermädchen. Selber habe ich Mathematik studiert und mein Leben lang in einer Männerwelt gearbeitet. In Bezug auf diese Nominierung ist mir wichtig, als Rollenmodell insbesondere für junge Frauen und Wiedereinsteigerinnen zu dienen. Ich betrachte die Entwicklung durch die neuen Technologien als Chance für Männer und Frauen. Kreative Denkweisen zur Entwicklung neuer Geschäftsbereiche und Modelle sind gefragt. Das Argument der fehlenden Erfahrung ist nicht mehr so gewichtig. Es ist für die meisten Neuland. Wir müssen kreativ und offen für neue Ansätze sein, uns austauschen und Partnerschaften mit unseren Kunden respektive Zulieferern bilden. Dafür haben wir Frauen sicher viel Talent.
Also fördern diese Technologien auch die flexible Arbeitszeit, mit deren Einführung es seit 30 Jahren immer wieder hapert?
Steiger: Ein wichtiger Punkt. Technologischer Fortschritt fördert oft Flexibilität und Zeitersparnis. Früher hat man zum Beispiel 16 Stunden pro Tag gearbeitet, heute nur noch acht. Wer sagt denn, dass wir in Zukunft immer noch so viel arbeiten müssen. Vielleicht schaffen wir dieselbe Leistung mithilfe von neuen Technologien in fünf Stunden, verdienen aber immer noch gleich viel.